Karl Lauterbach und seine Expertise sind in diesen Tagen sehr wichtig für unser Land, und man muss ihm einfach Glück wünschen. Aber wenn es in Tiefen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geht, ist der Harvard-Alumni auf die falsche Spur der Staatswirtschaft geraten.

Ich möchte über die Kompetenz zur Entscheidung über „gerechte“ Löhne sprechen. Für Karl Lauterbach geht es um eine „gerechte Verteilung“ des Pflegebonus. Dazu will er rechtlich verbindliche Regeln erlassen. Erinnern wir uns: Vor einem Jahr entschied die Regierung schon einmal zu Gunsten eines Bonus für Pflegekräfte. Es ging sehr pauschal zu, Intensivpflege bis zu 1500 Euro und bei mehr als 25 Prozent der Arbeit mit Covid-Patienten im Normalbetrieb bis 1000 Euro. Das alles konnte durch die Länder aufgestockt werden. Am Ende stand ein Steuerfreibetrag von 1500 Euro.

Um es klar zu sagen, der Wille der Politik, eine Geste der Dankbarkeit mit Mitteln des Steuerzahlers an die besonders beanspruchten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege zu senden, hat gute Motive und findet zu Recht viel Zustimmung. Das gilt noch für die zweite Runde. Aber Lauterbach und die neue Koalition wollten es weniger pauschal und somit „gerechter“ haben. Schon im letzten Jahr gab es die Fragen: nur Pfleger oder auch Techniker und Reinigungskräfte? Was ist mit Krankenhauspersonal, das wegen der Vorschriften zum Freihalten von Betten in die Kurzarbeit mussten? Und noch einige mehr.

Die neue Koalition hat sich eine Auszeit genommen, um objektive Kriterien zu finden. Maria Klein-Schmeink, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, sagte dazu fast verzweifelt, es sei insbesondere unklar, wie der Kreis der Begünstigten „treffsicher“ ermittelt werden könne. „Nicht einmal das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus konnte uns dazu belastbare Angaben machen.“ Aber diese Treffsicherheit gibt es auch nicht. Schließlich reden wir von dutzenden von Berufsbildern im Krankenhaus und in der Altenpflege und noch einmal von dutzenden von Berufen, die die Arbeit der Pflegenden erst möglich machen, in Unikliniken und Belegbettenhäusern auf dem Land, in der ambulanten und der stationären Pflege, in der Demenzstation und in der Ergotherapie. Was ist gerecht? Wer soll das wissen?

Löhne sind der Preis für Arbeit. Dieser Preis bildet sich grundsätzlich am Markt. Und der Markt kennt die Antwort. Aus der Personalnot der Einrichtungen ist in den letzten Jahren ein Anstieg der gezahlten Löhne für Fachkräfte weit oberhalb des durchschnittlichen Anstiegs der Einkommen entstanden. Es spricht alles dafür, dass dieser Anstieg sich fortsetzt. Es gibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Tarifverträgen und – was nicht jedem gefallen muss – auch eine große Zahl von Anbietern bei den Altenpflegeeinrichtungen ohne Tarifvertrag. In dieser komplexen Landschaft will der Staat jetzt Ordnung schaffen. Das heißt „gerechte“ Bezahlung und das heißt dann die Abschaffung aller Differenzierungen, die sich gebildet haben.

Das ist der Staat der Planwirtschaft, und der ist immer gescheitert. Der Grund des Scheiterns ist die verzweifelte Feststellung der Sprecherin der Grünen „Nicht einmal das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus konnte uns dazu belastbare Angaben machen.“  Deshalb gibt es Marktwirtschaft. So finden sich faire Preise in unendlicher Zahl, angepasst an die konkrete Tätigkeit, angepasst an die Arbeitsmarktlage und angepasst an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers. Schon der Gedanke, man könne da „Ordnung und Gerechtigkeit“ durch Rechtsverordnung herstellen, geht in die ganz falsche Richtung.

Bedeutet das, dass die Anhänger einer Sozialen Marktwirtschaft sich gar nicht vorstellen können, den Pflegekräften ein Zeichen der Anerkennung und des Ausgleichs für große Belastungen zu senden? Die Antwort ist ein klares Nein. Aber die Vereinbarungen müssen frei zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erfolgen, die wissen es so viel besser. Diese Vereinbarungen werden wieder so vielfältig sein, dass kein Institut sie in Kategorien einteilen kann, und genau das ist ihr Vorteil. Der Staat sollte zunächst mit Steuerfreibeträgen antreten. Jeder Bonus-Cent, den ein Arbeitnehmer bekommt, bleibt vom Steuerstaat verschont. Da sind 3000 Euro im Jahr schon ein Signal. Wenn es dann noch einen Zuschuss geben soll, dann kann jeder Arbeitgeber für einen von einem Tarifvertrag abgeleiteten Bonus zu einem gewissen Prozentsatz – der kann auch hoch sein – diesen Zuschuss vom Staat erhalten.

Der Staat als Verwalter der Einzelfallgerechtigkeit bei der Bestimmung von Marktpreisen wird immer scheitern. Denn er weiß in Wahrheit nicht, was er tut. Das Ganze müssen in einem freien Land Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst aushandeln. Der Glaube, es gebe ein perfektes und damit „gerechtes“ System wird eine Illusion bleiben. Aber je mehr einzelne Akteure an der Aushandlung der richtigen Lösung mitwirken, umso wahrscheinlicher ist es, dass ganz viele Einzelfälle gerecht behandelt werden.


Prof. Dr. h.c. mult. Roland Koch ist Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

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