Die Soziale Marktwirtschaft baut auf Freiheit, Eigentum und Verantwortung auf. Ludwig Erhard wusste jedoch, dass ohne verbindliche Rahmenbedingungen die Wirkung von Wettbewerb, Kreativität und Risikobereitschaft ausgeschaltet wird. Für ihn waren die Kartelle der 30er Jahre in Deutschland eine Beschädigung der freiheitlichen Wirtschaftsordnung. Deshalb war der Kampf um die Einführung des Kartellgesetzes, das viele Wirtschaftsvertreter in der Nachkriegszeit verhindern wollten, so wichtig. Wir sollten nicht vergessen, dass Ludwig Erhard schon seit 1951 für das Gesetz kämpfte, aber erst der amerikanische Außenminister John F. Dulles Bundeskanzler Adenauer 1955 das Versprechen abrang, eine Kartellgesetzgebung zu ermöglichen. So geschah es dann, und erst am 9. Januar 1959 nahm das Bundeskartellamt seine Arbeit auf.

Diese Brisanz sollte man im Auge haben, wenn man über Instrumentarien des Kartellrechts heute spricht. Das Gesetz, das Amt und die Instrumente gehören zu den existenziellen Voraussetzungen unserer Wirtschaftsordnung, es ist eine Art Grundgesetz der Marktwirtschaft. Diese Instrumente sind seit 1959 beachtlich weiterentwickelt worden – man denke nur an die scharfe Waffe des Fusionsverbotes, die erst im Jahr 1973 in das Gesetz aufgenommen wurde.

Es ist gut, dass angesichts der aktuellen Probleme bei der Preisentwicklung im Zusammenhang mit der multiplen Krisensituation (Pandemie, Ukraine, Lieferketten) durch den Bundeswirtschaftsminister das Kartellrecht zum Thema gemacht wird. Auch wenn Herr Habeck damit Tagespolitik zu machen versucht und Maßnahmen des Kartellamtes in eine Reihe mit den ökonomisch sinnfreien Projekten von Tankrabatt bis 9-Euro-Ticket für den Sommer stellt, ist diese Debatte doch von anderer Qualität.

In dem letzten Kommentar habe ich über Preissetzungsmacht und ihrer Legitimität geschrieben und begründet, warum Übergewinnsteuern in der Sozialen Marktwirtschaft nichts verloren haben. Ebenso wichtig ist jedoch, auf die Rahmenbedingungen der Preissetzungsmacht zu achten. Das heißt, gegen Preisabsprachen und Monopolbildung vorzugehen.

Gerade die Debatte über die Mineralölindustrie ist dabei nicht neu. Es handelt sich um ein Oligopol von internationalen Anbietern, die nahezu alle Stufen der Förderung, Verarbeitung und Distribution beherrschen. An Energiepreisen entzündete sich auch schon 2010 die Diskussion, ob eine Entflechtung, also Zerschlagung, von großen Unternehmen zusätzlich zum Fusionsverbot auch in das deutsche Wettbewerbsrecht übernommen werden soll. Der damalige hessische CDU-Wirtschaftsminister Alois Rhiel startete die Initiative, der FDP-Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle nahm sie auf, aber sie wurde nie Gesetz.

Damals stellte sich die gleiche Frage, die Habeck jetzt wieder stellt. Kann man eine missbrauchsunabhängige, sogenannte objektive Entflechtung einführen oder muss der Missbrauch der Marktmacht nachgewiesen werden? Was ist, wenn ein Unternehmen einfach nur erfolgreich ist und jedenfalls für eine gewisse Zeit keinen Wettbewerber hat?

Habeck meint offensichtlich, dass die moralische Verurteilung vermeintlicher Preisabsprachen ausreichen muss, um eine Zerschlagung zu rechtfertigen. Das geht nicht. Einmal legal geschaffenes Eigentum darf vom Staat nur dann zerschlagen werden, wenn Missbrauch nachgewiesen ist. Entflechtung ist nämlich gerade keine politische Waffe der Tagespolitik, wie Tankrabatte, die man einfach mal so beschließen kann, ohne Angemessenheit und Verfassungsmäßigkeit prüfen zu müssen. Würde Herr Habeck dies respektieren und die Mühe zum Nachweis des Missbrauchs auf sich nehmen, müsste er allerdings nicht den Mund spitzen. Er könnte schon heute laut pfeifen. Paragraf 32 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung in Verbindung mit EU-Recht gibt das schon lange her. Es gäbe sicher gute Gründe für einen Wirtschaftsminister, das ernsthaft zu prüfen.

Situationen, wie wir sie aktuell erleben, müssen deshalb vom Kartellamt untersucht werden. Das wird dauern, ist aber nicht nutzlos. Die Mineralölkonzerne müssen wissen, dass bei einem Nachweis einer koordinierten Preispolitik, der ja aus der Sphäre des normalen Tankstellen-Kunden nicht ganz ausgeschlossen scheint, nicht nur schwerwiegende Kartellbußen ins Haus stehen, sondern schon heute auch eine Entflechtung möglich ist. Wie wir aus den großen Projekten in den USA, etwa AT&T oder Microsoft wissen, sind das langwierige und komplizierte Verfahren. Wir werden in den westlichen Staaten nicht nur wegen der aktuellen Öl-Erlebnisse, sondern auch wegen der Machtballungen in dem neuen Wirtschaftsraum des Internets über diese Instrumente ernsthafter nachdenken müssen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Aber eines muss auch klar bleiben, und hier ist Widerspruch zu Habeck nötig: Das Kartellrecht ist kein wohlfeiles populistisches Racheinstrument. Es ist das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft. Wachsamkeit ist eben auch in dieser Hinsicht geboten.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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