In der Flüchtlingspolitik stand in den vergangenen Monaten die Frage im Vordergrund, wie die schiere Unterbringung und Registrierung der Menschen bewältigt werden kann. Die größte Herausforderung steht aber noch bevor. Ein großer Teil der Flüchtlinge wird dauerhaft bleiben oder zumindest vorübergehend geduldet werden. Die wenigsten werden einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Wenn wir in der Integrationspolitik keine neuen Wege gehen, werden Hunderttausende leistungsfähiger und leistungswilliger Menschen über Jahre hinweg Leistungen aus den Sozialsystemen beziehen, ohne sich selbst und der aufnehmenden Gemeinschaft helfen zu können.

Mithilfe von Ein-Euro-Jobs will die Bundesregierung nun einigen Flüchtlingen den Weg in Arbeit ebnen. Doch für den massenhaften sinnvollen Einsatz taugt das Instrument nicht, weil es mangels produktiver Tätigkeiten Geld kostet und kaum verwertbare Arbeitserfahrungen vermittelt. Es gäbe eine Alternative: die „Integrationsarbeit“. Sie bietet arbeitsfähigen Flüchtlingen eine breite Palette Tätigkeiten, erschließt ihnen unmittelbar sinnstiftende und integrationsfördernde Arbeit im Dienste der sie aufnehmenden Gemeinschaft. Da die Tätigkeiten der Integrationsarbeit im schlechtesten Fall kostenneutral für die öffentlichen Haushalte sein sollen und bestenfalls sogar Ersparnisse oder Einnahmen generieren, können alle arbeitsfähigen Flüchtlinge an solchen Maßnahmen teilhaben. Im Kern geht es darum, den Betroffenen Tätigkeiten zu eröffnen, in denen ein Wert geschaffen wird, für den auch eine Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung besteht. Da die Versorgung der Flüchtlinge durch Sach- oder Geldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, durch Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe gewährleistet wird, sollen die in der Integrationsarbeit erwirtschafteten Leistungen und Entgelte prinzipiell nicht den Teilnehmern persönlich, sondern der sie unterstützenden Gemeinschaft zukommen.

Ein Gedankenexperiment

Die Flüchtlinge erlangen durch ihre Einsätze in der Integrationsarbeit Fähigkeiten, die ihnen bei einer späteren Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt behilflich sein können. So lernen sie, sich in der hiesigen Arbeitswelt zurechtzufinden, lernen typische Arbeitsweisen und übliche Anforderungen kennen. Nebenbei verbessern sie im Kontakt mit deutschen Kollegen und Auftraggebern ihre Sprachkenntnisse. Zudem knüpfen sie soziale Kontakte außerhalb der Flüchtlingsgruppe und beginnen so, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Vor allem aber erhalten sie die Möglichkeit, die zermürbende und lähmende Zeit des untätigen Abwartens zu beenden. Den meisten Menschen wohnt ein Schaffensdrang inne, der ihnen Motivation genug ist, einer erkennbar sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, die ihnen Anerkennung und Selbstbewusstsein erschließt. Zudem mögen viele Flüchtlinge den Wunsch haben, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, die ihnen einen Neuanfang ohne Angst um Leib und Leben ermöglicht.

Bevor die Unterschiede der Integrationsarbeit zu den bislang überwiegend eingesetzten Maßnahmen der sogenannten „Arbeitsgelegenheiten“ beleuchtet werden, soll die zugrundeliegende Idee anhand eines Gedankenexperiments verdeutlicht werden: Nehmen wir an, ein Flüchtling erfährt die Hilfsbereitschaft einer Anwohnerin seiner Unterkunft, die ihn ehrenamtlich bei Behördengängen und beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützt. Nehmen wir weiterhin an, dieser Flüchtling würde bei einem Spaziergang bemerken, wie sich ebenjene hilfsbereite Person mit schweren Einkaufstaschen abmüht. Er entscheidet ohne zu zögern, der Frau zu helfen, und bringt ihren Einkauf nach Hause. Sie bedankt sich freundlich, bietet ihm einen Tee an, man unterhält sich. Im Gespräch erfährt der Flüchtling, dass es der Frau schwerfällt, den Rasen zu mähen. Er bietet an, diese Arbeit zu übernehmen. Die Frau willigt ein und freut sich zu beobachten, wie emsig der junge Mann die Aufgabe erledigt. Bei der Verabschiedung drückt ihm die Frau zehn Euro in die Hand. Der junge Mann lehnt höflich ab. Schließlich wollte er sich für die zuvor erfahrene Hilfsbereitschaft erkenntlich zeigen. Die Frau wiederum will die Tatkraft des jungen Mannes nicht ausnutzen. Die beiden einigen sich schließlich darauf, dass die Frau die zehn Euro dem Flüchtlingsnetzwerk vor Ort spenden wird.

Diese Geschichte kommt vermutlich vielen märchenhaft vor. Aber es scheint doch immerhin eine schöne Geschichte zu sein. Ein unromantisch-kritischer Geist wird jedoch mahnend auf eventuelle unerwünschte gesellschaftliche Folgen aufmerksam machen: Wieso unterrichtet die Anwohnerin Deutsch und hilft bei Behördengängen? Verdrängt solche ehrenamtliche Tätigkeit nicht professionelle Deutschlehrer und Anwälte oder Sozialarbeiter? Und kann die Anwohnerin diese Tätigkeiten überhaupt auf einem ausreichend hohen Niveau ausüben? Welche Folgen hat es, wenn der Flüchtling der Frau beim Einkauf oder Rasenmähen hilft? Schließlich bietet der örtliche Supermarkt einen kostenpflichtigen Heimlieferservice an. Vom Angebot kommerzieller Gärtner ganz zu schweigen. Wieso bietet die Frau dem jungen Mann ein Entgelt an? So ein entgeltlicher Leistungsaustausch kann als Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug angesehen werden. Wieso lehnt der Flüchtling das angebotene Geld ab? Unterwirft er sich nicht menschenunwürdig, wenn er unentgeltlich arbeitet, und drückt er nicht das allgemeine Lohnniveau?

In der Tat stehen einem solchen zunächst harmlos und begrüßenswert erscheinenden Arrangement massive Bedenken gegenüber. Die zur Integration der Flüchtlinge etablierten Arbeitsgelegenheiten begegnen solchen Befürchtungen durch institutionelle Beschränkungen und erschließen den Teilnehmern nur gemeinnützige und zusätzliche Arbeit. Die Teilnehmer erhalten eine geringe Aufwandsentschädigung (Ein-Euro-Job). Da es sich bei diesen Arbeitsgelegenheiten weder um Beschäftigungsverhältnisse im Sinne der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung handelt noch um ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts, verhindern weder hohe Versicherungsbeiträge noch ausländerrechtliche Beschränkungen der Erwerbstätigkeit oder der gesetzliche Mindestlohn den Einsatz von Flüchtlingen. Hinter den harmlos anmutenden Begriffen der Zusätzlichkeit und der Gemeinnützigkeit verbergen sich aber in der Praxis Fallstricke, die einen massenhaften, sinnstiftenden und kostenneutralen oder gar kostensparenden Einsatz verhindern.

Ökonomische Bewertung der „Zusätzlichkeit“ und „Gemeinnützigkeit“

Das Zusätzlichkeitserfordernis soll die Verdrängung regulärer Beschäftigung verhindern. Als zusätzlich gilt eine Tätigkeit daher strenggenommen dann, wenn die zu leistende Arbeit sonst nicht verrichtet werden würde. Solche Maßnahmen sind offenkundig nicht dringend nachgefragte, relativ überflüssige, womöglich sogar unsinnige Tätigkeiten. Der Gesetzgeber erlaubt daher auch solche Tätigkeiten, die zwar eventuell irgendwann auch ohnedies in Angriff genommen würden, jedoch nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt. Ausgenommen vom Zusätzlichkeitserfordernis sind lediglich Einsätze der Teilnehmer, die der Aufrechterhaltung und Betreibung der Aufnahmeeinrichtung dienen. Flüchtlinge dürfen also in den Turnhallen und Containerdörfern putzen, in denen sie leben. Sie dürfen dort Hausmeisterarbeiten verrichten und Grünanlagen pflegen. Sie dürfen dieselben Tätigkeiten aber nicht in der benachbarten Schule verrichten und auch nicht im Rathaus oder im Stadtsaal der sie versorgenden Gemeinde. Aus ökonomischer Perspektive erscheint eine so definierte Zusätzlichkeit wie ein systematisches Verbot produktiver Einsätze. Je mehr eine Arbeit wertgeschätzt wird, umso weniger genügt sie dem gesetzgeberischen Anspruch.

Zusätzlich im volkswirtschaftlichen Sinne wäre im Gegenteil jede Arbeitsleistung, die der Gesellschaft einen höheren Nutzen stiftet, als sie an Kosten verursacht. Solange die Teilnehmer in den Maßnahmen kein Arbeitsentgelt erhalten, sondern weiterhin von den Transferbezügen leben, auf die sie auch bei untätigem Abwarten einen Anspruch haben, gilt: Je produktiver die Teilnehmer in ihrer Tätigkeit sind, desto höher der Zusatznutzen für die Gemeinschaft. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht verdrängen die Maßnahmenteilnehmer keine reguläre Beschäftigung, sie ermöglichen zusätzliche Leistungen. Spart die Kommune bei den Kosten für die Grünflächenpflege, kann sie mit den frei gewordenen Mitteln Klassenräume renovieren lassen oder Ferienfreizeiten für bedürftige Kinder und Jugendliche organisieren.

Das gesetzlich verankerte Kriterium der Gemeinnützigkeit oder des öffentlichen Interesses soll verhindern, dass der Einsatz von Maßnahmenteilnehmern Privatpersonen oder privaten Unternehmen zugutekommt statt der ganzen Gemeinschaft. Operationalisiert wird dieser richtige Grundsatz durch eine Beschränkung der zulässigen Auftraggeber: Arbeitsgelegenheiten dürfen nur bei staatlichen, bei kommunalen und bei steuerrechtlich als gemeinnützig eingestuften Trägern angesiedelt werden. Diese Beschränkung reduziert die möglichen Tätigkeiten und führt zugleich zu Wettbewerbsverzerrungen: Flüchtlinge dürfen bei Altenpflegeeinrichtungen und Krankenhäusern in karitativer Trägerschaft arbeiten, nicht aber bei deren privatrechtlichen Konkurrenten. Sie dürfen den städtischen Bauhof unterstützen, nicht aber die Privatfirmen, die kommunale Aufträge ausführen.

Aus ökonomischer Perspektive wirkt eine solche Beschränkung der Auftraggeber wie ein systematisches Verbot der Nutzung vorhandener Fähigkeiten und Talente aufseiten der Maßnahmeteilnehmer. Und es offenbart ein erstaunlich naives Verständnis vom Nutzen einer Leistung. In einer wettbewerblich und arbeitsteilig organisierten Wirtschaftsordnung wird der Nutzen einer Arbeitsleistung gewöhnlich zwischen allen an der Produktion und dem Konsum beteiligten Akteuren aufgeteilt: dem Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber und dem Konsumenten. Häufig profitieren außerdem noch Vorprodukte- oder Rohstoffanbieter, Fremdkapitalgeber, Intermediäre und deren jeweilige Beschäftigte. Gemeinnützig im volkswirtschaftlichen Sinne wäre jede Maßnahme, die den Kommunen, Ländern oder dem Bundesstaat Mittel zuführt oder Ausgaben erspart. Je höher die Ersparnisse oder Einnahmen für öffentliche Haushalte ausfallen, desto gemeinnütziger wäre der Arbeitseinsatz der Teilnehmer.

Risiken und Nebenwirkungen – durch kommunale Zuständigkeit vermeidbar

Dem Grundsatz nach ist also jede Tätigkeit von Flüchtlingen zusätzlich, wenn diese andernfalls untätig blieben. Jeder Arbeitseinsatz nützt der Gemeinschaft, wenn dieser die erzielten Ersparnisse oder Einnahmen zugutekommen. Theoretisch käme eine Vermittlung der Flüchtlinge in die unterschiedlichsten Einsätze in Frage, solange sich weder die Flüchtlinge noch private Auftraggeber den gesamten in den Arbeitseinsätzen entstehenden Mehrwert aneignen können, sondern die Steuerzahler und Bürger der Gemeinde profitieren. Eine kommunale Vermittlungsstelle könnte die Maßnahmenteilnehmer in Arbeitseinsätze vermitteln, in denen den unterschiedlichsten Fähigkeiten, Erfahrungen und Eignungen der Flüchtlinge Rechnung getragen werden könnte. Die für die Arbeit der Teilnehmer bestehende Zahlungsbereitschaft der Auftraggeber müsste analog zu den Arbeitseinsätzen von Zeitarbeitsfirmen als Entleihgebühr an die Kommune fließen.

Praktisch besteht dabei die Gefahr, dass Auftraggeber einen Teil ihrer eigentlichen Zahlungsbereitschaft verschleiern und Maßnahmenteilnehmer, mit deren Leistung sie zufrieden sind, durch Vergünstigungen oder durch geheime Zusatzentlohnungen bar auf die Hand an sich binden. Solchen Gefahren begegnet unser Wirtschaftssystem grundsätzlich mit wettbewerblichen Verfahren. Wenn unterschiedliche Auftraggeber um Maßnahmenteilnehmer konkurrieren, wird eine unangemessene Bereicherung einzelner Privatakteure automatisch begrenzt. Bei mangelnder Nachfrage können Gewinnmöglichkeiten für Einzelne verbleiben und vorübergehend hingenommen werden. Dieselben Effekte treten bei Knappheit und mangelndem Wettbewerb auch in anderer Beziehung auf: Selbstverständlich erwirtschaften Immobilien zur Unterbringung von Flüchtlingen zurzeit höhere Mieten als zuvor. Selbstverständlich erleben die Anbieter von Containerbauelementen und private Sicherheitsfirmen zurzeit rosige Zeiten.

Praktisch werden außerdem einzelne reguläre Arbeitnehmer in ihren aktuellen Beschäftigungen bedroht, auch wenn den Kommunen insgesamt nicht weniger, sondern mehr Mittel zur Verfügung stehen, die beschäftigungswirksam ausgegeben würden. Da es sich bei solchen durch die Integrationsarbeit ausgelösten Auftragsrückgängen in den allermeisten Fällen nicht um dauerhafte Nachfrageänderungen handelt, besteht ein Argument dafür, solche vorübergehenden Verwerfungen auf ein Minimum zu reduzieren. So sollte ein kommunales Gremium aus lokalen Vertretern der Politik, der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Kammern und der Arbeitsagenturen über die Einsatzmöglichkeiten der Flüchtlinge bestimmen. Je nach Struktur der Kommune können weitere Interessenvertreter aufgenommen werden. Deren Kenntnisse der lokalen Begebenheiten können genutzt werden, um Bedarfe zu identifizieren, die durch den Einsatz von Flüchtlingen gedeckt werden können, ohne größere Verwerfungen zu provozieren. Außerdem kann überlegt werden, allen Bürgern vor Ort ein Vetorecht gegen konkrete Arbeitseinsätze einzuräumen, sofern sie ein unmittelbares Eigeninteresse geltend machen können.

Insgesamt sind die Begebenheiten in den Kommunen in Deutschland lokal sehr unterschiedlich. Daher sollten die Kommunen möglichst freie Hand haben, wie sie die Integrationsarbeit konkret umsetzen. Die Akteure vor Ort werden dabei mit Augenmaß vorgehen und erkennbare Beeinträchtigungen etablierter Unternehmen vor Ort genauso vermeiden wie wiederholte Arbeitseinsätze bei denselben Auftraggebern gegen zu geringe Verleihgebühren. Es kann vor Ort darüber entschieden werden, ob die Teilnehmer zusätzliche Anreize in Form von Zertifikaten zur Dokumentation ihrer Tätigkeiten sowie privilegierten oder über Bildungsgutscheine subventionierten Zugang zu weiterführenden Sprachkursen erhalten. Es kann vor Ort entschieden werden, ob man den Flüchtlingen die Integrationsarbeit auf freiwilliger Basis anbietet oder sie – falls ausreichend Arbeitseinsätze organisiert werden können – verpflichtend einsetzt. Wesentlich zur Umsetzung der Integrationsarbeit erscheint es lediglich, die Kriterien der Gemeinnützigkeit und der Zusätzlichkeit gesamtwirtschaftlich sinnvoll zu definieren sowie dafür Sorge zu tragen, dass kein Arbeitseinsatz der Flüchtlinge die Gemeinschaft mehr kostet, als er an Ersparnissen oder Einnahmen erwarten lässt.

Dr. Steffen J. Roth ist Geschäftsführer des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln (iwp).

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