Am 22. März 2016 wurde Dr. Hans D. Barbier, seit 1997 Mitglied und von 2002 bis 2014 Vorstandsvorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, von der Zeitschrift „Wirtschaftsjournalist“ für sein Lebenswerk geehrt. Die Preisverleihung fand in der Alten Oper in Frankfurt am Main statt. Heike Göbel, verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ebenfalls Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, hielt die Laudatio, die wir nachfolgend veröffentlichen.

Laudatio

Liebe Frau Barbier, lieber Radhmuni Barbier, liebe Kollegen, sehr geehrte Gäste – einer fehlt hier, den ich gerne begrüßt hätte: mein langjähriger Chef, journalistischer und wirtschaftspolitischer Lehrer und Vorgänger bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dr. Hans D. Barbier. Mir fällt kein Wirtschaftsjournalist ein, der diesen Preis für sein Lebenswerk mehr verdient hätte als Hans D. Barbier. Und ich weiß, er wäre ungeheuer gerne hier, ließe es seine Krankheit bloß zu. Seine Frau und sein Enkel werden den Preis entgegennehmen und ihm berichten.

Gewiss, Hans Barbier hat schon sehr viele Preise bekommen für seinen Kampf um den Erhalt einer freien, offenen Gesellschaft, zu deren Fundamenten die Soziale Marktwirtschaft gehört. Meist kamen diese Preise von Institutionen, die in ihm den Verbündeten im Geiste würdigten. Deshalb ist er vermutlich, so wie ich, ein klein wenig verblüfft gewesen über die Entscheidung dieser Journalisten-Jury. Denn die Positionen, für die Hans Barbier als exzellenter Ökonom und durch und durch konsequenter Liberaler mit seinen Artikeln und auf den Podien dieser Republik gefochten hat, waren und sind bis heute nicht nur unter Journalisten nicht mehrheitsfähig. Auch nicht in der FDP übrigens, der er ihre Abweichungen vom Pfad freiheitlicher Tugend und den Erfordernissen einer Marktwirtschaft genauso vorhielt wie allen anderen Parteien und Verbänden. Ja, auch die Wirtschaft hatte keineswegs immer Freude an den Artikeln. Es ehrt die Jury, dass sie einen auszeichnet, an dem man sich reibt.

Tageszeitungsjournalist aus Leidenschaft

Barbier legt an alle, die sich an der wirtschaftspolitischen Debatte beteiligen, dieselbe kompromisslose, radikale freiheitsorientierte Messlatte an: Stärkt das, was ihr fordert oder wünscht, Markt und Wettbewerb als Grundlagen und Garanten einer freien offenen Gesellschaft? Für ihn besitzt der Markt eine Moral, die nicht erst dadurch zustande kommt, dass der Staat durch Umverteilung die Marktergebnisse korrigiert. Dass der Markt nicht (ganz) ohne den Staat auskommt, hat er anerkannt. Geprägt von Adam Smith, Karl Popper und Friedrich August von Hayek zieht Barbier die Grenzen dessen, was der Staat tun soll, jedoch viel enger als andere, weil ihm die Freiheit so wichtig ist. Gesagt hat er einmal, der Glaube an Freiheit sei fast so etwas wie der Glaube an Gott. Man könne nicht beweisen, dass der Mensch zur Freiheit befähigt sei. Aber Barbier hat es immer gehofft und hofft es immer noch.

Im Herzen ein Marktradikaler, geschmäht als Neoliberaler, was ihn nicht störte – sein Geheimnis und seine Wirkung als Journalist erschließen sich für diejenigen hier im Raum nicht so schnell, die ihn nicht kennen oder nicht das Vergnügen hatten, ihm zu begegnen. Wo andere Journalisten nach einer Weile in Schubladen enden und bloß noch als Stichwortgeber für die eine oder andere Seite fungieren, weil sie nicht mehr überraschen, ihnen die Worte ausgehen, hat Barbier es bis zu seinem letzten Text in der FAZ verstanden, seine Leser auf unterhaltsame Art zu belehren, zu verblüffen, sie herauszufordern und neugierig zu machen auf mehr Artikel mit dem Kürzel „Bar“.

Klar, werden Sie sagen, die ist seine Nachfolgerin, der Mann war ihr Chef, was soll sie anderes sagen? Ich will ihn daher gleich selbst zu Worte kommen lassen, um zu belegen, was ich meine. Übrigens – das noch als Vorbemerkung – war Barbier ein Tageszeitungsjournalist aus Leidenschaft. Das Bücherschreiben überließ er lieber anderen.

„Er hatte Lust am Theoretisieren, und ihn trieb ein pädagogischer Impuls. Er wäre auch ein guter Hochschullehrer geworden, entschied sich aber ganz bewusst für das Oberseminar der 37-Zeilen FAZ-Leitglosse. Dort entfaltete er eine betörende Mischung aus rheinischer Süffisanz, ordnungspolitischer Klarheit und journalistischer Leidenschaft“, rief ihm Wolfram Weimar in der „Welt“ hinterher, als Barbier 2002 mit 65 Jahren die FAZ verließ, um die Mühle des Tageszeitungsjournalismus noch zwölf Jahre lang gegen den Vorsitz der Ludwig-Erhard-Stiftung einzutauschen. Weimar muss es wissen, er ging durch Barbiers Schule und ließ sich, wie viele seiner Kollegen und Leser, anstecken von dieser Leidenschaft, mit der Barbier für Freiheit warb, insbesondere für wirtschaftliche Freiheit, die so vielen suspekt ist.

Kostproben des typischen Barbier-Tons

2000 Texte hat Barbier in der FAZ geschrieben, weit über seine Pensionierung hinaus regelmäßig noch in der Kolumne „Zur Ordnung“. So schwer also das Unterfangen, eine Auswahl zu treffen, die das Lebenswerk charakterisiert, so groß mein Vergnügen, ihm bei dieser Gelegenheit wieder einmal zu begegnen. Hier also nun ein paar Kostproben des typischen Barbier-Tons.

Weil es gerade wieder so schön aktuell ist, zunächst Auszüge aus einem Kommentar zur rot-grünen Koalition in Berlin 2003: „Die Zukunft bietet nichts Unbekanntes, wenn Sozialdemokraten sich ihr erkennend zuwenden. Und sie ist gestaltbar, wenn sich zwischen sicherer Erkenntnis und entschlossenem Handeln kein Keil des Zweifels klemmt. Aus diesem methodologischen Irrtum erklärt sich schon das meiste vom praktischen Scheitern genuin sozialdemokratischer Politikversuche.“ Und weiter: „Vom Respekt vor dem Unbekannten aller Zukunft hat auch grüne Philosophie nichts an sich. Aber dies hat fundamental andere Gründe. Bei den Sozialdemokraten ist die Gewissheit ein Irrtum, bei den Grünen hat sie Methode. Das Morgen, das der grünen Philosophie vorschwebt, ist das Gestern, wie sie es sich heute vorstellt. Das gibt der grünen Philosophie und der grünen Politik etwas Zirkuläres: Wir wollen doch dafür sorgen, dass die Erde wieder so wird, wie sie war und immerdar sein sollte! Die ja nicht ganz unnütze Frage ‚Warum sollen wir das eigentlich tun?‘ meiden die Grünen.“

„Bei Oswald Metzger, sicherlich nicht einem der Versponnensten der Grünen, klingt die Beschreibung des ‚ökologischen Urgedankens der grünen Bewegung‘ so: ‚Wir haben die Erde nur von unseren Kindern und Enkeln geborgt.‘ Das ist schön gesagt. Aber man darf dennoch fragen: Was heißt denn das? Gehört sie dann denen? Oder wenn auch die und deren Nach-Nach-Nachkommen immer nur die jeweils Borgenden sein werden: Gibt es für die Politik der Heutigen eine Möglichkeit, mit den Eigentümern in gedanklichen Kontakt zu treten, um sich ein Bild davon zu machen, in welchem Zustand künftige Geschlechter die Erde vorfinden möchten?“ (2003)

In einer Glosse zum Fall des Baukonzerns Holzmann, den Gerhard Schröder 1999 mit Staatsgeld vor der Pleite retten wollte, knöpft sich Barbier die Linke vor und watscht die etablierten Parteien vergnügt mit ab: „Man kann sich darauf verlassen: Wenn Gregor Gysi zehn programmatische Sätze zur Wirtschaftspolitik sagt, dann sind – jedenfalls aus liberaler Sicht – davon neuneinhalb als Unfug zu klassifizieren. Eines aber muss man ihm lassen: Gysi bleibt sich und seinen Wahrheiten treu. Während nun in den sogenannten etablierten Parteien der Eiertanz um den ‚Fall Holzmann‘ in den schönsten Verrenkungen aufgeführt wird, hat Gysi dazu in der Haushaltsdebatte einen klaren und in sich widerspruchsfreien Kommentar geliefert. Der Staat habe die Aufgabe, das Unternehmen zu stützen, um Arbeitsplätze zu erhalten. … Der Erfolg der PDS erklärt sich möglicherweise auch daraus, dass junge Leute in Ost- und zunehmend auch in Westdeutschland den Eindruck haben, diese Partei sei ehrlicher als die etablierten westlichen Parteien. Falls diese Parteien das für ungerecht halten, sollten sie mit dem Kern ihrer Programme weniger Schindluder treiben. Auch das gehört zur Würdigung der Rolle des Staates im Falle Holzmann.“

Wieder und wieder hat Barbier die kartellierte Lohnpolitik attackiert, und zwar Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände, letztere oft härter als erstere. Viele haben nicht kapiert, dass er sich damit auf die Seite der Geringqualifizierten und Arbeitslosen schlug, zu deren Lasten überzogene Flächentarife und teure Frühverrentungsprogramme gingen. Unter der bezeichnenden Überschrift „In der Betonwelt“ schrieb er während eines harten Tarifkonflikts in der Bauindustrie 1997: „Der Kampf des Kartells um den Flächentarif wird mehr und mehr zum zerstörerischen Selbstzweck. Die Tarifparteien sind die Stützen einer Ordnung, die die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft zunehmend behindert.“ Und 1999 dann: „Der Flächentarif scheitert nicht an ideologischen Positionen, sondern an der Wirklichkeit: Es zeigt sich, dass er ungeeignet ist, einer modernen Volkswirtschaft die Anpassungsfähigkeit zu geben, die sie braucht, um in Turbulenzen des internationalen Wettbewerbs auf ihrem gewohnten Wohlstandsniveau zu überleben. Die Malaise der Arbeitslosigkeit, die Misere der öffentlichen Finanzen und die Krise des Sozialstaats … Alle drei Erscheinungen sind zugleich Belege für die Fehlkonstruktion des herkömmlichen Flächentarifs und das Versagen der Tarifparteien. Ob der Kanzler dafür oder die FDP dagegen ist – die tradierte Tarifordnung hat keine Zukunft.“

Barbier hat Recht behalten und einen großen Anteil daran, dass die Tarifverträge durchlässiger wurden, Öffnungsklauseln Unternehmen Flexibilität ermöglichten und Unternehmen aus den Tarifverbänden ausscherten – auch dies Voraussetzungen für das Beschäftigungswunder, das wir in den letzten Jahren erlebten. Wäre er heute hier, würde er mit der Politik abrechnen, die Unternehmen jetzt per Gesetz unter die Knute des Flächentarifs zurückzwingt.

Früher Kritiker des Euro

Barbiers andere große Schlacht ging verloren. Er gehörte zu den frühen Kritikern des Euro. Seinem Furor ist es zu verdanken, dass im Vorfeld der von Helmut Kohl auf Biegen und Brechen betriebenen Einführung überhaupt eine fundierte Debatte über die Risiken des Projekts entstand. Barbier lehnte den Gedanken einer Europäischen Währungsunion damals nicht grundsätzlich ab. Doch hielt er das Risiko für viel zu groß, dass Europas Integrationsprozess Schaden nehmen könnte, indem er über das falsche Vehikel erzwungen würde. Für ihn stand eine einheitliche Währung am Ende einer politischen Union, nicht am Anfang.

1995 warnte er: „Aus der kontroversen Diskussion um die Währungsunion müssen die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die Währungsunion ist das im Augenblick einzig verfügbare konkrete Integrationsvehikel. Darin liegt die Versuchung der Politiker, die ökonomischen Risiken der Währungsunion kleinzuschreiben, um ein Stück weiter auf dem Weg der Integration voranzukommen. So gut die Absicht sein mag: Wenn das Experiment der Währungsunion schlecht ausgeht, kann das nur einen lang wirkenden Rückschlag der Integrationsbemühungen bedeuten. Eine Währungsunion zu installieren, ehe die Europäische Union über Verfassungselemente einer politischen Union verfügt, birgt wirtschaftliche und politische Risiken.“

Damals wie heute hatten es die Kritiker nicht leicht. Barbier schrieb: „Wer vor der Vorstellung warnt, mit der Währungsunion könne die politische Union erzwungen oder beschleunigt werden, gilt weithin als schlechter Europäer. Doch das ist ein Fehlurteil. Im Gegenteil: Diejenigen setzen die Integrationserfolge von vier Jahrzehnten aufs Spiel, die nun die falsche Schrittfolge wählen.“ Immer wieder warnte er: „… man täusche sich nicht über die Vertiefungsfolgen, die die Währungsunion quasi automatisch nach sich zieht: Sie wird Konsultationen in der Finanzpolitik auslösen, die die nationalen Politiken an den Rand der Vergemeinschaftung führen. Es bedarf – jetzt und auf absehbare Zeit – keines zusätzlichen Programms der Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik.“ Barbier wollte nämlich eines unbedingt verhindern: die Gleichschaltung der Wirtschaftspolitik in der EU. Wettbewerb ist für ihn auch in der Politik der Garant dafür, dass es einen lebendigen Wettstreit um die bessere Lösung gibt.

Die „Schönheit von Freiheit“

Was er 1997 schrieb, als der Euro schon nicht mehr zu stoppen war, liest sich heute prophetisch: „Der Euro wird nicht nur Europas neues Geld sein. Er wird die Europäische Union an die Grenze ihrer Erfahrung mit der Vergemeinschaftung von Politik führen. Keiner der früheren Schritte der Einigung … hat einen Souveränitätsverzicht der Teilnehmerstaaten bedeutet, der mit der Vergemeinschaftung der Geld- und Währungspolitik vergleichbar ist. Der Euro ist ein ökonomisches Instrument für ein politisches Ziel. Die Währungsunion soll die Politische Union nach sich ziehen. Der Größe der Vision entspricht der Schaden des möglichen Fehlschlags.“

„Die Zeit“ beschreibt Barbier so: Seine Kompromisslosigkeit hat Barbier republikweit bekannt gemacht. Dennoch ist er nach eigener Einschätzung weitgehend erfolglos geblieben. „Wenn die Politik heute über Wettbewerb spricht, dann betont sie das Negative und beschreibt, wie die Schwachen untergehen“, zitiert sie Barbier. Schon immer hätten Parteien den Bürgern lieber Wohltaten versprochen, statt an deren Leistungsbereitschaft zu appellieren. Eines sei allerdings heute anders: Es gebe fast niemanden mehr, der überzeugend über die „Schönheit von Freiheit“ rede. Kaum jemand erinnere daran, dass Sozialleistungen die Lebenssituation der Benachteiligten manchmal noch verschlimmerten, statt sie zu verbessern.

Ja, die Deutschen sind zu seinem Bedauern bislang keine flammenden Befürworter wirtschaftlicher Freiheit geworden. Ungeachtet solch düsterer Befunde ist Barbier ein großer Optimist. Barbier wäre nicht Barbier, wenn er nicht hoffen würde, dass die Freiheitsliebe wieder größer wird. „Die Zukunft ist offen. Sich dieser Offenheit zu stellen und keine Gewissheiten zu behaupten, die es nicht gibt, ist das Kennzeichen des Liberalismus“, riet er 2003 der FDP.

In einem Interview hat Frank Schirrmacher, der verstorbene Feuilleton-Herausgeber der FAZ, einmal Hans Barbier und Harald Schmidt gefragt, was sie denn durchsetzen würden, wenn sie nur könnten? Der eine antwortete ihm: Ich würde alle Vergünstigungen streichen und den Spitzensteuersatz runtersetzen auf 30 Prozent. Der andere antwortete: Ich würde aus der amerikanischen Verfassung das Recht auf Glück in das Grundgesetz aufnehmen, das Recht, die eigenen Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Wenn ich meinen Job als Laudatorin hier gut gemacht habe, muss ich Ihnen jetzt nicht sagen, von wem welche Antwort war. Ich verneige mich vor einem großen Kollegen.

DRUCKEN
DRUCKEN