Zum dritten Mal fand das Europa-Forum, eine Kooperationsveranstaltung von Wirtschaftsrat und Ludwig-Erhard-Stiftung, statt. Im Atrium der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin wurde diskutiert, ob und wie angesichts des anhaltenden Nullzinses zu reagieren sei.

Mit der Mission, den Euro zu retten, hat die Europäische Zentralbank (EZB) im Jahr 2012 begonnen, mehr Geld in Umlauf zu bringen – billiges Geld, für das die Währungshüter die Leitzinsen Jahr für Jahr senkten. Seit drei Jahren liegen die Zinsen nun auf Nullniveau. Immerhin hier waren Experten und Publikum einig: Das werde sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern.

In seiner Einleitung wies Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates, darauf hin, dass durch die Zinspolitik der EZB anstelle eines risikofreien Zinses das zinsfreie Risiko vorherrsche. Sparbemühungen würden ad absurdum geführt, gekippte Aufstiegsversprechen und Fehlallokationen wirkten demotivierend. Das gefährde die Soziale Marktwirtschaft und das Versprechen vom „Wohlstand für alle“.

Anstatt risikofreier Zinsen zinsfreie Risiken?

Gunther Schnabl, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, erläuterte, dass die Politik des billigen Geldes nicht von der EZB, sondern bereits in den 1980er Jahren durch Alan Greenspan hoffähig gemacht wurde. Die EZB ahme demnach die asymmetrische Geldpolitik der USA verspätet nach. Weder „Sparschwemme“ – die empirisch nicht belegbar sei – noch säkulare Stagnation seien ursächlich für Nullzinsen, sondern allein die EZB und ihr Handeln.

Joachim Wuermeling, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank, sah die Entwicklung zu Niedrig- und Nullzinsen anders. Ursächlich dafür seien vielmehr die europäische Schuldenkrise und sich abzeichnende Deflationsgefahren. Die Geldexpansion der EZB sei nicht per se falsch gewesen. Streiten lasse sich über den Umfang der Expansion, aus Sicht der Deutschen Bundesbank war das Vorgehen der EZB zu viel des Guten. Dass sich Deflations- und Inflationsvorhersagen nicht erfüllt hätten, müsse hingenommen werden. Preisstabilität sichern und nicht das Abwägen diverser Instrumente sei insbesondere Hauptaufgabe der Deutschen Bundesbank.

Rentierliche Assets gesucht

Volker Priebe, Mitglied des Vorstandes der Allianz Lebensversicherungs-AG, komplettierte an diesem Abend die Expertenrunde. Der Zins sei für Lebensversicherer nur ein Instrument, das für ihre langfristigen Kalkulationen – und damit auch langfristige Verpflichtungen gegenüber ihren Kunden über einen Zeithorizont von 70 Jahren – bedeutsam sei. Inzwischen setze man in der Lebensversicherungswirtschaft verstärkt auf nicht börsennotierte, alternative Assets wie Energieanlagen und Infrastrukturprojekte. Die Garantiezinsanpassung und infolge die Anhebung der Zinszusatzreserve versetzten die Allianz sehr wohl in die Lage, positive Renditen für ihre Anleger zu erwirtschaften.

„Was würden Sie den Bürgern raten?“ – Mit dieser Frage eröffnete Oswald Metzger, stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung und Moderator des Forums, eine zweite Podiumsrunde. Für Gunter Schnabl kann aus expansiver Geldpolitik und sinkender Produktivität nur eines folgen: ins Risiko gehen. Somit entscheide über Gewinne und Verluste der Informationsvorsprung, letztlich der „bessere Berater“. Wolfgang Steiger hob hervor, dass die EZB-Politik Zeit für Reformen erkauft habe, die von politischer Seite dann aber leichtfertig ausgeblieben seien.

Alles nicht so dramatisch

Joachim Wuermeling plädierte indes dafür, eine unangemessene Dramatik zu vermeiden. Immerhin verzeichne man über alle Assetklassen lediglich -0,1 Prozent als Rendite. Damit sei offensichtlich, dass über alle Anlagen gesehen positive Erträge erreichbar bleiben. Dass alles weniger dramatisch einzuschätzen sei, belege auch die gestiegene Sparquote in Deutschland. Stabilisierend wirke zudem die gesetzliche Alterssicherung. Ein Problem könne indes nicht verschwiegen werden: Risiken bei der Geldanlage würden nicht mehr adäquat bepreist. Anstelle von rentierenden Investitionen werde Kapital in jegliche Form von Kapitalmarktanlagen gelenkt.

Volker Priebe sieht durch Unternehmensfinanzierungen und -beteiligungen für die Kunden ertragreiche Anlagen, die, wie er wiederholte, über längere Zeiträume zu betrachten seien. In der Lebensversicherungswirtschaft seien rund 25 Prozent der Anlagen inzwischen nicht handelbare Assets. Er sieht seine Branche als „Motor des Wandels“ in den Bereichen Umwelt, Energie und Infrastruktur. Eine Zwischenfrage, ob das – Stichwort Klimawandel – nicht ein wenig Zeitgeist getrieben sei, wurde mit dem Hinweis auf die trotzdem nötige Rentierlichkeit des Engagements beantwortet.

Exit – aber wie?

Exitstrategien aus dem Nullzinsdilemma wurden in einer Schlussrunde zur Diskussion gestellt. Für Schnabl gibt es nur einen Weg: zurück zu höheren Zinsen. Für die Bundesbank fehlt es an ausreichenden ökonomischen Fundamentaldaten, die einen Exit klar definieren könnten. Für den Lebensversicherer liegt der Ball im Feld der Politik. Insbesondere in handelspolitischen Fragen läge einiges im Argen, wozu zwingend auch die internationale politische Einigung gehöre. Attentismus und Konsumausweitung könnten andernfalls zu weiteren Verwerfungen führen.

Zu guter Letzt wurde über Rolle, Einfluss und Aussagekraft des Preisindexes diskutiert. Den wenigsten Bürgern dürfte der Zusammenhang von Nominal- und Realwerten bewusst sein. Die Konsequenzen der Nullzinspolitik sind daher nicht eindeutig zu erkennen. Beispielsweise bleiben die immensen Anstiege bei den Immobilienpreisen in der Inflationsbetrachtung außen vor. Gunter Schnabl wies darauf hin, dass der Index schon lange nicht mehr auf geldpolitische Maßnahmen reagiere.

Letztlich bleibt als Ergebnis der Veranstaltung eine gewisse Zwiespältigkeit. Ein „Weiter so“ mit der Geldexpansion fand wenig Zuspruch. Der „richtige“ Weg aus dem Zinsdilemma ließ sich allerdings auch nicht klar benennen. Sofern man Einhelligkeit festzustellen vermochte, dann nur in einem: Es gibt verschiedene, aber allesamt beschwerliche Wege aus der Nullzinsfalle. Damit dürften weitere Podiumsrunden programmiert sein.

Hier geht es zu weiteren Informationen.

Andreas Schirmer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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