Hier in Europa und vor allem in Deutschland machen wir uns in diesen Tagen hauptsächlich Gedanken über die Energieversorgung. Aber ein Blick über den Tellerrand genügt, um festzustellen: In einem großen Teil der Welt gibt es ein noch existenzielleres Problem.

Es geht darum, dass knapp ein Achtel der gesamten Weltbevölkerung hungert oder von Hunger bedroht ist. Der Krieg in der Ukraine verschlimmert die ohnehin schon dramatische Situation um ein Vielfaches. Die Ukraine und Russland zusammen decken mit ihren Agrarprodukten mehr als 10 Prozent des weltweiten Kalorienbedarfs, produzieren 30 Prozent des Getreides der Welt und 60 Prozent des Sonnenblumen-Öls. Russland ist einer der größten Düngemittel-Exporteure der Welt. Produktion und Lieferketten sind offensichtlich stark beeinträchtigt.

Hier sprechen wir aufgrund der Preissteigerungen über soziale Ausgleichsmaßnahmen. In den Entwicklungsländern, wo mehr als 50 Prozent des Einkommens für Lebensmittel gebraucht werden, kann man sich Ausgleichsmaßnahmen nicht leisten. Das muss zu sozialen Unruhen führen, und diese destabilisieren die Welt noch mehr. Es reicht ein Blick auf die Situation in Sri Lanka, Tunesien oder Peru, um das zu verstehen.

Was hat das mit Sozialer Marktwirtschaft zu tun? Offensichtlich eine ganze Menge. Zum einen werden Märkte zerstört: Indien beispielsweise hat aufgrund des Ausfalls der Lieferungen aus der Ukraine den Export von Weizen verboten. Indonesien beendete den Export von Palmöl, als das Sonnenblumenöl knapp wurde. Die USA wiederum leisten Ernährungshilfe nur in Form von in den USA produzierten Nahrungsmitteln. Das macht die Nahrungsmittelproduktion in ärmeren Ländern unwirtschaftlich.

Zum anderen tragen wir die Verantwortung, Innovationen nicht zu behindern. Innovationen bedürfen eines freien Marktes. Dazu gehört auch Technologieoffenheit. Gerade in Deutschland sollten wir das besser wissen.

Pflanzen werden jedenfalls in Zukunft den Hauptteil der Ernährung ausmachen, gerade weil der Fleischkonsum an die Grenzen der Produktion stößt. Der Planet wird aber in vielen Regionen trockener. Der Wassermangel macht die Pflanzen anfällig für Schädlinge, die ganze Ernten vernichten können. Innovationen, um darauf zurückzukommen, sind deshalb absolut notwendig. Das bedeutet, wir müssen auch offen sein für gentechnisch veränderte Pflanzen, die etwa gegen Dürreperioden resistenter sind. Europa ist gemeinsam mit den USA wissenschaftlich in der Lage, zu helfen und zugleich auch für Beschäftigung und Wohlstand im eigenen Land zu sorgen. Deshalb ist auch das Verbot, mit der harmlosen Methode der Gen-Schere „Crispr“ (genau: Crispr-Cas9) Nutzpflanzen ertrag- und nährstoffreicher sowie resistenter zu machen, obwohl keine Umweltschäden damit ausgelöst werden können, ein schwerer Fehler Europas.

Die Kräfte des Marktes müssen gerade bei der existenziellen Frage der Ernährung einen ordnenden Rahmen haben, daran besteht kein Zweifel. Aber die Kräfte des Marktes dürfen von der Lösung eines der größten Probleme der Menschheit nicht ausgeschlossen werden. Das hat nämlich ganz konkrete negative Konsequenzen.

Mehr Markt würde auch in anderer Hinsicht helfen: Der Europäische Agrarsektor etwa ist hoch subventioniert und protektiert. Das schadet nicht nur dem Wettbewerb und einer freien Preisbildung, sondern benachteiligt insbesondere Entwicklungsländer, deren einziger komparativer Vorteil in ihren Agrarprodukten liegt. Europäische Märkte dürfen also für außereuropäische Agrarprodukte nicht mehr verschlossen bleiben. Die sich entwickelnden Länder der Welt müssen freien Zugang zum Weltmarkt haben. In diesem Zusammenhang muss Bioenergie ein wesentlicher Bestandteil internationalen Agrarhandels werden. Zugleich muss der Handel an grundlegende Umweltstandards gebunden werden, ohne in arrogante Bevormundung auszuarten. Wir müssen moderne Erkenntnisse der landwirtschaftlichen Forschung – gerade auch die grüne Gentechnik – der Welt zugänglich machen, um so das Volumen an Nahrungsmitteln weiter deutlich zu erhöhen.

Das alles ist nicht einfach. Wir haben in Europa eine Subventionswirtschaft entwickelt, die wirklich kein Vorbild ist. Zugleich provozieren wir Umweltsünden im Regenwald, nur um zartes Rindfleisch zu essen, und wir zerstören zu oft schon erste Ansätze regionaler Landwirtschaft in Asien, Afrika und Südamerika.

Doch eines zeigt uns die jüngste Erfahrung in der Ukraine. Die Ernährung ist längst global, sie lässt sich durch staatliche Zuteilung nicht gewährleisten. Nur die Kräfte einer marktwirtschaftlichen Ordnung kombiniert mit internationalen Vereinbarungen wird die fast acht Milliarden Menschen satt machen und eruptive Konflikte verhindern.

Das Land Ludwig Erhards ist prädestiniert, Vordenker und Beispielgeber einer solchen Ordnung zu sein. Nach der bitteren Erkenntnis einer leider von Konflikten geprägten Weltordnung ist hier deutsche und europäische Politik gefragt.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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