Das Schloss Meseberg, auf dem das Bundeskabinett seine Klausur in Krisenzeiten abhält, hat eine durchaus denkwürdige Geschichte. Prinz Friedrich Heinrich Ludwig von Preußen machte es dereinst seinem Freund Ludwig von Kaphengst zum Geschenk. Dessen aufwendiger Lebensstil führte letztlich zum Ruin und das Schloss ging dann durch viele Hände.

Klausurtagungen sollen ein Stück von der Hektik des Tages ablenken, um mehr grundsätzliche Fragen erörtern und langfristige Ziele festlegen zu können. Das wäre in der Energiekrise dringendst nötig. In Wahrheit sind die Mitglieder des Kabinetts sehr oft gezwungen, viel Zeit auf aktuelles Krisenmanagement zu verwenden. Umso bedauerlicher ist die vertane Chance, die Bewältigung der zweifelsfrei schweren Energiekrise mit Hilfe von grundlegenden Instrumenten unserer Sozialen Marktwirtschaft anzugehen. Leider beobachten die Bürger ein prinzipienloses Herumwursteln mit einer unkoordinierten und oft panisch anmutenden Kommunikation.

In dieser Lage ist es nur allzu verständlich, wenn Bürger und Interessengruppen ganz schnell nach einem Katastropheneinsatz rufen, in dem alle Mittel recht sind; Hauptsache das Feuer – in unserem Fall der hohe Energiepreis – wird gelöscht. Wo früher nach dem Mietendeckel gerufen wurde, wird jetzt der Ruf nach einem „Strompreisdeckel“ oder einer „Gaspreis-Bremse“ laut. Alles ist recht, wenn nur der Preis möglichst niedrig ist.

Es wäre die Aufgabe der Regierung, die Mechanismen zu erklären, die notwendigen politischen Entscheidungen zu treffen und die Instrumente zu nutzen, die gerade in einer marktwirtschaftlichen Ordnung zur Krisenbewältigung anwendbar sind.

Dabei muss es als Erstes bei dem obersten Grundsatz bleiben: „Finger weg vom Preis!“ Wenn der Staat in die Festlegung der Preise eingreift, verliert der Markt die Fähigkeit, den Bedarf an Produkten zu befriedigen. Entweder die Produzenten spekulieren dann auf Subventionen oder sie stellen im äußersten Fall die Lieferung ein, weil sie sich keine Verluste leisten können. Trotz höherer Preise sehen wir ja, wie schnell sich die Gasspeicher durch Lieferungen aus Richtung Norwegen, Belgien oder den Niederlanden füllen. Mit einem Preisdeckel wäre das Gas nicht zu bekommen.

Das zweite Prinzip muss lauten, alle Quellen zu nutzen, um den Markt zu befriedigen. Hier hat die Politik versagt. Dass der Weiterbetrieb von drei Kernkraftwerken (bis 2020 hätte wir eher sechs gebraucht) noch immer nicht fest beschlossen wurde, ist eine rein politische Marktbehinderung. Dass die Kohlekraftwerke nur schwer aus der Reserve kommen, liegt nach Angaben der Industrie an bürokratischen Genehmigungsauflagen. Diese machen das schnelle Anfahren uninteressant. Genau so wird Energie immer teurer.

Dies alles geschieht vor der Kulisse des geplanten Zubaus an Wind- und Solarkraftwerken. Aber wegen absurder Planungshindernisse ist der Zubau noch nicht umgesetzt. Wer ein Windrad errichten will, benötigt nämlich eine zertifizierte zwölfmonatige Umweltbeobachtung. Die Fachkräfte, die das machen dürfen, sind schon bis über das Jahr 2023 hinaus ausgebucht. Für die Grünen ist das eine selbstgebaute „Zukunftsfalle“.

Seit vielen Jahren bilden sich die täglichen Strompreise (die allerdings normale Kunden der örtlichen Stromversorgung kurzfristig nur sehr wenig betreffen) über die sogenannte „Merit-Order“, ein Verfahren, das über Nacht und völlig zu Unrecht zum Buhmann wurde. Mit diesem Mechanismus wird die jeweils preiswerteste Energie verbraucht, allerdings zu dem Preis, zu dem die letzte Kilowattstunde eingekauft werden kann. Dieses Modell macht es attraktiv, auch teure Anlagen einsatzbereit zu halten, denn wenn die Not groß genug ist, kommen sie zum Einsatz und die Betreiber machen große Gewinne. Dieses Modell ist das Lieblingsmodell aller Umweltschützer, denn es brachte viel Geld für die günstige Produktion von Grünstrom. Da die Regierungen dieses Jahrhunderts mit Geboten und Verboten die Märkte verbogen haben, sind wir jetzt schon früh auf Gas zur Stromproduktion angewiesen.

Die Abhängigkeit vom vermeintlich so billigen und jetzt auf einmal so teuren Gas war nicht der Wunsch des Marktes. Sie ist ein Fehler der Politik. Glücklicherweise haben wir eine Marktordnung, die mit dem Versprechen hoher Gewinne immer noch Energie beischafft und mit dem hohen Preis zugleich erneuerbaren Energien den Weg ebnet (was die Politik mit einer hohen CO²-Abgabe schon längst getan haben müsste). Wer jetzt von unmoralischen Übergewinnen redet, hat das System ebenso wenig verstanden, wie die Rufer nach dem Preisdeckel.

Wenn das alles beherzigt würde, käme ein weiterer Grundsatz einer Sozialen Marktwirtschaft zum Zug. Den Betroffenen muss nach überschaubaren Regeln sofort und für eine Übergangszeit geholfen werden. Dass Energie mit der Energiewende ohnehin deutlich teurer werden würde, war unter dem Stichwort „grüne Inflation“ lange bekannt. Wir werden zu den Preisen von früher nicht zurückkommen, und das bedeutet, vom Privathaushalt bis zur Industrie müssen sich alle anpassen. Aber klare Hilfen bei dem Heizkostenzuschuss des Sozialgesetzbuches, eine ordentliche Einmalzahlung für den steuerpflichtigen Mittelstand und Kredite und Eigenkapitalhilfen für die Wirtschaft, könnten und müssten auch ohne Kabinettsklausur schon lange beschlossen sein.

Alle Macht dem Preis und anschließend solidarische Hilfe für den Übergang sind Instrumente, mit denen man auch eine solche schwere Krise bewältigen kann. Wer dem Wettbewerb vertraut, der bekommt genug Versorgung – weil die sich lohnt, und bekommt genug Einsparung – weil die sich ebenfalls lohnt. Panikgerede schadet dagegen nur. Und Sparverordnungen zur Begrenzung von Denkmalbeleuchtung und Leuchtreklame senden jedem Bürger und der ganzen Welt ein Signal von Hilflosigkeit, für das kein Anlass bestehen sollte.

Meseberg kann eine Mahnung sein. Durch unvernünftiges Verhalten kann man seinen Wohlstand verlieren.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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