Vor einigen Jahren schrieb eine deutsche Wirtschaftszeitung nach einigen Selbstversuchen, in Deutschland sei es komplizierter an eine Coca-Cola-Aktie zu kommen als eine Marihuana-Zigarette. Diese Aussage stammt aus einer Zeit lange bevor eine Regierung auf die Idee kam, Cannabis zu legalisieren!

In Deutschland gelten Aktien als ein gefährliches Produkt und bleiben damit sowohl dem Kleinanleger als auch der Altersversorgung weitgehend verschlossen. Das ist in beiden Fällen ein entscheidender Unterschied zu angelsächsischen Ländern – mit beachtlichen Folgen. Die Vermögensentwicklung der Arbeitnehmer in Deutschland wird durch den Ausschluss aus der Beteiligung an Kapitalvermögen verschlechtert und der Gesamtwert der Aktien an den deutschen Börsen ist wegen der geringeren Nachfrage niedriger.

Aktieninvestments sind die erfolgversprechendste Vermögensanlage und Altersvorsorge. So konnte man zuletzt beispielsweise bei einem Anlagezeitraum von 20 Jahren eine durchschnittliche Rendite von 8,9 Prozent im Jahr auf das angelegte Geld erwirtschaften. Im schlechtesten Fall lag die jährliche Rendite bei 3,8 Prozent, im besten bei 15,2 Prozent. Sogar als Inflationsschutz gibt es wahrscheinlich kaum geeignetere Instrumente. Selbstverständlich gilt das alles nur für langfristige Anlagehorizonte. Ausdauer ist Erfolgsvoraussetzung.

Mit der Europäischen Verordnung MiFID II (steht für “Markets in Financial Instruments Directive”) wurde aus Sorge, dass der Verbraucher nicht verstehen könne, wasAktien für ihn bedeuten, ein umfassender Schutzzaun geschaffen. MiFID hat 7.000 Seiten, mit den Anlagen kommen wir in Deutschland auf 20.000 Seiten. In einer Studie der deutschen Kreditwirtschaft über die Auswirkungen der neuen Regeln wurde festgestellt, dass (https://die-dk.de/media/files/DK_Auswirkungsstudie_Mifid_Mifir__AoWorAE.pdf)  62 Prozent der Kunden sich von der Fülle gesetzlich erzwungenen Informationen überfordert fühlen,  71 Prozent wünschen sich, auf Aufklärungen/ Informationen verzichten zu können und  27 Prozent der Kunden wollen sich weniger stark am Kapitalmarkt engagieren und weichen stattdessen trotz erheblicher Nachteile auf unkompliziertere Anlageformen aus. Da die heute selten sind, bleibt das Geld einfach liegen.

Die sogenannten Neobroker bieten nun heute den Aktienkauf auch über mobile Geräte wie Smartphones an und begeistern erstmals seit langem auch junge Anleger. Sie verlangen von den Kunden geringe Kosten und finanzieren sich durch Provisionen der sogenannten Market Maker, die außerhalb der traditionellen Börsen handeln. Nichts davon ist neu. Vor mehr als einem Jahrzehnt wurde das sogenannte „Payment for Order Flow“ (PFOF) eingeführt und damit ein zweiter Handelsweg neben den traditionellen Börsen geschaffen. Jetzt haben neue Marktteilnehmer Wege gefunden, Millionen von Teilnehmern weltweit zu interessieren. Was fällt den europäischen Verbraucherschützern dazu ein? Verbot ist das Mittel der Wahl! Das Verbot soll die „Trade Republics“ der jungen Anleger zerstören und wird zugleich Folgen für einen weiten Teil der traditionellen Vermögens-Anlageprodukte erfassen, die ebenfalls die Vorteile von PFOF nutzen.

Mit dem gleichen Argument hat die Europäische Kommission schon mit einer Richtlinie für die Vermögensverwaltung der Versicherungen, genannt Solvency II, die Nutzung der Aktie massiv beschränkt. Wer Aktien einsetzt, muss fast doppelt so viel Eigenkapital reservieren und die Aktienquote darf ohnehin 35 Prozent nicht übersteigen. Keine US-Pensionskasse würde das überleben. Das schnell wachsende Vermögen der Harvard-Universität steckt sogar in Private Equity und nicht in fast zinslosen Staatsanleihen.

Es gibt kleine Lichtblicke. So hat die FDP im Ampel-Koalitionsvertrag erreicht, dass ein 10-Milliarden-Fonds zum Start einer mit privatem Kapital unterlegten Alterssicherung geschaffen wird. Aber ein Erfolg wird das nur, wenn die sofort wieder laut werdenden Verlustängste nicht das Projekt dominieren und der Fonds kontinuierlich wächst, um eine gesunde Risikoverteilung zur ermöglichen. Das alte Anlageobjekt der „mündelsicheren“ Anlagen gibt es nicht mehr. Risiken müssen durch Streuung, langfristige Orientierung und Einbeziehung junger, schnell wachsender Unternehmen beherrschbar gemacht werden. Das ist trotz spektakulärer Einzelereignisse wie bei der Telekom-Aktie und auch, aber aus anderen Gründen, bei Wirecard möglich. Durch fehlenden Mut ist der Erfolg der Riester-Rente verhindert worden. Ein neuer Anlauf darf im Interesse der deutschen Wirtschaft und der deutschen Arbeitnehmer nicht wieder scheitern. Verbraucherschutz ist keine Legitimation, Menschen mit durchschnittlichem Einkommen in traditionellen Banken wegen der vielen Formulare gar keine Aktien mehr anbieten zu können. Das ist genauso wenig Verbraucherschutz wie jetzt schon wieder die preiswerteren Neobroker einfach zu verbieten.

Deutschland braucht mehr Aktionäre und wertvollere Aktiengesellschaften. Das erhöht in Summe und auf Dauer nicht die Risiken sondern trägt zu mehr Wohlstand bei.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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