Skeptisch, was den Zusammenhalt der Europäischen Union angeht, aber dennoch als überzeugter Europäer – so präsentierte sich Yanis Varoufakis auf einer Podiumsdiskussion mit Roland Tichy und Dr. Jürgen Stark am 26. Oktober 2016 in Bonn. Die Europäische Währungsunion ist für den ehemaligen griechischen Finanzminister eine Fehlkonstruktion: „der schlechteste Entwurf in der Geschichte“.

Die Gesprächsrunde mit dem Titel „Machtwechsel in der Weltwirtschaft – was wird aus dem starken Mann Europas?“ fand im Rahmen des Wirtschaftstages der Volksbanken Raiffeisenbanken, Spar- und Darlehnskassen statt. Der Einstieg in die Diskussion erfolgte mit den schwierigen Verhandlungen über das Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada. Für Jürgen Stark, ehemals Mitglied des Direktoriums und des Rates der Europäischen Zentralbank, zeigt die Tatsache, dass „eine kleine Provinz wie Wallonien ein internationales Abkommen torpedieren kann“ den desolaten Zustand der EU. Handelspolitik sei laut Vertrag eine europäische Aufgabe. Er warnt: „Wenn die EU gemeinsam mit Kanada oder den USA nicht in der Lage ist, Standards zu setzen, dann werden die Standards eben woanders gesetzt.“

Der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung Roland Tichy sieht beim Widerstand der Europäer gegen die Freihandelsabkommen das entscheidende Problem darin, dass die Bürger nicht mehr erreicht werden. 80 Prozent der Gesetze würden inzwischen in Brüssel gemacht, da stelle sich doch die Frage, wer eigentlich Brüssel kontrolliere. „Politik ist nicht nur Machtausübung, Politik ist Vermittlung“, so Tichy. In diesem politischen Defizit sieht er auch die Ursache für den Brexit. Die Menschen wollten nicht aus Brüssel regiert werden und stürzten sich deshalb auf kleinere Einheiten, weil sie dort mehr Einfluss nehmen können. Das führe jedoch zum Zerfall Europas.

„Maastricht“ wurde nie vollkommen umgesetzt

Varoufakis‘ Kritik an der Europäischen Währungsunion greift für Jürgen Stark, der maßgeblich an deren Konstruktion beteiligt war, zu kurz. Schließlich sei der Maastrichter Vertrag von allen Parlamenten ratifiziert worden. Nur: „Maastricht ist nie vollkommen umgesetzt worden“, so Stark. Diese Währungsunion sei nicht für Länder wie Griechenland gemacht. Entscheidend für die derzeitige Krise sei, dass die Währungsunion zu rasch erweitert worden ist, „anstatt dass man dieses historische Experiment erst einmal mit wenigen Ländern hat sich setzen lassen“. Das Problem sei, dass die Regeln gebrochen wurden – so auch von Deutschland und Frankreich im Jahr 2004.

Doch Varoufakis bleibt bei seinem harten Urteil: „Die Länder konnten sich nicht an die Regeln halten, weil der Vertrag so schlecht entworfen war.“ Die Eurozone hätte seiner Meinung nach sehr gut funktioniert, wenn nicht Italien, Griechenland, Spanien, Portugal und Frankreich von Anfang an mit eingeschlossen worden wären. Die französische Wirtschaft sei nicht mit der deutschen vereinbar. Griechenland sei nie das Problem gewesen. Jetzt zeige sich, dass Italien in der Euro-Gruppe nicht zu halten sei: „ein schwaches Land mit schwachen Banken“. Kapital würde aus dem wirtschaftlich erfolgreichen Norden Italiens nach Frankfurt, London und in die Schweiz verlagert; und das Land sei in einer Spirale von fallenden Preisen und Löhne gefangen, sodass es seine Schulden nicht mehr bedienen kann. Den italienischen Premier Matteo Renzi vergleicht er mit einem verwöhnten Kind: „Er möchte als Premierminister der drittgrößten Nation in Europa das Recht haben, die Regeln zu verletzen. Und er möchte die Regeln der Eurozone mitgestalten.“

„Crime against the logic“

Die Rettungsaktion für Griechenland im Jahr 2010 bezeichnet Yanis Varoufakis als Verbrechen gegen die Logik wirtschaftlichen Handelns. „Griechenland war pleite. Und die europäische politische Klasse und die griechischen Oligarchen haben gesagt, dass das verdeckt werden muss. Aber wie kann man eine Pleite verdecken? Indem man den Leuten, die pleite sind, Geld gibt. Damit die Leute, die pleite sind, sagen können: Wir sind nicht pleite.“ Griechenland bekam Geld, habe aber nicht einen Euro davon behalten, sondern der EZB und den anderen Institutionen und Banken gegeben, also ein Verschieben von der einen Tasche in die andere. Mit den gegenwärtigen Transferzahlungen passiere genau das Gleiche. So werde die Pleite immer weiter hinausgeschoben.

Varoufakis ist schonungslos in seiner Analyse: Den Geldgebern wirft er vor, im Rahmen der Rettungsaktionen für Griechenland schlicht gutes Geld dem schlechten hinterher geworfen zu haben. IWF-Chefin Christine Lagarde habe zugegeben, dass das Rettungsprogramm für Griechenland nicht funktionieren kann: „Sie sagte nicht, dass es schwierig ist. Sie sagte, es kann nicht funktionieren.“ Und dann habe sie hinzugefügt: „Aber wir haben schon so viel investiert, dass wir es nicht zurücknehmen können.“

Fehlender politischer Mut

Für Tichy basiert dieser Verstoß gegen die Logik auf zwei politischen Fehlannahmen: erstens sei es eine Illusion Europas gewesen, alle müssten im Euro bleiben, egal was es koste, denn „dummerweise kostet es jetzt ziemlich viel“. Zweitens hätte Schuldenrestrukturierung bedeutet, dass die versteckten Kosten, die Deutschland und andere Länder zur Rettung Griechenlands tragen, hätten offen gelegt werden müssen. Aber das hätte politischen Mut erfordert. Tichy plädiert nach wie vor dafür, dass Griechenland aus der Währungsunion – freiwillig oder unfreiwillig – austritt und dafür, dass man dann die Schulden streicht, „weil es keinen Sinn hat, einem Hungernden das Brot wegzunehmen“.

Einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone hält Varoufakis wegen des sofortigen Abwertungsdrucks für politisch nicht durchsetzbar. Die Lösung sieht er in einem Schuldenschnitt kombiniert mit einem Wachstumspakt: „Wir müssen endlich einen ‚New Deal‘ schaffen, bei dem die Griechen – selbstverständlich – auch Opfer bringen. Aber das ist eine Investition in eine bessere Zukunft und nicht vergleichbar mit den Opfern, die wir jetzt bringen.“ Er warnt davor, dass die gut ausgebildeten jungen Leute sonst aus Griechenland weggingen. Vielleicht sei Brüssel aber auch gar nicht an Lösungen interessiert, wie man auch an den Brexit-Verhandlungen sehe. Der EU-Präsident Donald Tusk habe zu den Briten gesagt: Entweder gibt es einen harten oder keinen Brexit. „Wem dient das?“, fragt Varoufakis. „Das ist schlecht für Deutschland, das ist schlecht für Italien, das ist schlecht für die EU.“ Sein Bekenntnis zu Europa ist jedenfalls eindeutig: „Ich stehe wirklich für Europa ein. Europa ist – für mich – kein Ort, der zwischen Deutschen, Griechen und Franzosen unterscheidet. Ich bin ein echter Europäer!“

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