Besprochen wird: Thomas Mayer, Das Inflationsgespenst: Eine Weltgeschichte von Geld und Wert. Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, 2022, 400 Seiten.

Wenn Thomas Mayer ein Buch über die Weltgeschichte von Geld und Wert vorlegt, sollte man hellhörig werden. Denn der 1954 geborene Ökonom war in seinem Berufsleben stets dort zuhause, wo über Geld und Wert entschieden wird. Seine Laufbahn führt an die Orte, an denen Geldgeschichte geschrieben wird. Ob beim Internationalen Währungsfonds in New York, bei Goldman Sachs in der Finanzmetropole London, bei der Deutschen Bank in Frankfurt oder derzeit bei Flossbach von Storch, einem der größten privaten Vermögensverwalter Deutschlands.

In den ersten Teil des Buches steigt Mayer mit einem kurzen, ideengeschichtlichen Überblick über Sichtweisen auf das Phänomen Geld ein. Nach dem Crashkurs der Wertlehre folgen Erklärungsmöglichkeiten zur geschichtlichen Entstehung von Geld. Lebendig wird die Entwicklung vom Warengeld hin zum modernen Papiergeld geschildert. Die kompakte Reise durch die Geldgeschichte macht deutlich, dass Macht über die Produktion von Geld mit einem gewaltigen Anreiz zum Missbrauch einhergeht. Ein kurzes Kapitel widmet Mayer der Entstehung der Zentralbanken. Im vierten, etwas umfangreicheren Kapitel weitet der Autor den Blick auf globale Entwicklungen der Geld- und Wirtschaftsordnung. Mayer zeigt die Rolle der Deckung von Währungen durch Edelmetalle, u.a. anhand des Bretton-Woods-Systems der Nachkriegsära. Die Epoche des Ausstiegs vieler Staaten aus der Goldwährung ist für Flossbachs Top-Ökonom Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis keynesianischen Konjunkturpolitik. Gut ausgerüstet mit theoretischer Einsicht ist der Leser präpariert für die faktenreiche Schilderung der Währungspolitik bis in die jüngste Zeit.

Der zweite Teil des Buches beginnt mit einem Überblick über historische Währungskrisen. Sowohl die Mississippi-Blase des 19. Jahrhunderts, die folgenreiche Ausgabe von „Assignaten“ unter Ludwig XVI., die verheerende Hyperinflation in Deutschland, die große Depression in den USA und schließlich auch die Subprime-Krise zeigen: Am zielsichersten kann der Kapitalismus durch die Entwertung der Währung zerstört werden (Lenin). Im sechsten Kapitel geht Mayer ausführlich auf die Probleme ein, die Währungsunionen mit sich bringen, sofern sie von souveränen Staaten gebildet werden. Erwartungsgemäß liegt der Fokus hier auf der jungen und turbulenten Geschichte der Europäischen Währungsunion (EWU). Für die EWU wurde Staatsfinanzierung immer wichtiger, die geldpolitischen Weichen sind längst in Richtung Inflation gestellt. Schicksalhaft ist für Mayer der zunehmende Hang von Staaten, ihren Bürgern Sicherheitsversprechen zu geben. Ein solcher „Versicherungsstaat“, der die Lasten von Corona, Flutfolgen und steigenden Gaspreisen auf sich nimmt, gerät unausweichlich in finanzielle Notlagen und unter Inflationsdruck. Abschließend skizziert der Autor fachkundig Möglichkeiten, mit denen die Staaten Europas die Mängel des Eurosystems überwinden und Inflation bekämpfen könnten. Bestandteil einer solchen Therapie könnte, so Mayer, die Einführung einer alternativen digitalen Währung sein. Notwendig wäre freilich auch eine EU-weite harte Obergrenze für Staatsschulden. Als Anreiz für Regierungen hochverschuldeter Euro-Staaten, sich auf eine solche Restriktion einzulassen, könnte das großzügige Angebot eines einmaligen Schuldenschnitts dienen.

Rein äußerlich kommt das Buch „Das Inflationsgespenst“ hochwertig produziert und in ansprechendem Satz daher. Zwischen den Buchdeckeln wechseln sich Geldtheorie, Wirtschaftsgeschichte und berufliche Anekdoten aus der Finanzwelt ab. Das wirkt stellenweise unstrukturiert, doch die Vielschichtigkeit macht das Buch kurzweilig. In schwierigem Gelände belohnt Mayer sein Publikum mit Info-Boxen und gut ausgewählten Charts. Abgehängt wird der Leser, wenn der Autor Zusammenhänge und Mechanismen der Finanzmärkte allzu kompakt darstellt oder Kryptowährungen im informationstechnologischen Stechschritt präsentiert. Der in der liberalen Österreichischen Schule der Wirtschaftspolitik geschulte Blick Mayers ist ein dickes Plus des Buches. Der Autor hat sich von der reinen neoklassischen Orthodoxie emanzipiert und versteht es, dem Leser bedeutsame Unterschiede der Denkschulen zu vermitteln. Die größte Stärke Mayers ist allerdings, dass er nicht bei der Diagnose der Systemfehler des Europäischen Währungssystems stehen bleibt. Die Konstruktionsmängel des Euro, vor denen gerade österreichisch geprägte Ökonomen seit vielen Jahren warnen, sind heute für jedermann offensichtlich. Doch im Inflationsgespenst geht es erkennbar nicht um Genugtuung der geschundenen Ökonomenseele, sondern um Auswege aus der Krise. Nicht nur seine fundierten ökonomischen Einsichten qualifizieren Mayer als währungs- und finanzpolitischen Sherpa, sondern auch sein Verständnis der politischen Rahmendbedingungen und Mechanismen. Man kann dem Inflationsgespenst nur wünschen, dass es von möglichst vielen Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitikern gelesen wird. Und zwar, bevor uns das Gespenst der Inflation das Fürchten lehrt.


Der Rezensent Dr. Christoph Sprich ist Politischer Referent der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT).


Lesen Sie auch vom selben Autor eine Besprechung des Buches „Die erschöpfte Globalisierung“ von Michael Hüther, Matthias Diermeier und Henry Goecke: >>bitte hier klicken.

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