Nachbetrachtungen zu einer Gemeinschaftsveranstaltung des Wirtschaftsrates der CDU und der Ludwig-Erhard-Stiftung in Berlin. Das zweite Europa-Forum dieser Kooperation fand am 7. Mai 2019 im Bankhaus Löbbecke statt.

Beim Thema „Arbeitsmarkt“ wird übersehen, wie komplex dieser Markt tatsächlich ist: Arbeitnehmer am Anfang oder Ende ihres Berufslebens, unterschiedliche Bildungsverläufe – von ungelernten bis zu hochspezialisierten Arbeitskräften –, Herkunft, Erwartungen, Unternehmensphilosophien, regionale Besonderheiten, und so fort. Da scheint es einigermaßen vermessen, alle diese Facetten mithilfe politischer Vorgaben zu erfassen, zu beeinflussen oder gar zu steuern.

Diese Einsicht konnten die Teilnehmer am Europa-Forum gewinnen, das der Wirtschaftsrat und die Ludwig-Erhard-Stiftung am 7. Mai in Berlin durchgeführt haben. „Mehr Fachkräfte für Deutschland und Europa“ lautete das Thema, und zumindest in einem Punkt waren sich Experten und Publikum weitgehend einig: Es fehlen Fachkräfte in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft. Fehlende Mobilität, Frauen-Teilzeit und familienpolitische Erwägungen, Bildungspolitik, Steuer- und Abgabengestaltung – Ursachen für den Mangel wurden viele genannt.

Weniger Sicherheit dagegen herrscht bei der Antwort auf die Frage: Wie lässt sich dieser Mangel beheben? Fraglos bestehen zahlreiche konkrete Einzelprojekte, die Abhilfe schaffen können: Förderungen für bestimmte Personengruppen, differenzierte Wege zu Bildungsabschlüssen, Unterstützung beim Zusammenfinden von Unternehmen und Arbeitnehmern – Kerstin Schreyer MdL, Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, belegte das politische Bemühen eindrucksvoll mit Beispielen aus der Landespolitik ihrer Heimat Bayern. Die Suche nach Fachkräften habe zudem längst nationale und europäische Grenzen überschritten.

Mark Helfrich MdB stellte ebenso politische Weichenstellungen – zum Beispiel das in der parlamentarischen Beratung befindliche Gesetz zur Zuwanderung von Fachkräften – vor. Er wies aber auch auf bemerkenswerte Diskrepanzen innerhalb Deutschlands hin: Einerseits fehlen Fachkräfte, andererseits werde dank Rente mit 63 Arbeitskräftepotenzial vergeudet. Unternehmenslenker klagen über fehlende Fachleute; zeitgleich laufe eine Frühverrentungswelle in Großunternehmen. Zudem leiste sich Deutschland mittlerweile zwei Millionen junge Erwachsene ohne Berufsausbildung.

Prof. Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA) verwies insbesondere auf die bildungspolitischen Implikationen: So sei, politisch gewollt, europaweit eine Akademisierungswelle in Gang gesetzt worden, allerdings ohne darauf zu achten, ob die diversen Abschlüsse auch am Markt nachgefragt würden. Zudem wies er darauf hin, dass die Binnenmobilität innerhalb Europas mit rund drei Prozent der europäischen Arbeitskräfte im Argen liege (in den USA beträgt diese Quote rund 30 Prozent). Hier könnte durch Internationalisierung der Ausbildung in Deutschland brachliegendes Arbeitskräftepotenzial aktiviert werden.

Barbara Kauffmann von der Generaldirektion für Beschäftigung und Soziales (EU-Kommission) plädierte in ihrer Keynote vor allem für „richtige“ Anreize zur Aktivierung der Frauen. Die Entwicklungen in diesem speziellen Sektor seien eher schleppend, obwohl es allerlei Hilfen – sie verwies dazu auf Punkte, Prinzipien und Richtlinien – vonseiten der EU gebe.

Richard Jager vom Personaldienstleister Randstad bedauerte, dass Teile von Politik und Öffentlichkeit der Zeitarbeit ein Schmuddel-Image angedichtet hätten. Er betonte die Gestaltungsmöglichkeiten der Zeitarbeit: Neue Formen von Flexibilität, Quereinsteiger-Kompatibilität, neue Möglichkeiten der Arbeitszeitplanung – die Wahlfreiheit sei nie größer gewesen. Selbstverständlich benötige auch die Zeitarbeit rechtliche Vorgaben in Form von „Hilfslinien“.

Die konzentrierte Podiumsdiskussion war vor allem auf die Ansprüche des Arbeitsmarktes in Deutschland fokussiert. Dabei war allen Teilnehmern das Bemühen, Potenziale zu erschließen, gemeinsam. Die Suche, vielleicht sogar das Ringen um den passenden Rahmen für einen sich stärker internationalisierenden Arbeitsmarkt wurde deutlich artikuliert. Trotz der Gemeinsamkeiten wurde offenbar, dass eher punktuelle Lösungen favorisiert werden. Schon innerhalb der sechzehn Bundesländer ist so etwas wie Arbeitsmarktpolitik aus einem Guss nicht zu erkennen – innerhalb Europas oder gar in Bezug auf Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten stehen die Bemühungen allenfalls am Anfang. Die erkannte und kritisierte fehlende Verzahnung von Arbeitsmarkt mit vielen anderen Politikbereichen – Bildung, Steuern, rechtliche Regelungen, etc. – dürfte ebenso nicht ohne Weiteres herzustellen sein.

Vonseiten des Publikums wurde unter anderem festgestellt, dass möglicherweise im Politikbetrieb der Arbeitsmarkt aus dem Blickwinkel des öffentlichen Dienstes gesehen werde. Das befördere die Verrechtlichung und Vereinheitlichung des Arbeitsmarktes. Eine Erklärung könnte sein, dass Politik sich mittlerweile als Hauptakteur sieht, der in allen Lebensbereichen für die „richtige“ Lösung sorgt. Dieses Selbstverständnis schimmerte zumindest durch, als einer der Experten auf dem Podium mit der Formulierung „Wir, der Staat …“ in die insgesamt erkenntnisreiche Diskussion einstieg.

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