Angesichts nachlassender Wirtschaftsdynamik in Europa mehren sich die Anzeichen, dass über eine Zäsur in der Geldpolitik nachgedacht wird, die über das bisherige unkonventionelle Quantitative Easing (QE) der Europäischen Zentralbank (EZB) hinausgeht. Das fügt sich in das Bild einer zunehmend politisierten Notenbank, die entgegen ihrem Auftrag aktiv wirtschaftspolitische Verantwortung übernommen hat.

Es gibt Hinweise darauf, dass sowohl bei der EZB als auch in der sonstigen geldpolitischen Diskussion das Konzept des sogenannten Helikoptergeldes salonfähig werden könnte. So bezeichnete EZB-Präsident Mario Draghi diese Idee schon vor einiger Zeit als sehr interessant und Marcel Fratzscher, ehemaliger EZB-Ökonom und gegenwärtiger Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, betrachtet Helikoptergeld als machbarer als man sich vielfach vorstellt. In der EZB wird offenbar nunmehr die Machbarkeit einer solchen Vorgehensweise näher analysiert.

Anlass ist die sich deutlich abschwächende Wirtschaftsdynamik in Europa – trotz geldpolitischer Schwemme durch das Wertpapierankaufsprogramm der EZB im Rahmen des QE, Niedrigstzinsen sowie Inflationsaussichten unter der Zielmarke von mittelfristig nahe bei, aber unter 2 Prozent des harmonisierten Verbraucherpreisindex. Weil somit die bisherige anhaltend expansive Geldpolitik an ihre Grenzen gestoßen ist, hat offenbar – als mögliche Wiederbelebung von Draghis Strategie des „Whatever it takes“ von 2012 – die Suche nach weiterer Munition für den Instrumentenkasten der EZB begonnen.

Friedmans Metapher vom Geld-Hubschrauber von Keynesianern gekapert

Scheinbare Aussicht auf Erfolg hat der vermeintliche Rückgriff auf die Empfehlungen des 2006 verstorbenen US-Ökonomen und Nobelpreisträgers für Wirtschaft Milton Friedman. Die schon in den 1970er Jahren in den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern verbreitete Metapher, nach der ein Helikopter Geld auf die Wirtschaftssubjekte hinunter „regnen“ lässt, ist mit seinem Namen verbunden. Friedman war als überzeugter Marktwirtschaftler und Angebotstheoretiker der Auffassung, dass auf Seiten des volkswirtschaftlichen Angebots funktionierende Marktkräfte Produktion und Wachstum erzeugen. Daher sei lediglich sicherzustellen, dass möglichst stetig – also regelgebunden – so viel Geld in Umlauf kommt, wie zur Finanzierung des Produktionspotenzialwachstums erforderlich ist – und sei es, so sein Gedankenexperiment, durch einen Helikopter. Fallweise agierende Notenbanken, das kommt auch in dieser Metapher zum Ausdruck, sah er ohnehin skeptisch. Von ihm ist das Bonmot überliefert, dass Geld zu wichtig ist, um es allein den Notenbanken zu überlassen.

Was nun gedanklich vorbereitet wird, ist – als eine Form von Helikoptergeld – zum Beispiel die durch die EZB veranlasste Überweisung von Guthaben auf die Girokonten der Bürger. Nachfrageseitig soll das je nach angenommenem Bedarf zur Stimulierung der Konsumnachfrage und in der Folge zu Investitionen und Wachstum führen. Das bedeutet, dass Friedmans Metapher keynesianisch – also nachfrageseitig – interpretiert wird. Im Widerspruch zu solchen nachfrageorientierten Denkmustern hatte Friedman allerdings die angebotsorientierte Sichtweise entwickelt.

Erfolg durch Rahmenbedingungen für Wettbewerb

Für Friedman wäre Helikoptergeld in nachfrageseitiger Auslegung deshalb die falsche Therapie gewesen. Ihm ist es angebotsorientiert vielmehr stets um die Stärkung der Marktkräfte, um den Abbau von bürokratischen Hemmnissen, um funktionierenden Wettbewerb, um Rahmenbedingungen, die die Zukunft planbar machen, und somit um eine stetige, die Märkte nicht verunsichernde Politik gegangen. Fallweise agierende, nachfrageorientierte Geld- beziehungsweise Wirtschaftspolitik implizierte für ihn, dass sich die entscheidenden Stellen Wissen anmaßen, das niemand haben kann. In dieser Sichtweise besteht die Gefahr, dass eine Helikoptergeldschwemme nicht, wie beabsichtigt, in die reale Wirtschaft wirkt, sondern dass die künstlich kreierten Zusatzeinkommen in den verschiedensten Finanzanlageformen versickern.

Denn selbst wenn durch das Helikoptergeld zunächst ein den gesamtwirtschaftlichen Konsum anregender Effekt ausgelöst wird, ist es angesichts nicht ausreichend und durchgängig verbesserter Angebotsbedingungen im Euroraum – wofür Griechenland und Italien zwei herausragende Beispiele sind – zweifelhaft, ob der Impuls zur Stärkung der Produktivkräfte führt. Hinzu kommen die durch billiges Geld aufgetürmten Schulden von Unternehmen und Staaten im Euroraum, die das Investitionsklima belasten, sowie verunsichernde exogene Einflüsse durch Handelskonflikte und den Brexit.

Auftrag der EZB: Sicherung der Währung, Vermeidung von Inflation

Die EZB hat seit 2015 Staatsanleihen und andere Wertpapiere für insgesamt rund 2,6 Billionen Euro gekauft, um den Euro zu sichern, aber auch um die Wirtschaft anzukurbeln. Das hat im Hinblick auf die wirtschaftliche Dynamik – entgegen den Hoffnungen – nicht nachhaltig gewirkt und ist deshalb ein deutlicher Hinweis darauf, dass weitere rein monetäre Impulse nicht die Lösung sein werden. Wenn man schon Friedman hinzuzieht, sollte man sich korrekt auf ihn besinnen: Statt „neuer“ Geldpolitik mit „Helikoptergeld“ sind dann alternativ Wirtschaftsordnungspolitik und marktwirtschaftlich orientierte Finanzpolitik gefragt. Damit wäre die EZB wieder auf das rechte Maß reduziert, was zudem ihre Unabhängigkeit sichert: die Sicherung der Währung und die Vermeidung von Inflation.

Prof. Dr. Dietrich Schönwitz war Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank.

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