Heute vor einem Jahr wachten wir auf, und die Nachrichten liefen über mit den Berichten vom erneuten Überfall Russlands auf die Ukraine. Seit einem Jahr sterben tausende von Soldaten und Zivilisten in einem Krieg, den viele in Europa für unmöglich gehalten hatten. Seit einem Jahr beeindruckt uns das ukrainische Volk mit Freiheitswillen, Tapferkeit, Kreativität, und Widerstandsfähigkeit.

Menschenverachtende Zerstörung von Freiheit in der Ukraine

In den meisten Kommentaren lesen Sie hier von wirtschafts- und ordnungspolitischen Fragen, von Handel und Innovation. Das „Wirtschaftswunder“ und die Soziale Marktwirtschaft werden mit unserem Stiftungsgründer eben ganz besonders verbunden. Aber unsere Satzung spricht ganz bewusst von der Förderung „freiheitlicher Grundsätze in Politik und Wirtschaft“. Ohne Freiheit des Einzelnen und ohne einen demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaat gibt es keine Ordnung, die den Menschen gerecht wird und auch keine Soziale Marktwirtschaft.

Putins Armee spart nicht mit drastischen Beispielen einer menschverachtenden Zerstörung von Freiheit, wo immer ein ukrainisches Dorf besetzt wird. Erschießungen auf offener Straße, Folterkeller und Denunziation, Propagandabefehle an Lehrer und Zwangsdeportationen von Kindern; dies alles steht den ukrainischen Soldatinnen und Soldaten vor Augen, wenn sie mit bewundernswerter Entschlossenheit die Front halten und so manche Region wieder befreien. Sie kämpfen keinen abstrakten Kampf um Einflusszonen und Geschichtsbilder. Sie wollen leben wie wir und sie wollen nicht zurück in ein Gefängnis der Willkür.

Wie leicht lassen sich im schon von der bloßen Bedrohung einer Gaskrise verängstigten Deutschland Forderungen nach einem Waffenstillstand und nach einem Stopp der Unterstützung mit Waffen formulieren! Ja, bei uns schellt kein Soldat an der Tür eines Lehrers, um ihn zur Vernehmung zu bringen, weil er die Demokratie gelobt hat. In Kiew oder Lemberg hat diese Angst jeder Demokrat. Aber sind wir hier nicht auch bedroht?

Freiheit erfordert den ernsten Willen, sich notfalls militärisch zu verteidigen

Wer Putin seit vielen Jahren, spätestens aber seit 2014, zuhört, der muss wissen, dass die Ukraine ein tragisches und blutiges Symbol ist, aber nicht der Grund des Krieges. Der Anspruch des russischen Diktators, die Nachbarvölker unterwerfen zu dürfen, bedroht unsere direkten Nachbarn, unsere Verbündeten und auch uns. Unsere von – jedenfalls aus heutiger Sicht – naiven Friedensgedanken geschaffene mangelnde Verteidigungsfähigkeit war eine Einladung. Wer nur für wenige Tage Munition hat, provoziert den Aggressor.

„Demokratien sind noch niemals – wie wir es ja selbst erlebt haben – durch mächtige Organisationen vor dem Verfall bewahrt worden; sie können und werden vielmehr immer nur so lange bestehen, als sie von Menschen getragen werden, die um den Wert und den Segen der Freiheit wissen. Wo Demokratien bedroht sind, bedarf es des persönlichen Mutes, ja ich möchte es profan ausdrücken, der Zivilcourage der Staatsbürger zur Selbstbehauptung.“ Das sagte Ludwig Erhard auf dem Bundesparteitag der CDU im Mai 1957. Es war die Zeit der Wiederbewaffnung. Am 6. Mai 1955 war Deutschland der NATO beigetreten und am 8. Juli wurde der erste Bundesverteidigungsminister (Theodor Blank) berufen. Am 15. September erhielt die CDU zum einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine absolute Mehrheit. Der Schutz der Freiheit durch den ernsten Willen, sie notfalls auch militärisch zu verteidigen, ist auch heute unverzichtbar, wenn Frieden und Freiheit stabil bleiben sollen. Leider.

Das hat Konsequenzen. Wir müssen die Ukraine in die Lage versetzen, ihr Land zu befreien und zu verteidigen. Es ist kurzfristig besser, die ohnehin schwache Bundeswehr durch Nutzung ihrer Bestände weiter zu schwächen, wenn dadurch die Kämpfe an der Front verkürzt werden können. Wir müssen nicht von Kriegsproduktion sprechen, aber die Militärausrüster müssen dennoch rund um die Uhr arbeiten können, sie müssen privilegierten Zugang zu Material und Rohstoffen und privilegierte Nutzung der Transportwege erhalten. Die Verteidigungsausgaben müssen steigen, auch wenn die Zusage des Bundeskanzlers, dass alle anderen Ausgaben darunter nicht leiden werden, nicht eingehalten werden kann. Und auch die Generation der jungen Menschen in Deutschland muss mit Zivil- und Katastrophenschutz und der Fähigkeit, ihre Heimat verteidigen zu können, vertraut gemacht werden. Genau das war die Entscheidung von 1957.

Demokratische Mehrheit zur Verteidigung muss immer neu errungen werden

Der Bundeskanzler hat seine für mich schwer verkraftbare Zögerlichkeit bei der Unterstützung der Ukraine auch mit dem engen Schulterschluss mit den USA und unserer Abhängigkeit von deren atomaren Schutzschirm begründet. Auch wenn das wohl eher eine Schutzbehauptung war, sollten wir unsere Abhängigkeit von der Solidarität unserer europäischen Nachbarn und von den USA immer im Auge behalten. Auch darin liegt ja die Staatskunst von Adenauer und Erhard. Deutschland will keine Weltmacht sein, aber wir müssen mit anderen Zusammen die Kraft einer Weltmacht haben. Unser „Wirtschaftswunder“ war nur im Schutz der freien Nationen möglich. Unser Beitrag zu diesem kollektiven Schutz kann nicht in Geld und humanitärer Hilfe allein geleistet werden. Er beinhaltet unverzichtbar sowohl militärische Stärke als auch die Bereitschaft einer demokratischen Mehrheit, diese in Stunden allergrößter Bedrohung zuhause und im Bündnis einzusetzen. Dazu braucht es eine politische Führung, die um diese Wahrheit keinen Bogen macht.

Noch einmal Ludwig Erhard im Jahr 1952: „Es gibt meiner Ansicht nach keine würdigere Haltung als die, zu den höchsten Anstrengungen bereit zu sein, um das zu schützen, was uns das Leben bedeutet, nämlich die Freiheit!“


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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