Am heutigen Freitag wird der Deutsche Bundestag den Bundeshaushalt für das Jahr 2023 beschließen. Dieser Haushalt führt den Zahlen nach wieder zurück zu den Regelwerten der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse. Das könnte eine beruhigende Nachricht sein, wenngleich der Bundesfinanzminister auch diesen Akt wohl erst gegen seine Regierungspartner durchsetzen musste. Zudem ist der Bundeshaushalt kein Abbild mehr der tatsächlichen Finanzsituation des Landes.

Für 2023 ist eine Kreditaufnahme von 45,61 Milliarden Euro vorgesehen. Wie gesagt, das bewegt sich im Rahmen des Grundgesetzes, auch wenn seit der Einbringung des Haushaltes im vergangenen Sommer 28 Milliarden Euro hinzugekommen sind. Aber wenn man ausrechnet, was unsere Kinder zurückzahlen müssen, sind das nicht einmal 10 Prozent der tatsächlichen Lasten. Das kreditfinanzierte Bundeswehr-Sondervermögen macht 100 Milliarden Euro aus. 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen stecken im Klima- und Transformationsfonds. Knapp 140 Milliarden Euro neue Schulden sind zur Deckung des regulären Bundesetats für 2022 eingeplant. Ob sie komplett genutzt werden müssen, ist noch unklar, sonst bleiben sie als Kreditermächtigung bestehen. Zusammen sind es jetzt 500 Milliarden Euro seit Januar. Damit steuert die Bundesschuld mittelfristig auf ein Volumen von zwei Billionen Euro zu, eine Verdopplung seit 2019.

Auch wenn die besondere Lage nach Pandemie und Putin-Überfall sicherlich nicht mit normalen Maßstäben gemessen werden kann, ist diese Entwicklung weit dramatischer, als die Regierung einräumen will. Die Schuldenbremse ist ein Erfolgsmodell, welches nur dann seine dauerhafte Wirkung entfaltet, wenn nicht deren Umgehung zum tagespolitischen Werkzeug der Politik wird.

So unbequem es in Zeiten einer zumindest leichten Rezession (und es kann auch schlimmer kommen) ist, so deutlich muss gesagt werden: die laufenden Staatsausgaben sind zu hoch. Das gerade beschlossene Bürgergeld wird den Bundeshaushalt mit zusätzlich rund 5 Milliarden Euro belasten. Die beachtlichen Milliardenbeträge durch Zuschüsse zur Renten- und Krankenversicherung wurden schon angesprochen. Die Personalkosten werden gerade in den öffentlichen Haushalten der Länder und Gemeinden dramatische Spuren der Inflation zeigen. Steuererhöhungen schließt der Bundesfinanzminister zurecht aus. Daraus folgt im Wesentlichen eines, nämlich dass die mittelfristige Planung nicht konsistent ist. Es gibt weder Bemühungen zur strukturellen Einsparung, die für die Haushalte der Arbeits- und Sozialminister bindend sind, noch eine Strategie zur Schaffung größeren Wirtschaftswachstums.

Die uns derzeit so in Atem haltende Inflation ist jedoch weder in Europa noch in den USA allein eine Kriegs- und Energiepreisfolge. Die Indikatoren zeigten schon vorher – von der Fed in den USA bemerkt und von der EZB in Europa ignoriert – fundamentalen Inflationsdruck. Es ist zu viel Staatsgeld im Umlauf! Die Notenbanken kämpfen gegen die Fiskalpolitik und werden so bei der Erfüllung ihres Auftrags, die Inflation einzudämmen, behindert. Diese Entwicklung wird durch die Beschlüsse des Deutschen Bundetages nicht aufgehalten. Und sie wird Auswirkungen in den Ländern der Europäischen Union haben.

Denn eben in der EU rückt der Umgang mit der Staatsverschuldung verstärkt in den Blickpunkt. Die Europäische Kommission hat neue Regeln für die Verschuldung der EU-Staaten vorgelegt, und manche der dort geäußerten Vorschläge könnten bei konsequenter Anwendung durchaus zu einer größeren Disziplin der hochverschuldeten Länder Europas führen. Aber dies wird konterkariert durch eine gefährliche Streckung der Tilgungszeiten. In dem Entwurf werden zudem vielerlei Gründe für Verschiebungen des Schuldenabbaus etabliert: von Klimapolitik über Wachstumspolitik bis hin zu sozialen Zielen. Und die deutsche Politik mit ihrem „5oo-Milliarden-Wumms“ in diesem Jahr wird da ganz sicher weiche Knie bekommen. Wer die Regeln selbst so freihändig gestaltet, wer die anderen Partner mit großen Summen überrascht und empört, hat seinen Anspruch als Anker der Stabilität vermutlich verloren. Das muss in Hinblick auf die kommenden Monate in der Europäischen Union große Sorgen machen.

In den vergangenen Jahren konnte Deutschland durch einen stabilen Wachstumspfad manche großzügigere Kreditinanspruchnahme verkraften. Diese Zeit ist vorbei. Zunächst einmal wird Deutschland wieder „die lahme Ente“ Europas werden. Das muss nicht so bleiben, aber dann muss die Politik Rahmenbedingungen für höheres Wachstum schaffen. Wer hat in Berlin den Mut dazu und nimmt sich die Zeit dafür?

Ohne strukturelle Sanierung der Kostenblöcke bei den Sozialleistungen und in der Altersversorgung werden wir den Pfad der Schulden nicht verlassen können. Selbst bei Einsparungen in diesen Blöcken wird ohne überproportionales Wachstum der Weg der Schuldenpolitik nicht zu stoppen sein. Das alles schafft für die Europäische Zentralbank große Herausforderungen. In den kommenden zwei Jahren muss sich zeigen, ob im EZB-Turm in Frankfurt der Geist der Unabhängigkeit und der Stabilitätsverantwortung herrscht, den die Deutsche Bundesbank über Jahrzehnte vorgegeben hat. Die deutsche Finanzpolitik der letzten zwölf Monate gibt diesbezüglich leider keinen Anlass zum Optimismus.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Wenn Sie ERHARD HEUTE regelmäßig lesen möchten, können Sie die Kolumne hier abonnieren.

DRUCKEN
DRUCKEN