Lassen Sie uns kurz in der Zeit zurückblicken. Die Bundesregierung hätte am Anfang der Pandemie entscheiden können, dass alle Tests, Impfungen und Warnungen mit der Identitäts-Nummer jedes einzelnen aus dem Personalausweis verbunden werden. Mit Online-Geräten und einem kurzen Scan des Ausweises wären alle Tests, Erkrankungen und Impfungen zentral registriert gewesen. Ohne Bürokratie hätte man die Corona-Lage stundengenau und deutschlandweit dokumentieren können. Die Corona-App wäre über einen Code online verbunden gewesen und jeder Bürger hätte so die Freigabe zu Veranstaltungen und Gaststätten erhalten, sei es aufgrund einer Impfung, eines Tests oder einer Genesung. Nichts davon ist technisch unmöglich oder gar schwierig. Nichts davon würde den Schutz der Privatsphäre aushebeln. Aber die Überlastung der Gesundheitsämter, sowie das Fahnden nach dem X-ten Restaurantgast hätte es nie gegeben.

Für diesen Kommentar gilt die Geschichte nur als Illustration. Es geht um Digitalisierung. Dieses Thema ist fundamental für Deutschland. „Wohlstand für alle“ ist ohne Digitalisierung unmöglich. Wir liegen zurück und müssen aufholen. Das sagt ja auch gefühlt jeder. Aber was genau müssen wir aufholen? Zum einen fehlen uns Mut und Vertrauen, neue Technik wirklich zu nutzen. Und zum anderen fehlen uns die Konzepte, zu beweisen, wie unkompliziert das Leben in der neuen digitalisierten Welt sein kann.

Die Regierung Merkel war in dieser Hinsicht keineswegs untätig. Das Online-Zugangsgesetz wird hoffentlich den Bürger und die Verwaltung bis zum Ende des Jahres 2022 ein gewaltiges Stück näher zusammenbringen. Insgesamt 575 öffentliche Leistungen sollen dann für den Bürger online erreichbar sein! Ein gewaltiger Schritt, für den man die Daumen drücken muss. Aber in anderen Ländern sind diese Leistungen oft schon selbstverständlich.

Die Verhandler der möglicherweise zukünftigen Ampelkoalition haben nach den vorliegenden Berichten auf die Schaffung eines Digitalministeriums verzichtet. Das ist nach den intensiven Vorarbeiten zu bedauern. Aber die Einrichtung eines Ministeriums hätte auch nicht die Änderung von Strukturen ersetzt. Genau diese Änderung der Strukturen muss es jetzt geben. Wir brauchen einen digital leistungsfähigen Staat mit einer einheitlichen, reaktionsfähigen und sicheren digitalen Infrastruktur. Diese Aufgabe muss eine mit viel Autorität ausgestattete zentrale Instanz der Regierung bewältigen und sie darf nicht auf zahllose Ministerien verteilt werden. Gerade eine digitale Staatsverwaltung ist nicht die Ansammlung einer endlosen Zahl von Computern in endlos vielen Amtsstuben. Dafür würden wir nur belächelt und das würde außerdem unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf Dauer schwer beeinträchtigen.

Zwei zentrale Aufgaben müssen auf der Ebene des Bundes mit starker Hand von dieser Behörde übernommen werden: die Architektur und die Governance der digitalen Landschaft.

Digitale Architektur ist ein in vielen Ministerien gefürchtetes Wort. Keiner darf in Zukunft ein IT-System etablieren, dass nicht in eine einheitliche Konzeption des Bundes und der Länder passt. Computer müssen miteinander „sprechen“ und sich „verstehen“ können. Sie müssen trotz Datenschutz die prinzipielle Fähigkeit haben, Daten auszutauschen und sie müssen sich im Fall eines Schadens gegenseitig unterstützen können. Jedes Ministerium hat aber eine geradezu natürliche Sucht, digitale Inseln zu bauen, die für andere Behörden verschlossen sind. Genau das aber darf es nirgends mehr geben. Dazu gehört dann auch die IT-Governance.

Natürlich muss jedes Fachministerium an speziellen Lösungen für seinen Bereich arbeiten können. Die einheitliche elektronische Gesundheitskarte beispielsweise gehört natürlich ins Gesundheitsministerium. Eine zentrale Instanz sollte jedenfalls über die Reihenfolge der zu verteilenden Mittel und die Ressourcen für Entwickler entscheiden. Diese Instanz sollte auch über Sicherheitsrichtlinien, Transparenzstandards und die Platzierung auf der einheitlichen Plattform bestimmen. Eine solche Instanz, die Architektur und Governance verwaltet, muss selbstverständlich auch über die Geldmittel verfügen, die den einzelnen Projekten zugeteilt werden und die an klare Meilensteine des Erfolgs gekoppelt werden müssen.

Für das Funktionieren einer marktwirtschaftlichen Ordnung hat der Staat eine bedeutende Aufgabe. Nur wenn die öffentliche Verwaltung auch digital auf der Höhe der Zeit ist, kann jedes einzelne Unternehmen im Wettbewerb bestehen, denn es werden zahlreiche Genehmigungen, Überwachungsberichte und Förderzusagen schneller bearbeitet werden können. Heute sind die meisten dieser Schritte eher ein Alptraum.

Ein digitaler Staat könnte dann hoffentlich auch die Bürger überzeugen, dass ihre Daten sicher sind. Die Nutzung von persönlichen Daten – unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte – ebenso wie die Auswertung der massenhaft bei staatlichen Stellen anfallenden Daten bei Bürgeranliegen, Genehmigungsverfahren und den Green Taxonomies der EU wären ein gewaltiger Sprung nach vorne.

Mit der Nutzung einer digitalen Option, zum Beispiel der ID-Nummer unserer Personalausweise hätten wir keine Soldaten in Gesundheitsämtern gebraucht, Ansteckungsketten schneller unterbinden und somit den menschlichen und finanziellen Schaden geringer halten können. Das sollte in vier Jahren anders sein. Wenn man glaubt, dazu kein Digitalministerium zu brauchen, ist das zu respektieren. Aber einer oder eine muss die Verantwortung für das Ganze übernehmen.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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