Heute beschäftigt sich der Kommentar mit der Ludwig-Erhard-Stiftung selbst. Aus historischen Gründen hat sie ihren Sitz im ehemaligen Wohnhaus Ludwig Erhards in Bonn. In Kürze wird sie aber auch in Berlin, also sehr viel näher am politischen Geschehen, vertreten sein. Das Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft nimmt zum 1. September seine Arbeit auf. Mit Prof. Stefan Kolev ist es uns gelungen, einen außerordentlich qualifizierten Leiter für das neue Forum zu gewinnen. Um ihn bauen wir ein schlagkräftiges Team auf.

Ganz aus eigener Kraft hätten wir den Start nicht schaffen können. Insofern sind wir sehr froh, dass der Deutsche Bundestag uns in seinem Haushaltsplan für die kommenden drei Jahre eine Anschubfinanzierung zur Verfügung stellt. Jetzt wird es darum gehen, die Wirksamkeit des Konzeptes und der Arbeit zu beweisen, damit wir auch die nötige Unterstützung privater Förderer erhalten. Dabei sind wir für jede Hilfe dankbar.

Warum jetzt und warum Berlin?

Sicherlich sind wir ein wenig spät. Aber gerade jetzt ist unsere Arbeit vor Ort in Berlin besonders wichtig. Die deutsche Wirtschaftspolitik hat sich von ordnungspolitisch vernünftigen Grundsätzen weit entfernt. Was wir sehen, ist ein Gewurstel vermeintlich pragmatischer Entscheidungen, nämlich Einschränkungen der Lenkungsfunktion des Marktes und eine paternalistische Betreuung aller Interessengruppen – ihr Ruf muss nur laut genug sein. Die aktuelle Wirrnis über die Gasabgabe und ihren gleichzeitigen Ausgleich durch eine Mehrwertsteuersenkung sind für diese Entwicklung geradezu symbolisch. Zum anderen stehen wir international nach einem halben Jahrhundert relativer Ruhe wieder mitten in einem Systemwettbewerb. Demokratie, Freiheit, Eigentum und Marktwirtschaft sind nicht mehr selbstverständlich. Persönliche Freiheit und Wohlstand sind ein sehr eng verbundenes Paar. Aber diese Überzeugung verliert sogar in Demokratien – auch bei uns – an Zustimmung.

Auch wenn viele Organisationen nach der Vollendung der Deutschen Einheit mit ihrem gesamten Betrieb nach Berlin gezogen sind, haben wir dagegen gezögert. Das ist verständlich. Denn die Geschichte Ludwig Erhards bzw. des Wirtschaftswunders wurde in Bonn geschrieben. In seinem Wohnhaus und dem Sitz unserer Stiftung hat er selbst viele Jahre ihre Arbeit wesentlich geprägt. Den Stiftungssitz werden wir deshalb nicht aufgeben. Andererseits bedeutet Relevanz auch Präsenz. Die Sichtbarkeit in Berlin stärkt die Wirkung unserer Arbeit und der ständige Kontakt mit Politik und Medien ist wichtig. Wir sehen uns in Berlin als eine Denkfabrik im Wettbewerb mit anderen Ideengebern. Deshalb ist neben Bonn auch Berlin unser Platz.

Der wissenschaftliche Leiter des Ludwig-Erhard-Forums für Wirtschaft und Gesellschaft, Stefan Kolev, sieht es als eines seiner Ziele, unser Land weniger antikapitalistisch und weniger antagonistisch zu machen. Und in der Tat sind wir da ganz nahe an der Mission Ludwig Erhards. Deutschland war nach der Katastrophe der Nazi-Diktatur sehr skeptisch gegenüber Unternehmertum und Marktwirtschaft. In manche Landesverfassung wurde die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ausdrücklich aufgenommen. Erhards mutiger Schritt zur Öffnung der Märkte musste durch seinen Erfolg überzeugen. Zugleich war es Ludwig Erhard ein Anliegen, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu festigen. Sein Konzept und Werk „Wohlstand für Alle“ war gerade darauf gerichtet, den wirtschaftlichen Erfolg zu einer gesamtgesellschaftlichen Erfahrung zu machen.

Heute stellen sich uns neue Herausforderungen bei der Anwendung Ludwig Erhards Grundprinzipien. Weltweite Abhängigkeiten, staatlich gelenkte Marktwirtschaften, die digitale Plattformökonomie oder die Herausforderung einer ökologisch orientierten Umsteuerung stehen auf der Tagesordnung. Mit den bewährten Prinzipien müssen hier neue Antworten gefunden werden. Das Vertrauen darauf und die Tatsache, dass der Markt optimale und effiziente Lösungen generiert – davon muss unsere Gesellschaft wieder überzeugt werden. Und das ist eine der Kernaufgaben der Ludwig-Erhard-Stiftung. Das Forum in Berlin ist dafür die optimale Ergänzung.

Wissenschaftliche Publikationen, dokumentierte Debatten und fundierte Stellungnahmen zu wichtigen Projekten werden die Arbeit des Ludwig-Erhard-Forums prägen. Stefan Kolev und ich werden uns bemühen, die Leser dieses Kommentars in angemessener Weise daran teilhaben zu lassen. Ich wünsche dem neuen Berliner Team Glück und Erfolg. Ludwig Erhards Stimme hat in Berlin gefehlt.

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