Die Ludwig-Erhard-Stiftung konnte in der vergangenen Woche zu einer spannenden Konferenz im bayerischen Königsdorf – nahe der Wahlheimat Ludwig Erhards – einladen. Mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck als Ehrengast und einem Kreis von Wissenschaftlern, Unternehmern und Publizisten aus mehreren Ländern fand die Konferenz mit dem Titel „Liberalismus unter Druck – Soziale Marktwirtschaft noch aktuell?“ statt. Sie war angelehnt an das im Jahr 1938 in Paris abgehaltene Treffen von Intellektuellen und Akademikern namens „Colloque Walter Lippmann“, einer der Geburtsstunden des Neoliberalismus. Heute sind liberale Gedanken nicht immer auf der Seite der Mehrheit. Viele Menschen wünschen sich einen starken Staat, scheuen sich vor Eigenverantwortung. Damit geben sie auch einen Teil ihrer Freiheit an den Staat ab. Was müssen Liberale leisten, um in den großen Demokratien weiter entscheidenden Einfluss zu haben? So lautete die zentrale Frage des Kolloquiums.

Der Liberalismus befindet sich im Kreuzfeuer der politischen wie auch der wissenschaftlichen Debatte. Gab es nach 1989 noch den Glauben an die Überlegenheit freiheitlicher Ordnungen gegenüber dirigistischen Systemen, so ist davon heute nicht mehr viel geblieben. Neue Bewegungen kommen in den modernen Demokratien auf. Gleichzeitig sind wir wieder in einem globalen Systemwettbewerb, dem sich die Idee des Liberalismus und die Idee der Sozialen Marktwirtschaft stellen müssen.

Man sollte zwar erwarten, dass in Demokratien das Gros der Bürger bedingungslos auf der Seite der Freiheit steht. Aber selbst in der Leitnation unserer Freiheitsideale, den Vereinigten Staaten von Amerika, wird die demokratische Ordnung derzeit arg strapaziert. Die Gründe liegen auch im Scheitern des Wohlstandsversprechens für einen großen Teil der amerikanischen Mittelschicht. Die Globalisierung hat neben allen Erfolgen ein Maß an Ungleichheit geschaffen, das die Legitimität des Systems in Frage stellt. Es ist wohl so, dass Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft uns wirklich in eine privilegierte Situation der relativen Ruhe vor Systemfragen geführt hat. Aber die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die in Umfragen die Soziale Marktwirtschaft in beachtlicher Weise stützen, rufen zugleich nach einem lenkenden Staat als kollektive Versicherung vor Abstieg und als Absicherung bei allen grundlegenden Veränderungen. Sie sind ohne viel Zaudern bereit, die Kosten ihrer Risiken in Form von Staatsschulden ihren Kindern aufzubürden und stellen eine Gesellschaft, die ihre Wertordnung aus Arbeit und Leistung bezieht, zunehmend in Frage.

Der Glaube an die konstruktive Zukunftsgestaltung durch die Kräfte marktwirtschaftlicher Konkurrenz an Stelle von staatlicher Planung erfordert etwas sehr Spezielles. Vertrauen! Die Ludwig-Erhard-Stiftung hat in ihren Archiven mannigfaltige Beispiele, wie Ludwig Erhard immer wieder vor dieser Herausforderung stand: Vertrauen in den guten Ausgang eines ungewissen Prozesses zu schaffen. An den Erfolg der Preisfreigabe im Jahr 1948 hatte eigentlich niemand außer ihm geglaubt, aber er schaffte es, gegen riesige Widerstände, alle durch den Erfolg seiner Wirtschaftspolitik zu überzeugen.

Die für den Kampf der Systeme entscheidende Frage in einer freien Gesellschaft ist jedoch auch mit einem weiteren Begriff verbunden: Gerechtigkeit! Die Menschen wollen eine Ordnung, in der es grundsätzlich fair zugeht. Sie wollen keine Mächtigen, denen sie ausgeliefert sind und sie wollen einen angemessenen Lohn für ihre Arbeit. Sie suchen nach einem Sinn der Arbeit, der über das reine Geldverdienen hinausgeht und sie wollen den Planeten für ihre Kinder erhalten.

Zu der Verpflichtung zur Arbeit im Geist von Ludwig Erhard gehört der Mut zu neuem Denken. Politiker aller Parteien haben zu lange jeden Streit um die Sache vermieden und sind dabei Antworten auf die neuen Herausforderungen schuldig geblieben. Mit unserer Konferenz wollten wir eine Debatte ohne Denkverbote beginnen. Der Kampf gegen die immer stärkere Bevormundung durch staatliche Regulierung und der Verweis auf die Verantwortung jedes Einzelnen für sein eigenes Glück schafft Chancen, die wir brauchen. Aber wir müssen im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft auch einen humanistischen, vielleicht auch einen mitfühlenden Liberalismus weiterentwickeln. Dabei wird auch unser neues Ludwig-Erhard-Forum für Wirtschaft und Gesellschaft in Berlin eine besondere Rolle spielen.

1938, im Angesicht der gescheiterten Weimarer Republik und des heraufziehenden Krieges, haben sich Menschen daran gemacht, die Prinzipen einer freien Ordnung zu besprechen. Das steht auch heute wieder auf der Tagesordnung. Lassen wir den Namensgeber der Konferenz, Walter Lippmann, selbst sprechen: „Die Agenda liberaler Reformen ist lang, aber es gibt keinen allgemeinen Plan für eine neue Gesellschaft. Alle Pläne einer neuen Gesellschaft sind eine Rationalisierung des absoluten Willens. Sie sind die subjektiven Anfänge von Fanatismus und Tyrannei. Die liberale Vision der Gesellschaft ist großartiger […]. Sie überlässt die Zukunft nicht einigen endlichen Politikern, sondern dem ganzen Genie der Menschheit.“

Menschen zusammenzuführen, die einem solchen freiheitlichen und sozialen Geist verpflichtet sind, ist der Auftrag, den Ludwig Erhard der Stiftung gab. Wir werden den Dialog in diesem Sinne fortsetzen.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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