Ulrich Blum vertritt die These, dass durch die Einbeziehung biologischer Systeme als sogenannte „Senken“ zur Bindung von Klimagasen dem ländlichen Raum Deutschlands bei entsprechender Vergütung die Chancen zu nachhaltiger Entwicklung zurückgegeben würden.

Durch die Energiewende wurde Deutschland von der Bundesregierung ein Feldversuch auferlegt mit dem Ziel, eine nachhaltige Industriegesellschaft zu entwickeln. Ökonomen analysieren diesen Prozess mit großem Interesse und kritisieren zunehmend die Fehlanreize und die damit einhergehenden negativen Allokationswirkungen. Kosten in Milliardenhöhe haben nur zu vergleichsweise geringen Einsparungen am Klimagasausstoß geführt.

Standorteffekte werden erst seit der Abstandsregel bei Windkraftanlagen und dem Versuch, Stromautobahnen vom Norden in den Süden zu bauen, um den überschüssigen Strom in die wirtschaftlichen Ballungszentren zu leiten, in der Öffentlichkeit diskutiert. Dabei könnte eine umfassendere, als die bisher geplante Kohlendioxidbepreisung dem ländlichen Raum die Chancen zu nachhaltiger Entwicklung (zurück-) geben, die er aufgrund seiner Wirtschafts- und Landschaftsstruktur besitzt, aber bisher nicht ausspielen konnte, weil in den vergangenen drei Jahrzehnten eine massiv agglomerationsfördernde und sogar subventionierende Politik betrieben wurde, die sich – meist kostenfrei – an den Ressourcen des Umlands bediente.

Robin Alexander schrieb in der „Welt am Sonntag“ vom 9. Februar 2020: „Großstädte feiern sich (wenn die Wohnung nicht im Problemviertel liegt, und die Kinder nicht auf staatliche Schulen gehen) für ihre Vielfalt und Toleranz und gerieren sich ökologisch. Weiten Teilen des Landes geht die politische und mediale Absolutierung ihres Lebensstils zunehmend auf die Nerven. Von dieser Polarisierung profitieren die beiden Extremparteien Grüne und AfD.“ Tatsächlich hat die ländliche Bevölkerung für die Ansprüche der Großstädte und für den Zwang, die städtischen Lebensentwürfe tragen zu sollen, immer weniger Verständnis. Die Energiewende muss endlich logisch zu Ende gedacht und dadurch ländliche Regionen aufgewertet werden. Dies würde die Stadt-Land-Polarisierung verringern, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse fördern und schließlich, gerade in Zeiten der Corona-Krise, das Land pandemiefester machen.

Senken nutzen und vergüten

Ökonomen haben immer wieder vorgeschlagen, den Ausstoß von Schadstoffen, insbesondere von Klimagasen, durch Festlegung von Emissionsgrenzen zu bepreisen. Viel zu zaghaft folgt die Politik diesem Vorschlag, der Wirtschaft den Anreiz zu geben, dort Einsparungen vorzunehmen, wo diese mit geringstem Aufwand die größte Wirkung entfalten. Folgerichtig sollte auch die Fähigkeit biologischer Systeme, als Senken große Mengen von Klimagasen zu binden, einbezogen werden.

Von den rund 760 Gigatonnen Kohlendioxid, die weltweit pro Jahr emittiert werden, sind rund 33 Gigatonnen von Menschen verursacht. Große Teile können vom Meer, von der Vegetation und von den Böden aufgenommen werden, sodass nur etwa 22 Gigatonnen hiervon als permanente Anreicherung in der Atmosphäre für die Klimaeffekte verantwortlich sind. Ein großes Risiko entsteht bei der Erwärmung durch Rückkopplungseffekte, insbesondere beim Auftauen der Permafrostböden und Entweichen von Methan sowie durch Lecks in Erdgas-Pipelines durch unzureichende Technologien, besonders auf dem Gebiet der Russischen Föderation und in den klassischen Erdölgewinnungsländern, sowie durch Waldbrände, die für etwa sieben Gigatonnen an Emissionen verantwortlich sind. Entwicklungs- und Schwellenländer verbrauchen je Einwohner nur die Hälfte des Werts der entwickelten Welt, was das bisherige westliche Wirtschaftsmodell als für die Erde fatal ausweist.

Die Energiewende muss endlich logisch zu Ende gedacht und dadurch ländliche Regionen aufgewertet werden. Dies würde die Stadt-Land-Polarisierung verringern.

Gesucht werden muss nach einem global wirksamen Anreizsystem, das nicht nur die Emissionen verringert, sondern auch die Senken von Klimagasen begünstigt. Letzteres ist bis heute nicht der Fall. Ein knappes Beispiel illustriert die Idee: Eine Tonne Holz enthält rund 500 kg Kohlenstoff, das Molgewicht von Kohlenstoff beträgt zwölf und von Sauerstoff 16, sodass 500 kg im Baum eingelagerter Kohlenstoff der Atmosphäre rund 1,8 Tonnen Kohlendioxid entzieht. Der deutsche Wald bindet pro Hektar durch den Holzzuwachs von rund sieben Tonnen etwa 25 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Bei rund elf Millionen Hektar Wald sind das in Deutschland rund 40 Millionen Tonnen Kohlendioxid, das heißt 16 Prozent des Klimaausstoßes Deutschlands.

Wenn Holz nicht verbrannt, sondern in Möbeln oder Häusern verbaut wird, wird es dauerhaft der Einwirkung auf die Atmosphäre entzogen bzw. erzeugt es eine Pause in der Klimabelastung, die benötigt wird, bis emissionsverhindernde Technologien eingeführt werden können. Nimmt man einen Kohlendioxidpreis von 40 Euro pro Tonne im Rahmen des Emissionshandels an, dann bekäme jeder Waldbesitzer eine „Klimarückvergütung“ von 520 Euro pro Jahr und Hektar. Da das Verbrennen von Holz sofort wieder zu Emissionssteuern führen würde, gäbe es einen großen Anreiz, mit Holz zu bauen, denn klassische mineralische Baustoffe wie zum Beispiel Zement oder Ziegel verursachen viel höhere Emissionen – weit mehr als zehn Prozent der globalen Klimabilanz. Rechnerisch könnten pro Tonne Holz, im Bau eingesetzt, durch Vermeiden klassischer Baustoffe etwa weitere fünf Tonnen Kohlendioxid eingespart werden.

„Biologische Waffe“ Aufforstung

Ackerböden und Wiesen enthalten rund 100 Tonnen Kohlenstoff je Hektar. Moore sogar 500 Tonnen pro Hektar, für Waldböden liegt der Wert dazwischen. Durch nachhaltige Bewirtschaftung, beispielsweise durch eine kohlenstoffhaltige Düngung mit geringer Oxidation sowie durch den Anbau von Pflanzen, die den Kohlenstoff durch ihre starke Wurzelentwicklung in den Boden eintragen, ist ein Aufbau von rund 0,4 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar im Jahr möglich, was eine Kohlendioxidzuwendung von 60 Euro pro Hektar ausmachte – rund zehn bis 20 Prozent der Pachtpreise.

Um an diesen Einnahmen zu partizipieren, würden die Land- und Forstwirtschaft, die Bauwirtschaft und auch die Energiewirtschaft ihre bisherigen Geschäftsmodelle überdenken müssen. In der Landwirtschaft wären den Erträgen aus Kohlenstoffspeicherung sowie der klassischen Feld- und Wiesenbewirtschaftung deren möglicherweise dann etwas höherer Aufwand gegenzurechnen. Die Flächennutzung würde extensiver und schonender. Der Holzwirtschaft stünden völlig neue Absatzwege offen. Global könnten eine starke Aufforstung an der Verfügbarkeit von Oberflächenwasser scheitern bzw. Flüsse und Feuchtgebiete ausdörren. Trotzdem sollte die Wirksamkeit dieser „biologischen Waffe“ gegen den Klimawandel nicht unterschätzt werden. Insbesondere ließen sich in küstennahen (Wüsten-) Gegenden Bewässerungssysteme einrichten, die über moderne solarbetriebene Entsalzungsanlagen große Flächen begrünen.

Die Natur könnte durch diese Anreize weit mehr Klimagase speichern und zumindest auf Zeit binden. Die Wirkungen können erheblich sein, wie eine historische Katastrophe zeigt: Mit der Eroberung Mittelamerikas im 15. Jahrhundert ging dort die Bevölkerung um etwa 90 Prozent zurück, weshalb weite Gebiete, die bis dahin landwirtschaftlich genutzt worden waren, wieder der Natur, besonders dem Urwald, zurückgegeben wurden. Das band über die Jahre etwa 17 Gigatonnen Kohlendioxid, was heute innerhalb der Phase des sogenannten Spörer-Minimums als Erklärung für eine weitere Abkühlung des Klimas herangezogen wird. Geben wir also den ländlichen Regionen, was sie verdienen!

Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Blum ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung

Dieser Beitrag ist zuerst im Heft „Wohlstand für Alle – Klimaschutz und Marktwirtschaft“ aus dem Jahr 2020 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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