Die strategische Position der freien Welt gegenüber der Volksrepublik China steht zurzeit auf dem Prüfstand. Seit Monaten kann die Bundesregierung sich nicht auf eine gemeinsame China-Strategie einigen, geschweige denn sie zuvor transparent in der Gesellschaft diskutieren. So sind alle Politikberater, diplomatischen Stäbe, Wirtschaftsunternehmen und ihre Lobbyisten ohne jeden transparenten Prozess unterwegs und versuchen, die Koalitionsparteien und das mit der Außenministerin streitende Kanzleramt nach ihren Vorstellungen und Interessen auf Kurs zu bringen.

China ist und wird auch keine Marktwirtschaft werden

Die im wirtschaftlichen Bereich zu beantwortenden Fragen sind in der Tat von grundlegender Bedeutung. Über viele Jahre ist man davon ausgegangen, dass sich die Marktwirtschaft global durchsetzen wird. Im Fall Chinas war die Frage, wie schnell sich die Volksrepublik den WTO-Regeln anpassen würde. Der Status einer „Marktwirtschaft“ wurde ihr dabei – ganz sicher voreilig – schon frühzeitig zugestanden. Jetzt ist alles anders. Mittlerweile stellen nicht nur die autokratischen Systeme den von staatlichen Einflüssen unbeeinflussten Handel in Frage. Sogar in den USA, die ja oft als Beispiel für den „reinen Kapitalismus“ angeführt werden, kommt purer Protektionismus zum Zug: Das kann man etwa an Teilen des „Inflation Reduction Act“ sehen. Es gibt zwar geostrategische Gründe, bestimmte Technologien national zu schützen. Aber es gibt auch ordnungspolitische Gründe für staatliche Eingriffe, etwa wenn es um Wettbewerbsverzerrungen durch Staatsunternehmen geht.

Die Risiken Chinas müssen in die Marktpreise

Zurück zu China. Die chinesische Volkswirtschaft ist ein großer und nach wie vor sehr attraktiver Markt für deutsche und europäische Unternehmen. Wir sind in zahlreichen Lieferketten und bei der Versorgung mit Rohstoffen von China abhängig geworden und haben das sehr lange ignoriert. Das muss sich ändern. Doch welche Rolle sollte in Europa der Staat dabei spielen? Aus der Sicht der Gedanken Ludwig Erhards kann man sicher sagen, die staatliche Rolle sollte so gering wie möglich und die private Selbstregulierung das Primat haben. Dies muss im Einzelnen genau austariert werden. Was bedeutet das konkret?

  1. Fragen nationaler Sicherheit bedürfen der staatlichen Vorgabe. Da in der geostrategischen Welt mit Auseinandersetzungen unter Einschluss von Gewalt gerechnet werden muss, gleichgültig ob es um Panzer- oder Cyberattacken geht, müssen kritische Infrastrukturen frei von globalen Abhängigkeiten sein. Und militärisch nutzbare Wirtschaftsgüter brauchen eine strenge an nationalen Interessen orientierte Regulierung.
  2. Der Staat muss die Wettbewerbsordnung schützen. Schon jetzt werden bei den kartellrechtlichen Prüfungen in Europa die staatseigenen chinesischen Betriebe als ein gemeinsam agierendes Konglomerat angesehen, und das ist absolut richtig. Auch die jeweiligen Beihilferegelungen müssen wettbewerbsrechtlich überwacht werden, wobei Europa sicher gut daran täte, nicht selbst immer mehr Beihilfe-Milliarden mit immer mehr Ausnahmen zu ermöglichen. Industriepolitik ist auch bei uns in Europa inzwischen ein Problem.
  3. Es bedarf keiner Regulierung der Aktivitäten deutscher und europäischer Unternehmen in China. Das bedeutet jedoch, dass die bisherigen Versicherungen gegen wirtschaftlich oder politisch bedingte Forderungsausfälle, wie das Euler-Hermes-Regime, den neuen Realitäten angepasst werden müssen. Allein die Taiwan-Frage birgt schon das Risiko, dass die Wirtschaftsbeziehungen sehr schnell in eine Eiszeit geraten. Handelsembargos, Betätigungsverbote in China, gesperrte Frachtrouten, das alles sind sehr realistische Szenarien. Die müssen in den Preisen abgebildet werden und dürfen nicht vom Steuerzahler versichert werden. Klumpen-Risiken in China müssen sich im Aktienkurs abbilden, müssen Einfluss auf Kredit-Ratings haben und damit die Extrachancen und Ertragsrisiken realistisch abbilden. In den Lieferketten müssen Ausfälle durch mangelnde Vielfalt an Quellen durch den Markt sanktioniert werden. Das Vertrauen in chinesische Lieferfähigkeit ist mit einem höheren Risiko behaftet und keine objektive Unmöglichkeit der Leistung.
  4. Es muss eine klare Position geben, dass staatliche Rettungsmaßnahmen, wie wir sie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gesehen haben, im Falle Chinas nicht zur Verfügung stehen. Wegen China geht nur in die Insolvenz, wer nicht ausreichend vorgesorgt hat.

China zu isolieren, ist keine Lösung

Der wirtschaftliche Austausch mit China bleibt unter diesen Bedingungen wünschenswert. Internationale Wirtschaftsabkommen können den Komfort des Vertrauens erhöhen, aber es muss damit kalkuliert werden, dass die Konflikte so fundamental werden können, dass Abkommen jedenfalls zeitweise keinen Bestand haben.

Nun mag es einige geben, die, ähnlich wie in den Aussagen von Frankreichs Präsident Macron, die Hoffnung auf Risikominimierung durch europäische Sonderwege haben. Privatwirtschaftlich ist eine solche Spekulation natürlich erlaubt. Allerdings sollten staatliche Organe eher vor diesen Spekulationen warnen. In den großen geopolitischen Fragen hat Europa noch auf sehr lange Zeit nicht die geringsten Chancen, sich von den USA abzusetzen. Dafür hätten wir seit Jahrzehnten eine europäische Verteidigungsfähigkeit aufbauen müssen. Aber das Geld haben wir uns gespart, und mit den Folgen müssen wir noch lange leben.

Der Vorschlag der EU-Kommission, in Zukunft alle China-Investitionen an eine Behörde zu melden, ist falsch. Eine China-Strategie muss die ökonomische Verantwortung schnell und eindeutig auf die Unternehmen übertragen. Wenn das geschieht, brauchen wir keine neue Bürokratie. Auch hier ist der Markt besser und schneller.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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