Eine wehrhafte Demokratie muss in der Lage sein, ihre Existenz und ihre Werte zu verteidigen. Nach Armin Schuster trägt in Deutschland das Bundesamt für Verfassungsschutz wesentlich dazu bei.

Unsere Verfassung wurde vor 70 Jahren als Gegenentwurf zum totalitären NS-Regime formuliert und ist in den folgenden Jahrzehnten ein Gegenmodell zum SED-Unrechtsstaat geworden. Das Grundgesetz ist das Fundament, auf dem unsere Demokratie aufbaut. Sein wichtigstes Anliegen ist es, Demokratie, Bundesstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit sowie die unverwirkbaren Grundrechte des Einzelnen zu garantieren.

Um diese Errungenschaften zu schützen, verabschiedete der Deutsche Bundestag 1950 das „Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“. Auf Grundlage dieses Gesetzes und des sogenannten Polizeibriefs der Westalliierten wurde ein Inlandsnachrichtendienst gegründet, dessen Aufgabe es war und ist, Informationen zu gewinnen, um Angriffe auf die aus dem Grundgesetz resultierende staatliche Ordnung frühzeitig erkennen und verhindern zu können. Die Erkenntnis, die seinerzeit zur Gründung des Verfassungsschutzes führte, speiste sich aus den Erfahrungen der Weimarer Demokratie, deren Institutionen es letztlich an Kraft fehlte, sich gegen demokratiefeindliche Bestrebungen zur Wehr zu setzen.

In kaum einem anderen Land ist der Auftrag des Inlandsnachrichtendienstes so eng mit dem Kern der Demokratie – der ihr zugrunde liegenden Verfassung – verbunden wie in der Bundesrepublik Deutschland. Insofern war es nur konsequent, der neuen Behörde die Bezeichnung „Bundesamt für Verfassungsschutz“ zu geben. Dies schaffte gleichzeitig sprachlich Distanz zu den Geheimdienstorganisationen der NS-Diktatur. „Sicherheitsdienst“, „Staatspolizei“, „Staatssicherheit“ und andere übliche Bezeichnungen für Inlandsnachrichtendienste wären angesichts der deutschen Geschichte hierzulande unvorstellbar.

Aktive Abwehr von Gefahren

Das Grundgesetz geht davon aus, dass die Bürger die Werte ihrer Verfassung und die Institutionen ihrer Demokratie akzeptieren und aktiv unterstützen. Gleichwohl zeichnet sich unsere Demokratie durch eine hohe Toleranzschwelle im Umgang mit Kritik an grundlegenden Werten der Verfassung aus. Sie lässt sie zu, soweit sie nicht den Bestand des Staates oder der freiheitlichen Ordnung gefährdet. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes bauten darauf, dass dort, wo die Demokratie des Grundgesetzes infrage gestellt wird, sich die Gesamtheit der Bürger mit der Kritik argumentativ auseinandersetzt und damit Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung gewissermaßen im Zuge der öffentlichen Meinungsbildung abwehrt.

Genau aus dieser Haltung heraus hat der Gesetzgeber dem Verfassungsschutz die Aufgabe zugewiesen, Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten sowie diese Erkenntnisse der Politik und Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, damit diese sich ein Bild von der drohenden Gefahr machen und ihr entgegentreten können. Dieses Prinzip eines „Verfassungsschutzes durch Öffentlichkeit“ steht in Zeiten, in denen die Verbreitung von politischen Fake News über digitale Medien Höchststände erreicht, vor neuen Herausforderungen. Allerdings hat es das Grundgesetz nicht dabei belassen, demokratiefeindlichen Bestrebungen eine informierte Öffentlichkeit entgegenzusetzen. Vielmehr geht das Grundgesetz davon aus, dass eine wehrhafte Demokratie auch in der Lage sein muss, Gefahren für die demokratische Ordnung und den Bestand des Bundes und der Länder aktiv abzuwehren.

Diese Zuständigkeit, repressiv gegen Angreifer vorzugehen, hat der Parlamentarische Rat und später der Gesetzgeber im Wesentlichen in die Hände von Polizei und Justiz gelegt und — vor dem Hintergrund des im alliierten Polizeibrief verankerten Trennungsgebots — gerade nicht zur Aufgabe des Verfassungsschutzes gemacht. Auch hier unterscheidet sich der deutsche Verfassungsschutz von den Nachrichtendiensten vieler anderer Staaten, die in bestimmten Belangen nachrichtendienstliche Befugnisse und polizeiliche Exekutivrechte gleichermaßen für sich beanspruchen können.

Frühwarnsystem

Dem Verfassungsschutz hierzulande kommt eine in den letzten Jahrzehnten stetig wachsende Bedeutung zu. Denn einzig die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern besitzen den gesetzlichen Auftrag und die Befugnisse, Informationen und Erkenntnisse über Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die öffentliche Sicherheit bereits im Vorfeld konkreter Gefährdungen zu gewinnen und mit anderen Sicherheitsbehörden, insbesondere auch mit denen der Strafverfolgung zu teilen.

Hierzu stehen dem Verfassungsschutz nicht nur Möglichkeiten der Sammlung und Auswertung öffentlich zugänglicher Informationen zu, sondern auch – innerhalb eng gezogener gesetzlicher Grenzen – nachrichtendienstliche Mittel zur Erhebung von Informationen etwa durch Telekommunikationsüberwachung, Bankdatenabfrage oder Vertrauenspersonen.

Gerade weil die Tätigkeit des Verfassungsschutzes in das Vorfeld von konkreten Gefahren oder gar Straftaten hineinreicht und aufgrund der Befugnisse zur nachrichtendienstlichen Überwachung geeignet ist, weit in geschützte Lebensbereiche vorzudringen, bedarf es einer wirksamen Kontrolle dieser Tätigkeit. Dieser Kontrolle und Aufsicht sind auf Bundesebene mehreren Institutionen zugewiesen.

Das Grundgesetz selbst kennt insbesondere zwei parlamentarische Kontrollorgane, die sich regelmäßig mit der Kontrolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz befassen. Zum einen ist dies das in Artikel 45d des Grundgesetzes verankerte Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestags, das kontinuierlich und unter grundsätzlicher Geheimhaltung die nachrichtendienstliche Tätigkeit des Bundes kontrolliert. Zum anderen handelt es sich um öffentlich tagende Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestags, die in Artikel 44 des Grundgesetzes verankert sind und in den letzten Legislaturperioden wiederholt zu Themenstellungen konstituiert wurden, die die Tätigkeit des Verfassungsschutzes betrafen.

Die nachrichtendienstliche Arbeit und ihr Erfolg bei der Abwehr von Gefahren leben davon, dass sie im Verborgenen stattfinden. Demzufolge lässt sich nur begrenzt darüber berichten. Dieser nicht auflösbare Antagonismus führt dazu, dass die Kontrollorgane durch ihre Arbeit maßgeblich Fehler und Defizite des Bundesamtes für Verfassungsschutz zutage befördern. Legislative Kontrolle über gute, erfolgreiche Arbeit des Bundesamtes ist nicht intendiert. Es ist aber notwendig, über Probleme wie Erfolge gleichermaßen öffentlich zu sprechen, weil sich sonst eine Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung der Arbeit des Verfassungsschutzes einstellt und verfestigt.

Trotz aller Kritik ist der Verfassungsschutz nicht durch Forschungseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen oder Medien ersetzbar. Er hat zum einen Verfassungsrang (Artikel 87 Absatz 1 Satz 2 und Artikel 73 Absatz 1 Nr. 10 Buchstabe b Grundgesetz); zum anderen ist nicht erkennbar, wie eine vom Verfassungsschutz getrennte Organisation die Aufgabe der Sammlung und Auswertung allgemein zugänglicher Informationen mit der Gewinnung von Erkenntnissen aus verdeckten Quellen auf eine Weise verbinden könnte, dass ein Mehrwert gleicher Art und Güte für die Sicherheit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entsteht.

Die Sicherheitslage in Deutschland ist angespannt. Das wird deutlich, wenn man auf die politisch motivierte Kriminalität im links- und rechtsextremen Milieu, die seit Jahren ansteigende Zahl islamistischer Fundamentalisten, den wachsenden Antisemitismus, das Phänomen der Reichsbürger, die Zahl erkannter Cyber-Angriffe und nicht zuletzt die terroristische Bedrohung blickt. Der Verfassungsschutz fungiert hier als unverzichtbares Frühwarnsystem sowohl für die Öffentlichkeit als auch für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in unserem Land.

Armin Schuster MdB ist Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuss, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und  Vorsitzender des 1. Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz.

Dieser Beitrag ist zuerst im Sonderheft „Wohlstand für Alle – 70 Jahre Grundgesetz“ aus dem Jahr 2019 erschienen. Das Heft kann unter info@ludwig-erhard-stiftung.de bestellt werden; oder lesen Sie es hier als PDF.

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