Am 7. und 8. Dezember 2018 will die CDU als Volkspartei ihr Profil schärfen: neuer Vorsitz, neuer Wind, neues Parteiprogramm. Doch vor dem Programm liegt die Suche nach den Positionen. Der Bundesvorstand der CDU präsentiert zum anstehenden Parteitag in Hamburg deshalb den Antrag „Wirtschaft für den Menschen – Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert“.

Um das Ende des Antrags vorwegzunehmen: „Wir sind auf dem Weg zum Grundsatzprogramm 2020. Bis zum Jahr 2020 wollen wir die Herausforderungen unserer Zeit identifizieren, auf der Basis unserer Werte und Überzeugungen mögliche Lösung diskutieren und uns gemeinsam auf Antworten verständigen. Für diesen Prozess, an dem sich alle Mitglieder beteiligen können, nehmen wir uns gut zwei Jahre Zeit. Am Ende wollen wir mit einer überzeugenden Programmatik für die Zukunft Antworten auf neue Fragen geben und auf dieser Basis um Vertrauen und Zustimmung werben.“

Diese großzügige Zeitvorgabe ist umso erstaunlicher, da im Papier – mal nur angerissen, mal eingehender dargelegt – Themen abgehandelt werden, die seit Jahr und Tag im Fokus der politisch Interessierten stehen: Digitalisierung, Regulierung, Bildung, Globalisierung und zahlreiche ähnliche Schlagworte fordern „uns“ heraus. Dass man nun daran geht, die Herausforderungen zu identifizieren und zwei Jahre lang zu sammeln: Chapeau!

Schlagworte am laufenden Band

Die Verfasser haben keine Zweifel: Das alles und noch viel mehr ist in höchstem Maße wichtig, denn die „Leitgedanken geben für die Zukunft Orientierung“ (Zeile 79). Deshalb wollen und müssen „wir“ die „Instrumente richtig anwenden“ (Zeilen 85/86) und uns der Grundprinzipien „vergewissern, sie erneuern und stärken“ (Zeile 87). Doch Moment: Wenn Grundprinzipien erneuert oder zumindest gestärkt werden sollen, scheinen sie doch nicht so gewiss.

Welche Leitgedanken, Grundprinzipien und Rahmenbedingungen konkret gemeint sind, bleibt unklar. Denn Konkretisierung würde Festlegung bedeuten, und das könnte Diskussionen hervorrufen. Also bleibt man lieber im Vagen, beim Begriffe-Sammelsurium – und dürfte damit Zuspruch von allen Parteiflügeln erhalten. Vermutlich ist die Schnittmenge dessen, was die Antragsverfasser und die Leser des Papiers als relevant erachten, groß genug, um wohlwollendes Kopfnicken zu erzeugen. Zwar ist nicht deutlich, wer mit „wir“, „uns“, „unser“ etc. gemeint ist – nur die CDU oder vielleicht doch die Gesellschaft als Ganzes –, aber im Text sind Schlüsselworte in ausreichender Zahl eingestreut: zum Beispiel Solidarität, Subsidiarität, Werte, Demokratie, Ordnungspolitik und Wettbewerb. Wer wollte da Opposition betreiben? Immerhin soll die Soziale Marktwirtschaft „… uns, unseren Kindern und Enkeln auch unter veränderten Bedingungen ermöglichen, frei, sicher und gut zu leben“ (Zeilen 88 bis 91). Wer wollte das nicht? Allerdings: Was ist mit den Ur-Enkeln?

Die 1001 Delegierten des Parteitages haben Weiteres zu meistern:

  • „Erfolg und Sicherheitsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft sind für die Zukunft nicht selbstverständlich. Sie müssen jeden Tag aufs Neue erarbeitet … werden.“ (Zeilen 37 bis 40). Tagtäglich die Sicherheitsversprechen neu erarbeiten? Schwierig.
  • „Stattdessen sind wirtschaftspolitische Maßnahmen Gegenstand protektionistischen Vorgehens …“ (Zeile 66/67) – sprachliche Eigenheiten gehören wohl in Parteitagsanträge.
  • „Das Erwirtschaften ist Voraussetzung für das Verteilen und für soziale Politik“ (Zeile 121/122). Die eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes kann inzwischen wohl nur noch in Kombination mit Verteilen und Sozialpolitik gedacht werden.
  • Überhaupt lässt der Antrag ein wenig freiheitliches Menschenbild erahnen: Immer wieder wird der Mensch als Objekt der Politik „motiviert“, „besser belohnt“ oder seine Leistungsbereitschaft durch Abgaben möglichst uneingeschränkt gefördert (Zeilen 351 bis 363).
  • Im Antrag findet Politik hauptsächlich für „Menschen“ oder „Verbraucher“ statt, bis erkannt wird: „Für den Erfolg unseres Landes ist es wichtig, dass Frauen und Männer bereit sind, ein Unternehmen zu gründen und Risiken zu übernehmen“ (Zeilen 288 bis 290). Wäre das aktive Handeln nicht besser, als nur Bereitschaft zu signalisieren? Auf den Folgeseiten übernehmen dann wieder „Menschen“ und „Verbraucher“ die Rolle derer, die von den diffusen Weichenstellungen durch Politik profitieren sollen.
  • Auf jeden Fall blüht der Wohlstand für alle neu auf: „Dabei wollen wir möglichst vielen Menschen beim Aufbau eines eigenen Vermögens helfen“ (Zeile 371/372) sowie „Darüber hinaus setzen wir auf eine Sozialpartnerschaft, die den Arbeitnehmern hilft, Vermögen aufzubauen“ (Zeilen 527 bis 529).

Was lernen „wir“ daraus?

Wie bedeutsam und erkenntnisfördernd Parteitagsanträge grundsätzlich sein mögen: Deutlich wird, dass irgendetwas mit der Sozialen Marktwirtschaft geschehen sein muss, denn die Verfasser sehen das Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell „herausgefordert“ (Zeile 24). Andererseits: Wäre nicht eher die Politik herausgefordert, sich an den Grundsätzen, die eindringlich beschworen werden, zu orientieren? Immerhin beruft sich die CDU seit Jahrzehnten auf Ludwig Erhards Soziale Marktwirtschaft und ist auf Bundesebene seit 2005 in Regierungsverantwortung.

Der Antrag belegt eher, dass der ordnungspolitische Kompass auf dem Weg durch die politischen Gezeiten und Instanzen verloren gegangen ist. Auf den 21 Seiten reihen sich diffuse Vorstellungen aneinander, die alle irgendwie auf die Soziale Marktwirtschaft hingebogen werden. „Richtige“ Politik will doch wohl jeder. Eine überzeugende Argumentation dieses „Richtigen“ gelingt indes nicht. Der Antrag wirkt einmal mehr wie der verzweifelte Versuch, den Begriff Soziale Marktwirtschaft zu vereinnahmen, um mit der „Marke“ zu punkten. Und wenn trotz allem in zwei Jahren Substanzielleres den Weg ins künftige CDU-Parteiprogramm finden sollte: Das 21. Jahrhundert feiert dann bereits seinen 20. Geburtstag.

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