„Freiheit“ und „Verantwortung“ – die beiden Begriffe kennen wir alle sehr gut, und wir empfinden sie als selbstverständlich mit unserem Gesellschaftsmodell verbunden. Um es mit Ludwig Erhards Worten zu sagen: „Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung kann auf die Dauer nur dann bestehen, wenn und solange auch im sozialen Leben der Nation ein Höchstmaß an Freiheit, an privater Initiative und Selbstvorsorge gewährleistet ist.“

Ausgelöst durch zwei Katastrophen müssen wir uns ganz aktuell mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen: Erstens, wie gehen wir mit nicht impfbereiten Bürgern um, und zweitens, wie mit den Opfern schwerer Naturkatastrophen? Schon die Fragestellung mag manchen überraschen, geht es doch auf den ersten Blick um gänzlich unterschiedliche Dinge. In der Tat geht es bei beiden Fragestellungen um Ängste, Sorgen und Emotionen, aber es geht bei beiden Fragen auch um existenzielle Risiken, dramatische wirtschaftliche Schäden und die Rolle des Staates.

Unterstellt, dass jedem Bürger ein Impfangebot gemacht werden kann, und unterstellt, dass die Impfung die Gefahr der Weitergabe des Virus ebenso reduziert wie die Gefahr eines schweren Verlaufs (wovon wir nach den Untersuchungen in den USA und in Großbritannien derzeit wohl ausgehen sollten): Können dann nicht geimpfte Bürger vom Staat verlangen, ihnen in Hinsicht auf Bewegungsfreiheit, soziales Leben und Arbeitswelt die gleichen Rechte zu gewähren, wie sie geimpfte Bürger dann selbstverständlich haben?

Unterstellt, dass jeder in Deutschland sich gegen Elementarschäden im Verbund mit seiner Hausratversicherung absichern kann:  Wie begründet ist dann ein Anspruch auf staatliche Hilfe zur Beseitigung der Schäden im privaten Haus oder im Betrieb?  Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte, für diese Hilfe zahlten die Leute ja schließlich Steuern. Stimmt das wirklich?

Auch wenn die Themen sich auf den ersten Blick deutlich unterscheiden, so geht es doch beide Male um die Rolle des Staates und somit auch um das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung. Für die Vertreter einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sollte die Frage lauten, wann der richtige – frühest mögliche – Zeitpunkt ist, zu dem staatliches Handeln beendet und das Geschehen in die Eigenverantwortung der Bürger zurückgegeben werden muss. Der freiheitliche Staat im Sinne des Zitats von Ludwig Erhard nutzt seine Ordnungsmacht, seine organisatorische und finanzielle Stärke und die zur Bewältigung von Notlagen geschaffenen Gesetze, um sofort und effektiv einzugreifen. Aber der freiheitliche Staat ist kein paternalistischer Staat. Er umsorgt die Bürger nicht in allen Lebenslagen, er gleicht nicht die Schäden aller Schicksalsschläge aus und lässt den Bürgern Freiraum, besser mit einer schweren Krise eigenverantwortlich umzugehen.

Ich vermisse in diesen schweren Tagen den offenen Umgang der Politiker mit dieser Aufgabenstellung. Diese Kommunikation muss dem Einzelnen die Illusion einer Vollversorgung nehmen und den Mut haben, bestimmte Forderungen und Wünsche mit einem klaren „Nein“ zu beantworten. Und dies eben nicht, weil Politiker mitleidlos oder geizig sind, sondern weil sie die klare Trennung zwischen Nothilfe einerseits und verantworteter Freiheit andererseits nicht verwischen lassen dürfen.

Das hätte konkrete Folgen:

Zum einen bei der Bekämpfung der Pandemie. Es gibt keine Impf-Pflicht, das ist unser Verständnis von Freiheit. Aber nicht geimpfte Menschen gehen große Risiken für sich selbst ein, und es sieht so aus, dass sie auch andere gefährden. Hierfür verdienen sie keinen Schutz. Im Gegenteil, Verantwortung trägt man nicht im Geheimen. Zurzeit dürfen nicht einmal die Arbeitgeber in Gesundheits- und Pflegeberufen die Mitarbeiter nach ihrem Impfstatus fragen. Hier ist das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung in einer Schieflage, und die Regel muss unverzüglich geändert werden. Selbstverständlich können sich geimpfte Bürger in Zukunft freier bewegen, als es diejenigen dürfen, die von ihrer Freiheit durch Ablehnung der Impfung Gebrauch machen. Und natürlich muss der Staat nicht die Tests für diejenigen bezahlen, die keinen Impfpass haben. Nach der chaotischen Phase der Krise kennt auch eine Epidemie Normalität. Das heißt Freiheit in Verantwortung.

Zum anderen bei den Konsequenzen aus Naturkatastrophen dann, wenn der unmittelbare Notstand unter Kontrolle ist. Es kann nicht sein, dass der Versicherte der Dumme ist und jahrelang zur Vorsorge für eine solche Krise bezahlt hat, während der Sparsamere ohne Versicherung sich dann freuen kann, dass Politiker „unbürokratische Soforthilfe“ versprechen – ohne Vermögens- und Einkommensprüfung, versteht sich. Die Versicherung sollte der bessere Schutz sein, staatliche Wiederaufbauhilfen müssen auf soziale Notfälle beschränkt werden oder als rückzahlbare Darlehen ausgestaltet werden. Der Staat hat ja auch bei der öffentlichen Infrastruktur selbst genug zu tun.

Nun reden einige von einer Pflichtversicherung. Auch das mag angehen, beim Versicherungsschutz gegen Feuer haben wir das auch. Aber bitte mit Selbstbehalten und klaren Bedingungen für den selbst zu leistenden Teil zur Brandvermeidung. Solange es keine Pflicht gibt, bleibt es bei Freiheit und Eigenverantwortung und dem Unterschied, ob man versichert ist oder nicht. Dies gilt auch dann, wenn der Schaden eintritt – das ist das persönliche Risiko, den Schaden selbst tragen zu müssen.

Lassen Sie mich das Erhard-Zitat wiederholen: „Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung kann auf die Dauer nur dann bestehen, wenn und solange auch im sozialen Leben der Nation ein Höchstmaß an Freiheit, an privater Initiative und Selbstvorsorge gewährleistet ist.“ Wenn man sich unabhängig davon, ob gerade Wahlkampf ist oder nicht, darauf verlassen könnte, dass politisch nach diesen Grundsätzen entschieden würde, würde manche Diskussion von Vornherein unterbleiben. Freiheit in Verantwortung würde einfach gelebt.

P.S.: Wenn diejenigen sich durchsetzen, die jetzt auch noch jedem Impf-Zögerling 100 Euro für die Impfung schenken wollen, dann wird Freiheit zur Pokerware, und die Verantwortung können wir vergessen.


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