In diesen Wochen erleben wir in monatlichen Rhythmen weltweit das gleiche Szenario: Die Notenbanken erhöhen die Leitzinsen, meist sogar drastisch, die Aktienmärkte verfallen in leichte Panik, und Wirtschaftsexperten warnen vor dem „Risiko“ einer Rezession. Wir haben dies in den letzten 48 Stunden nach den jüngsten Beschlüssen der amerikanischen Notenbank gerade wieder erlebt. Es ist zu erwarten, dass sich diese Routine noch einige Male wiederholen wird, denn – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – die Zinsen sind global noch immer zu niedrig, um die Inflation wirksam zu bremsen. Die Rezession, also die Schrumpfung der gesamtwirtschaftlichen Leistung, ist die logische und, wichtiger noch, auch notwendige Folge schnell ansteigender Inflationsraten.

Niemand wünscht sich eine Rezession. Sie kostet die Bürger Kaufkraft, treibt Unternehmen in den Konkurs und vernichtet Arbeitsplätze. Dennoch müssen Anhänger der Marktwirtschaft in Wirtschaft, Regierung und Wissenschaft mehr Mut entwickeln, die jetzt nötigen Schritte einschließlich einer aufkommenden Rezession als Teil der Heilung und nicht als Teil eines unaufhaltsamen Abstiegs darzustellen.

Aktuell sehen wir alle, dass die Preise zu schnell steigen. Die betroffenen Sektoren sind nicht nur durch Energiepreise beeinflusst. Lieferketten, Krieg, Überhitzung am Bau, importierte Inflation aus den USA, das alles hat sich zusammengebraut. Preise werden nur sinken, wenn sie vom Markt nicht mehr gezahlt werden. Hohe Leitzinsen machen Kredite und damit Investitionen teurer und sorgen dafür, dass weniger gekauft wird. So können die Preise sinken. Zugleich bleibt es bei dem von Ludwig Erhard immer betonten psychologischen Effekt. Wenn die Notenbank hart auftritt, glaubt man an das Absinken der Inflationsrate, und die Preiserhöhungen fallen vorsichtiger aus, was die Inflationsrate ebenso senkt.

Wir dürfen nicht die Augen davor schließen, dass in marktwirtschaftlichen Systemen Rezessionen ein notwendiges Übel sind. Sie dienen dazu, die Spreu vom Weizen zu trennen und Fehlinvestitionen und Überkapazitäten möglichst schnell zu beseitigen.

Wir wissen mit diesen Entwicklungen umzugehen und können dies historisch auch belegen. Keith Wade, Chefvolkswirt der weltweit operierenden Vermögensverwaltung Schroders, hat die Rezessionen der Jahrzehnte seit 1960 in den USA analysiert. Die US-Wirtschaft befand sich seit 1960 neunmal auf einem Höhepunkt und geriet dann jeweils in eine Rezession, bevor sie einige Monate später ihren Tiefpunkt erreichte. Diese Kontraktionen in den USA dauerten zwischen sechs und 18 Monaten und sind nach Meinung von Wade „eher typisch für das, was wir in Zukunft erwarten könnten.“ Die Maßnahmen wirkten auch. Die Inflation fiel während der sogenannten „Großen Rezession“ von 2007 bis 2009 um 5,5 Prozentpunkte und während der zweiten, sogenannten „Volcker“-Rezession von 1981 bis 1982 um 6,2 Prozentpunkte. Aber der Preis war ein Absinken des BIP um 3,8 bzw. 2,5 Prozent.

Ein großes Risiko bei der verspäteten Inflationsbekämpfung ist die Ingangsetzung der Preis-Lohn-Spirale. Noch einmal Wade: „Einer der Gründe, warum sich die Inflation in den 1970er und frühen 80er Jahren als so hartnäckig erwies, war der Anstieg der Löhne, der auf den anfänglichen Inflationsschub folgte. Nachfolgende Zweitrundeneffekte hielten die Inflation hoch, während Löhne und Kosten stiegen. Dies spiegelte weitgehend einen Mangel an Vertrauen in die Fähigkeit der Behörden wider, die Inflation zu senken.“

In unserer jetzigen Lage gibt es leider keine sanfte Landung mehr. Der ideale Pfad wäre jetzt eine strikte und glaubwürdige Notenbankpolitik, hoffentlich verbunden mit einer Stabilisierung der Rohstoffpreise durch schnelle Verbreiterung des Angebots. Das könnte auch den Tarifparteien Mäßigung ermöglichen. Sollte die Politik auf die Idee kommen, die Rezession durch neues Geld zu verdrängen, werden die Wunden tiefer werden.

Man kann Rezessionen nicht attraktiv finden. Aber in einer marktwirtschaftlichen Ordnung muss man die Institutionen in Politik und Währung daran messen, ob sie in der Lage sind, sie kontrolliert entstehen zu lassen, um nach dem Fieber schnell zu alter Stärke zu kommen. Gerade in von so vielen Herausforderungen aufgewühlten Demokratien ist es wichtig, diese Effekte auch gegenüber jedermann zu erklären. Da die EZB erst auf dem falschen Pfad war und die Bundesregierung eher in einer Rhetorik des Verdrängens verharrte, führen die aktuellen Ereignisse zu einem Verlust von Vertrauen in die Marktwirtschaft. Das Gegenteil wäre besser.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Wenn Sie ERHARD HEUTE regelmäßig lesen möchten, können Sie die Kolumne hier abonnieren.

DRUCKEN
DRUCKEN