Nicht häufig lesen Sie zwei Kommentare zum nahezu gleichen Thema in Folge an dieser Stelle. Aber die Entwicklung der letzten Tage bezüglich der Änderungen am Energiemarkt muss überzeugte Marktwirtschaftler umtreiben.

Zunächst: Entschiedene Schritte zur Bewältigung der sozialen Folgen des Stopps der russischen Energielieferungen als weiterem Teil des Angriffs Putins auf den freien Westen sind notwendig. Gerade die Gruppen ohne Erwerbseinkommen können die Situation ohne Hilfe nicht verkraften. Vieles mag man pragmatisch und auf den ersten Blick gut oder schlecht finden, aber das ist nicht prinzipiell.

Allerdings planen die Berliner Koalition und wohl auch die Brüsseler Kommission weitgehende Eingriffe in die Prinzipien der Marktordnung und den Preisfindungsmechanismus. Das mag an einigen Stellen populär klingen, dennoch ist es nicht zu Ende gedacht und wird so nicht funktionieren. Und wenn die Ankündigungen doch realisiert werden, so werden sie fatale Konsequenzen haben.

Wahrscheinlich ist das Ärgerlichste, dass den Bürgern suggeriert wird, der Staat könne einfach in die Preisbildung eingreifen, wie es ihm gerade gefällt – und das auch noch ohne negative Konsequenzen. Wir reden beim Strommarkt über ein sehr kompliziertes Geflecht von Akteuren und Marktplätzen. Möglichweise hat man in Koalitionsnächten am Wochenende nur an die Strompreisbörsen in Leipzig und Paris gedacht. Da springen die Preise in der Tat nach bestimmten Regeln nach oben und nach unten, dass dem Zuschauer schwindlig werden kann. Aber dort werden nur 25 Prozent des verbrauchten Stroms gehandelt! Alle anderen Transaktionen sind öffentlich nicht einsehbar, sondern ihnen liegen Vereinbarungen zwischen Energieproduzenten und meist regionalen Versorgern zugrunde (sogenannter OTC-Markt). Deren Preise sind oft langfristig vereinbart, und bei vielen dieser Verträge wird der höhere Strompreis erst im Laufe des kommenden Jahres wirksam. Was ist da ein Zufallsgewinn? Wo sollen 30 Milliarden Euro aus der Gasumlage herkommen, wenn nur ein kleiner Teil des Handels relevant ist? Daraus wird nichts werden.

Diese Fehlkalkulation wird uns in Form von zusätzlichen bis zu 30 Milliarden Euro Staatsschulden belasten. Noch schlimmer aber ist der Prinzipienbruch. Diese Prinzipien, die ja vergangene Woche in diesem Kommentar erläutert wurden, sind ziemlich neu. Man hätte vor einigen Jahren auch dem Rat der Energieversorger folgen und einen sogenannten „Kapazitätsmarkt“ schaffen können. Den aber wollte die Regierung nicht und entschied sich dafür, den Markt ungebremst die Preise bilden zu lassen. 2015 begründete der damalige Wirtschaftsminister Gabriel das so: „Zu einem funktionierenden Strommarkt gehören echte Knappheitspreise. Sie setzen die erforderlichen Investitionssignale.“ Darauf haben sich alle eingestellt. Das ist jetzt mit einem nächtlichen Handstreich zerstört. Das Markvertrauen ist weg, und es gibt keine neue Marktordnung. Das bedeutet den Stopp weiterer Investitionen, und das betrifft ausschließlich die erneuerbaren Energien, denn alle anderen investieren ohnehin nicht.

Selbst wenn man als Notmaßnahme an die in ganz Europa geltende sogenannte Merit Order herangehen wollte, gäbe es marktwirtschaftlich eine Antwort: Den Preis für die günstigeren Energien zeitlich befristet an die zweitteuerste Einspeisung zu binden, würde Gas weiter nutzbar machen, aber die übrigen Energien nicht krisenbedingt so stark verteuern. Für Marktwirtschaftler ist das keine Wunschlösung, aber besser als die jetzt geplante Zerstörung eines sehr effizienten Marktdesigns.

Die Erfolg versprechendste Möglichkeit, jenseits des Gases auf die Energiepreise einzuwirken, wäre es, alle anderen Produktionskapazitäten mit allen verfügbaren Kräften zu erhöhen. So reagieren Marktwirtschaften auf einen solchen Angebotsschock. Die zögerliche Nutzung der Kernenergie blockiert fünf Prozent der Produktionskapazitäten zur Deckung des Gesamtverbrauchs in diesem Winter. Ein starkes Zeichen wäre auch die sofortige (!!) befristete Aufhebung der Zertifizierungspflicht von durch Fachbetriebe installierte Solaranlagen. Die Biogasproduktion könnte sich vervielfachen, wenn ein künstlicher Produktionsdeckel aufgehoben würde. Noch immer ist das alles nicht passiert.

Jetzt bastelt Brüssel an einer Deckelung der russischen Gaspreise. Das ist eher Symbolik, denn der Deckel wird in Ländern wirksam, die Putin ohnehin nicht mehr beliefert. Auf der anderen Seite wird in der Energieproduktion und im Energiehandel weiteres Marktvertrauen zerstört.

Alle Erfahrung und Empirie zeigen, dass die Marktwirtschaft Krisen bewältigen kann. Gleichwohl spricht der Markt bisweilen auch eine schmerzhafte, unangenehme Sprache – um in diesem Prozess neue Ideen und Lösungen Wirklichkeit werden zu lassen. Wer jedoch dem Markt in den Arm fällt, bekommt vielleicht kurzfristig Applaus, aber schon in der mittleren Frist wird durch die Zerstörung von Märkten Zukunft verspielt.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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