Kann es eigentlich sein, dass wir eine linke Regierung im Sinne von Rot-Rot-Grün bekommen? Die Demoskopen – auch wenn sie sich oft irren – schließen das nicht aus. Aber eine inhaltliche Debatte, in der die Konvergenz der Positionen dieser drei Parteien transparent bewertet werden können, findet öffentlich kaum statt. Eine Buchvorstellung zum Thema Kinderarbeit brachte sie zusammen (vgl. Alexander Jürgs, „Alle gegen die Neoliberalen“ in der FAZ vom 11.09.2021, Seite 38). Am 9. September 2021 saßen in Frankfurt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die Links-Partei-Vorsitzende Janine Wissler und der Grünen-MdB Wolfgang Strengemann-Kuhn gemeinsam auf dem Podium.

Es ging, was uns als Ludwig-Erhard-Stiftung besonders interessiert, um die Grundlagen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Und da sah man dann spannende, vielleicht auch manche erschreckende Gemeinsamkeiten. Saskia Esken spricht vom „Ungeist des Neoliberalismus“ und Linken-Chefin Wissler vom „neoliberalen Gift“. Wolfgang Strengmann-Kuhn kann da nur beipflichten und von der immer noch bestehenden „Klassengesellschaft“ dozieren. Die Kenner der Parteiprogramme mag das nicht überraschen. Die Linkspartei wollte die Marktwirtschaft nie, die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock hielt sie für eine Erfindung der SPD, und die SPD hat ihren großen Schwenk zur Sozialen Marktwirtschaft im Godesberger Programm von 1957 heute anscheinend vergessen.

Diese Einstellungen zur freiheitlichen Wirtschaftsordnung haben konkrete Folgen für das Regierungshandeln. Eine Erhöhung des Mindestlohns wollen alle: Die SPD auf mindestens zwölf Euro, Grüne und Linke würden ihn gerne noch weiter anheben. Auch eine Grundsicherung für Kinder, die arme Familien besonders stark unterstützt, steht bei allen drei Parteien im Programm. Die Wiedereinführung einer Vermögensteuer sowieso. Der Satz von Annalena Baerbock „Jedes Verbot ist auch ein Innovationstreiber“ wäre vermutlich auch auf ungeteilte Zustimmung gestoßen.

Wenn derzeit über eine Zusammenarbeit von Rot-Rot-Grün gesprochen wird, stehen immer auch Fragen von der Landesverteidigung und der NATO im Mittelpunkt, und diese Fragen sind wichtig. Selbst wenn die Linke aus opportunistischen Machterwägungen diesen Punkt zunächst zurückstellen würde, um eine gemeinsame Regierung zu bilden, wäre eine gemeinsame Mehrheit dieser drei Parteien ein fundamentaler Bruch mit den zentralen Überzeugungen, die alle Kanzlermehrheiten von Adenauer über Schröder bis Merkel zur Sicherung von Freiheit und Wohlstand getragen haben.

Der „Kampf gegen den Neoliberalismus“ ist der ideologische Angriff auf die Freiheit eines jeden Bürgers, nach eigenem wirtschaftlichen Erfolg zu streben und frei von staatlicher Bevormundung sein Leben zu gestalten und zu verantworten. „Neoliberalismus“ als Begriff erlangte seine Bedeutung als Ergebnis einer Konferenz von Wirtschaftswissenschaftlern, Publizisten und Unternehmern im Jahr 1938 in Paris (Colloquium Walter Lippmann). Er war das Ergebnis der besorgten Diskussion unter dem Eindruck des NS-Regimes in Deutschland und der sozialen Herausforderungen in vielen westlichen Ländern. Er entstand als Zeichen der Übereinstimmung, dass eine freiheitliche Wirtschaftsordnung unter klaren Regeln des Wettbewerbs und unter Beachtung der Interessen aller Teile der Gesellschaft durch allgemeine Gesetze geschaffen werden müsse. Wir in Deutschland nennen das Ordnungspolitik, und einige der akademischen Väter unserer Sozialen Marktwirtschaft waren in Paris dabei. Diese Ordnung muss täglich neu gelebt werden. Sie ist das Gegenteil einer Verbotskultur, und sie macht Schluss mit allen Klassenideologien. Sie wurde geschaffen, die Macht der Politik über den Einzelnen und seinen Weg zum Glück zu begrenzen. Sie fürchtet den Staat als wissenden Vormund mit dem Hang zur Intoleranz.

All diese Themen sind auch heute aktuell. An ihnen entscheidet sich unser Weg in Deutschland und Europa. So viele Chancen wir auch haben, soviel wir aus den dunklen Zeiten unserer Geschichte auch gelernt haben mögen, die Gefahren für Freiheit und Wohlstand entstehen immer wieder neu. Immer wieder gibt es die Verführer, die dem Einzelnen anbieten, seine Risiken zu tragen und ihm Geborgenheit zu geben, wenn er nur sein Schicksal in die ach so klugen Hände dieser staatlichen Betreuer legt.

Man sollte Saskia Esken, Janine Wissler und Grüne wie Wolfgang Strengemann-Kuhn oder Annalena Baerbock ernst nehmen. Schade, dass man sie nur selten zusammen sieht. Über die Diskussion in Frankfurt wurde übrigens weder in der Frankfurter Rundschau noch in der TAZ berichtet. Lieber schweigt man und wartet ab.

Wie schon in einer Rundfunkansprache im Jahr 1949 wäre Ludwig Erhards heutiger Kommentar dazu vermutlich folgender gewesen: „Mit den süßesten Flötentönen bot sich die Planwirtschaft alias Zwangswirtschaft zur Überwindung der sozialen Spannungen an, aber mit ihr ist es wie mit dem Wolf im Märchen: Mit mehlbestaubten weißen Pfoten und Honig auf den Lippen begehrt sie Einlass, um dann die Lämmer zu reißen, die töricht genug waren, den Verlockungen Glauben zu schenken. Dabei macht es wenig aus, ob dogmatische Gebundenheit oder bei gutem Willen mangelnde Einsicht der Planwirtschaft das Wort redeten.“


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