Die Europäische Kommission hat am Mittwoch auf den Tisch gelegt, wie der „Green Deal“ praktisch funktionieren soll. Das Maßnahmenkonzept von zusätzlichen Abgaben, neuen Regulierungen und dem weltweit ersten Klimazoll zeigt Entschlossenheit bei der Zielsetzung – und das ist gut so. Zugleich ist das Paket der vorgeschlagenen Lösungen unentschlossen, unsystematisch und in einem wichtigen Teil sogar gefährlich.

„Fit for 55“ beschreibt das Ziel der Reduktion der CO2-Emmissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990. Das entspricht den Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen und wird prinzipiell von einer großen Mehrheit der Bevölkerung in Europa geteilt. Also ist das Ziel gesetzt und akzeptiert. Es geht um das „Wie“.

Unentschlossen ist das Konzept, weil es marktwirtschaftliche Instrumente nutzt und ihnen zugleich nicht vertraut. Wir kennen die Argumente aus der deutschen Klimabewegung: Marktwirtschaft sei zu langsam in der Umsetzung, die Reaktionen seien schwer vorhersehbar, man müsse die Veränderungen in die Gesellschaft hineindrücken. Wir sehen diese Überzeugung auch in der sogenannten „Green Taxonomy“ für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten: 600 Seiten detailverliebte Kleinstarbeit.

Richtig ist dagegen, dass nicht die Mechanismen einer marktwirtschaftlichen Ordnung schwach oder langsam sind, sondern der fehlende Mut, die Signale der Marktwirtschaft zu erkennen und ihre Kraft zur Veränderung zu nutzen. Immerhin soll es neben den europäischen Zertifikaten zur Nutzung von CO2 in der Industrie und im Luftverkehr jetzt auch ein vergleichbares System für Verkehr und Gebäude geben. Das ist richtig und Deutschland beginnt ja bereits damit. Im Mai 2020 hat die Bundesregierung beschlossen, dass der Preis für eine Tonne CO2 ab Januar 2021 zunächst 25 Euro beträgt. Bis zum Jahr 2025 soll der Preis jedoch schrittweise auf bis zu 55 Euro steigen; das ist das Mindeste für eine Lenkung. Die EU-Kommission fasst jetzt aber für ganz Europa ab 2026 einen Preis von höchstens 25 Euro pro Tonne – gesteuert durch ein großes Angebot an Zertifikaten – ins Auge. Das kann natürlich nicht reichen.

„Wenn und wo die Funktion des Marktes durch das Walten der Funktionäre und der Wettbewerb durch eine Lenkungsbürokratie ersetzt wird, ist es mit der Leistungsverbesserung und dem Fortschritt vorbei.“

Unsystematisch kommt es zu einem Sammelsurium neuer Regulierungen. Nationale Anstrengungen werden dabei konterkariert. So wird mit den zu niedrigen CO2-Preisen für Wohnen und Verkehr die deutsche Anstrengung wieder zu einem Sonderweg, der dann auch noch mit einem Sozialfonds für andere Länder bezahlt werden soll. Da kommt eine Kerosinsteuer – mit Ausnahme der Frachtflüge. Dann regelt die EU-Kommission zwar die Abstände von Elektrotankstellen entlang der Autobahn, aber die Schaffung eines einheitlichen Energiemarktes mit Stromautobahnen quer über den Kontinent mit dem Ziel einer preiswerten und sicheren Stromversorgung geht sie nicht an.

Gefährlich ist der Klimazoll, offiziell „Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM“ genannt. Darauf will ich in der kommenden Woche in meinem Kommentar nochmals zurückkommen. Aber schon jetzt ist klar: Das wird ein bürokratisches, wirtschaftliches und handelspolitisches Abenteuer.

Um es zu wiederholen: „Fit for 55“ ist geboten und demokratisch legitimiert. Dieser Wechsel wird Lasten für alle bedeuten. Die Aufgabe der Politik besteht darin, diese Lasten offen anzusprechen und da, wo möglich, Übergangslösungen für die Verlierer – das werden sowohl Staaten als auch Branchen und leider auch viele einzelne Arbeitnehmer sein – zu finanzieren. Vor allem aber geht es darum, den Markt seine Arbeit machen zu lassen. Der Staat wird mit immer detaillierteren Gesetzen und Verordnungen an der Aufgabe scheitern. Ganz einfach heißt das: Der CO2-Preis muss höher werden, und das Regulierungspaket muss in großen Teilen vom Tisch.

Für diese Überzeugung einzutreten, lohnt sich, denn noch ist nichts entschieden. Mit dem Aufschlag vom Mittwoch beginnt ein Gesetzgebungs- und Verhandlungsmarathon, der mindestens 24 (!) Monate dauern wird. Die Gefahr bei diesen Brüsseler Verhandlungen ist allerdings immer, dass der Markt noch weniger und die Regulierung noch mehr Beachtung findet. Wer das Gegenteil will, muss jetzt seine Stimme erheben!


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