Ich hoffe sehr, dass Sie alle gesund und mit der aktuell gebotenen zurückhaltenden Fröhlichkeit in das neue Jahr starten konnten. Wir von der Ludwig–Erhard–Stiftung wünschen Ihnen alles Gute und einen mutigen und zuversichtlichen Blick in die Zukunft.

Für einige Mitglieder der Bundesregierung war der Start in das neue Jahr schwieriger. Statt Böller gab es einen Schlag aus Brüssel. Wenige Stunden vor Jahresende legte die EU-Kommission ihre Präzisierungen zur sogenannten Taxonomie im Rahmen des Green Deal vor. Atomkraft und Erdgas wird darin unter bestimmten Bedingungen die Nachhaltigkeit attestiert.

Wie schon in vergangenen Kommentaren erwähnt, scheint mir die Taxonomie, ein Werk mit aktuell über 600 Seiten (und das ist nur Teil 1), in Wirtschaft und nationaler Politik unterschätzt. Es handelt sich zwar nicht um ein Gesetz, das bestimmte Technologien und die Anwendung bestimmter Rohstoffe in Zukunft verbietet oder erlaubt. Das würde eines förmlichen Gesetzes bedürfen und mit größter Wahrscheinlichkeit würde der EU auch die Kompetenz zu einem so massiven Eingriff fehlen. Die Taxonomie ist ein von Experten erarbeitetes Regelwerk, das der Finanzindustrie vorgibt, wann Finanzprodukte als „nachhaltig“ bezeichnet werden dürfen. Das hat nicht nur eine einheitliche Bewertung von Investment-Fonds-Produkten zur Folge, es führt gleichzeitig dazu, dass Kredite von Banken in Bereiche, die nicht als nachhaltig in der Taxonomie benannt sind, per Definition als höheres Risiko eingeschätzt werden. Das führt zu teurer Eigenkapitalstruktur, und die Banken werden das meiden. Im Klartext: Alles was die Taxonomie nicht positiv bewertet, bekommt keine Finanzierung durch Standard-Investmentgesellschaften oder Banken. Es handelt sich um die einschneidendste Wirtschaftslenkung in Zentraleuropa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Viele Staaten in Europa halten die Nutzung der Kernenergie auch in den kommenden Jahrzehnten für unabdingbar, wenn die ehrgeizigen CO²-Ziele erreicht werden sollen. Also wollen sie erreichen, die Finanzierung der Anlagen für die Privatwirtschaft zu Marktbedingungen zu ermöglichen. Dann darf Kernenergie nicht aus politischen Gründen ausgeschlossen, sondern muss unter bestimmten Bedingungen als „nachhaltig“ eingestuft werden. Das ist auch richtig so, denn die Vermeidung von CO² ist nun einmal der zentrale Anlass dieses gigantischen Regulierungsprozesses und da kann man nicht aus ideologischen Gründen einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz herausdefinieren.

Es geht ja auch jenseits des Aufschreis einiger Verbände und Parteien, die sich aus ihrem Kampf gegen Kernenergie definieren, gar nicht um die alten ideologischen Schlachten. Deutschland wird nicht wieder einsteigen, Frankreich wird nicht aussteigen. Das wird so bleiben. Es geht darum, welche Freiheiten beim Erreichen der sehr ehrgeizigen Ziele überhaupt noch möglich sind.

Um die deutsche Empörung zu kanalisieren, hat die EU-Kommission auch Erdgaskraftwerken das Gütesiegel der Nachhaltigkeit unter bestimmten Bedingungen erteilt. Rein sachlich ist das fragwürdig, denn ohne die in Deutschland verpönte CO²-Abspaltung ist ein solches Kraftwerk für sich – und im Gegensatz zum Kernkraftwerk – eben kein Beitrag zur CO²-neutralen Welt. Doch da Deutschland den irreversiblen Fehler beging, zunächst auf Kernkraft zu verzichten, ohne die Realisierbarkeit CO²-neutraler Installationen zu überprüfen, gehört es zu den wichtigen Entscheidungen der Ampel-Koalition, den Black-Out der Stromversorgung durch schnellen Zubau starker Erdgas-Kraftwerke gerade noch so zu verhindern. Der so geschaffene gewagte Freibrief für Erdgas wird in Deutschland aber wenig kritisiert.

Das alles sind Rochaden und blamable Weggabelungen einer staatlichen Wirtschaftslenkung. Saubere Lenkungsimpulse, wie etwa ein problemgerechter CO2-Preis, könnten das alles überflüssig machen. Ludwig Erhard wäre von einem Tobsuchts-Anfall in den nächsten geraten, wenn er in die Details dieser Taxonomie geschaut hätte. Wer gibt „technischen Experten“ das Recht, einen ganzen Kontinent unter Kontrolle zu bringen?

Brüssel argumentiert, man brauche die Taxonomie für eine einheitliche Bewertung aller Bereiche, um so vergleichbare „nachhaltige“ Finanzprodukte in den Markt zu bringen, sonst werde der Verbraucher durch Greenwashing in die Irre geführt. Marktwirtschaftler kennen das Problem der Ungleichheit der Information. Aber es darf auch einen Wettbewerb um die richtigen Kriterien geben. Es entwickeln sich gerade Rating-Modelle zum Thema ESG. Die können Bewertungen nach unterschiedlichen Maßstäben anbieten, überwachen und kennzeichnen. Transparenz im Markt braucht keineswegs ein Einheitsdiktat jenseits von Technologieoffenheit und Innovation. Dann wird sich auch hier der bessere, transparentere, verantwortungsbewusstere Anbieter durchsetzen.

Ich beziehe mich nämlich auf die Willkür von Wirtschaftslenkung, keineswegs von Klimaschutz. Das verbindliche grüne Staats-Label öffnet allerdings Freunden der Regulierung Tore, die Ihnen bisher immer aus gutem Grund verschlossen waren. In diesen Tagen weisen die Rüstungsunternehmen darauf hin, dass auch sie dem Verdikt des „Unerwünschten“ unterliegen. Schließlich haben viele Banken Zweifel, ob die Rüstung zur Nachhaltigkeit beiträgt, wie es im Ziel der Taxonomie verlangt wird. Ein Kredit für Airbus Defence könnte für jede Bank ein Schaden werden und damit zumindest teuer. Was dann wieder vom Steuerzahler bezahlt wird. Da kann man schon auf die nächste Rochade warten, diesen Unsinn einzufangen.

Der Staat übernimmt sich, wenn er die Wirtschaft steuern will. Sie ist zu komplex, um unter den Händen von Bürokraten ohne großen Schaden zu überleben. Der Klimaschutz rechtfertigt schwere Einschnitte, unser Leben wird sich verändern. Aber eine „Taxonomie“, die in unehrlicher Weise als „Hilfestellung zur Beurteilung von Investitionen“ daherkommt, muss schnell auf den Prüfstand. Und natürlich kann sie durch Instrumente marktwirtschaftlicher Ordnungspolitik ersetzt werden.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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