Der Amtswechsel in der Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank könnte zu einer Ausrichtung der Geldpolitik zusätzlich hin zur Umweltpolitik führen. Ist das ordnungspolitisch vertretbar?

Ordnungspolitische Grundsätze der europäischen Geldpolitik – die Trennung von Geldpolitik und Fiskalpolitik sowie die alleinige Ausrichtung auf das Primärziel Preisstabilität – werden zunehmend infrage gestellt. Das sind Grundsätze, die von der geldpolitischen Konzeption der Deutschen Bundesbank auf die Europäische Zentralbank (EZB) übertragen wurden. Sie haben sich in der Inflationsbekämpfung über Jahrzehnte bewährt.

Eingeleitet wurde die Regimeänderung durch die viel zitierte Aussage von EZB-Präsident Mario Draghi „Whatever it takes“ im Jahr 2012, mit der er der Öffentlichkeit signalisierte, zur Rettung des Euro auch zu unkonventionellen Maßnahmen bereit zu sein. Damit wurde der Boden für spätere immense Anleihekäufe bis Ende 2018 im Ausmaß von 2,6 Billionen Euro bereitet. Ab November 2019 wurden die Nettoanleihekäufe nicht explizit befristet in einem Umfang von 20 Milliarden Euro pro Monat wieder aufgenommen, was nicht nur im Direktorium der EZB umstritten war.

Memorandum zur Geldpolitik kritisiert Anleihekäufe

Die Quantitative Easing (QE) genannten Anleihekäufe und ihre Fortsetzung werden in einem jüngst veröffentlichten Memorandum zur Geldpolitik als Überschreitung der Grenze zur Fiskalpolitik und nach dem Gründungsvertrag von Maastricht verbotenen Staatsfinanzierung gewertet. Das Memorandum wurde unter anderem von Otmar Issing und Jürgen Stark, beide ehemalige Mitglieder des Direktoriums der EZB, sowie von Helmut Schlesinger, vormals Präsident der Deutschen Bundesbank, unterzeichnet.

Nach dem Urteil der Autoren des Memorandums liegt die Annahme nahe, dass sich hinter dem QE die Absicht verbirgt, hoch verschuldete Staaten des Euroraums vor einem Anstieg der Zinsen zu bewahren und damit ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten. Die Überschreitung der Grenze zur Fiskalpolitik durch QE-Programme führte dazu, dass Verantwortung auf die EZB verlagert wurde und Fiskalpolitik zum konsequenten Abbau der Staatsverschuldung nicht im erforderlichen Ausmaß stattfand.

Neue EZB-Präsidentin kündigt umweltpolitische Öffnung an

Wurde das EZB-Mandat somit schon unter Mario Draghi überdehnt, so könnte das durch seine Nachfolgerin Christine Lagarde noch weitergetrieben werden – und zwar nicht nur, indem die unter Draghis Einfluss extrem expansive Ausrichtung der Geldpolitik fortgesetzt wird. Bisher gab es aus der EZB keine konkreten Signale für Helikoptergeld (lesen Sie hierzu Fortsetzung der Geldschwemme durch Rückgriff auf Milton Friedman“) oder QE durch Aktienkäufe. Es gibt jedoch gewichtige Stimmen, die, wie der der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher formulierte, Helikoptergeld als „extremes Instrument“ nicht komplett ausschließen.

Wohl aber öffnete Lagarde die Tür für „Green Finance“ in der Geldpolitik. Darunter ist zu verstehen, wie im Finanzsektor die Berücksichtigung von Klimarisiken und die Entwicklung zu einem grünen Finanzsystem gefördert werden können. In einer öffentlichen Anhörung auf Grundlage eines Fragenkatalogs der EU-Parlamentarier zu ihrer Bestellung als Präsidentin der EZB unterstrich Lagarde die Notwendigkeit, während ihrer Amtsperiode baldmöglichst („as soon as possible“) einzuschätzen, ob und wie („whether and how“) grüne Anleihekäufe durchgeführt werden können. Voraussetzungen dafür seien neben der Expertise durch die EZB die Fertigstellung einer EU-Klassifikation (Taxonomie) sowie eine ausreichende Markttiefe und Liquidität grüner Anlageformen. Obwohl noch mit einem Prüfauftrag versehen, wurden mit diesen Äußerungen in der Öffentlichkeit Erwartungen geweckt, die dazu führten, dass Umweltaktivisten vor dem Gebäude der EZB in Frankfurt am Main unverzüglich grünes QE forderten. Damit stellt sich angesichts eines für die künftige Konzeption der Geldpolitik so bedeutsamen Vorschlags die Frage nach einer geglückten „forward guidance“ als Information über Pläne zur Ausrichtung der Geldpolitik.

Mit grünen Anleihekäufen würde die EZB eine umweltpolitische Zielsetzung verfolgen, für die sie nicht demokratisch legitimiert ist. Umweltpolitische Entscheidungen müssen vielmehr von Regierungen und Parlamenten getroffen werden. Die EZB hat demgegenüber das Mandat für Preisstabilität und übt es unabhängig von Weisungen anderer politischer Entscheidungsträger aus. Diese Form von Unabhängigkeit für hoheitliche, das heißt verbindliche Eingriffe ist in demokratischen Systemen eine Besonderheit. Sie wurde für die EZB gewährt, weil Politiker, wie die historische Erfahrung lehrt, dazu neigen, wählerstimmenwirksam die Preisstabilität zugunsten anderer wirtschaftspolitischer Ziele hintan zu stellen. Markanter Beleg dafür ist der Satz des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, dass ihm 5 Prozent Inflation lieber sind als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. Später kam beides.

Unabhängigkeit der Zentralbank wird gefährdet

Die Frage nach der funktionellen Unabhängigkeit wird zu Recht gestellt, wenn die Notenbank in der Geldpolitik umweltpolitische Ziele verfolgt, indem – wie schon bei der Kritik zur Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik – auf die fehlende demokratische Legitimation verwiesen wird. Bei der Umsetzung der Geldpolitik wird, um Bevorzugungen oder Benachteiligungen bestimmter Anlageformen zu vermeiden, bisher der Grundsatz der Marktneutralität beachtet. Bevorzugt und gezielt grüne Anleihen zu kaufen, würde diesem Prinzip widersprechen. Eine Europäische Zentralbank, die Umweltpolitik betreibt, ist somit ebenso auf einem Abweg wie eine Zentralbank, die die Grenze zur Fiskalpolitik überschreitet.

Die Wirkungskette ist vielmehr anders zu sehen: Wenn umweltpolitische Entscheidungen auf EU-Ebene und von nationalen Parlamenten sowie Regierungen verstärkt angegangen werden, werden sich auch die Bandbreite und das Volumen von grünen Anlagen auf den Finanzmärkten erhöhen. Indem die Politik dieser Anschubfunktion gerecht wird, wird es der EZB unter Wahrung des Prinzips der Marktneutralität in der Folge möglich, den Anteil grüner Anleihen bei Käufen zu erhöhen. Man sollte davon jedoch umweltpolitisch nicht zu hohe Erwartungen hegen.

Grünes Quantitative Easing wäre nur bedingt effizient

Grüne Anleihekäufe haben als Bestandteil der unkonventionellen Geldpolitik auf Ausnahmesituationen beschränkt zu sein, wenn ordnungspolitisch der Abstand zur Fiskalpolitik gewahrt werden soll; sie dürfen also nicht zur Normalität werden. Das bedeutet, dass sie für eine nachhaltige Umweltpolitik nicht geeignet sind. Wer ernsthaft Umweltpolitik mit grünem QE betreiben will, begibt sich in zweierlei Hinsicht auf Abwege: zum einem mit einer demokratisch nicht gerechtfertigten Ausdehnung des Mandats der EZB; zum anderen, indem grünes QE nur dann effizient sein kann, wenn Anleihekäufe zur neuen Normalität im Instrumentenkasten der EZB würden.

Festzuhalten ist: Eine entschlossene Umweltpolitik zur Wahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ist gewiss geboten, jedoch – worauf auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann anlässlich der zweiten Finanzmarktkonferenz der Deutschen Bundesbank hinwies – mit geeigneten Instrumenten und den dafür legitimierten politischen Entscheidungsträgern.

Prof. Dr. Dietrich Schönwitz war Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank.

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