Autokratische Herrscher, Diktatoren und auch Tyrannen gab es schon immer in der Weltgeschichte. Was also ist „neu“ an den „neuen Autoritären“? Und welche Gefahren drohen auch den westlichen Demokratien? – Eine Antwort in sieben Punkten.

1. Die neuen Autoritären berufen sich auf die Demokratie oder nutzen die Demokratie als Deckmantel für die Umgestaltung ihrer Gesellschaften. Als umgehendes Gespenst der „illiberalen“ Demokratie (Zakaria) erfassen sie bisher als demokratisch etabliert geglaubte Gesellschaften (Ungarn, Polen) oder solche, von denen man glaubte, sie befänden sich auf gutem Weg (Türkei). Mit den demokratisch etablierten Gesellschaften ist im Wesentlichen die westeuropäische Variante der Demokratie gemeint, die neben Wahlen als kennzeichnendes Element vor allem rechtsstaatliche Institutionen entwickelt hat, um ein Abgleiten von Machthabern oder Regierungen ins Autokratische (oder Schlimmeres) zu verhindern. Der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit geht auf den prägenden Einfluss der klassischen Liberalen zurück. Ihr zollte jüngst sogar der chinesische Parteichef und Staatspräsident Xi Jinping mit der Äußerung, dass die Macht in den Käfig der Institutionen gesperrt werden müsse, Respekt. Wie es scheint, hält sich China aber nicht daran.

2. Den neuen Autoritären sind rechtsstaatliche Kontrollinstitutionen ein Dorn im Auge. Für sie sind sie lediglich Instrumente, mit denen die bei Wahlen unterlegene Opposition der siegreichen Partei ein konsequentes Regieren erschwert oder unmöglich macht. Als Legitimation für ihr Tun müsse die bei Wahlen gewonnene Mehrheit völlig ausreichen, so sogar der ungarische Parlamentspräsident László Kőver. Folglich beginnen sie mehr oder weniger listig, bisherige rechtsstaatliche Institutionen (Verfassungsgerichte, Nationalbanken, Rechnungshöfe, ggf. Ombudsmänner usw.) auszuhebeln. Zugleich werden die Parlamente unter Druck gesetzt, und es wird versucht, Einfluss auf die Presse zu nehmen.

Schließlich wird die Gesetzgebung so umgestaltet, dass die Ideologie der Autoritären möglichst lange die Gesellschaft prägt, auch wenn sie bei künftigen Wahlen die Mehrheit verlieren. Als Beispiel dafür sei auf die in Ungarn verfassungsrechtlich festgelegten Schwerpunktgesetze hingewiesen, das heißt, es gibt zahlreiche wichtige Rechtsbereiche, die üblicherweise einfachgesetzlich geregelt werden können, in Ungarn aber bedürfen sie einer Zwei-Drittel-Mehrheit der anwesenden Abgeordneten. Anfällig für dieses Denken sind vor allem vormoderne, wenig oder kaum laizistisch geprägte Länder, für die religiöse Empfindungen und Begriffe wie Würde, Stolz, Ehre und Familie eine zentrale Rolle spielen. Nicht zufällig zählen zu diesen Ländern die mittel- und osteuropäischen Staaten der EU.

3. Diese Art und Weise, ihr Handeln zu legitimieren, geht auf eine dem Rechtsstaatsgedanken konträre Auffassung von Demokratie zurück: der Demokratieauffassung von Jean-Jacques Rousseau, die von seiner Vorstellung des „allgemeinen Volkswillens“ und seiner „Erziehungstheorie“ geprägt ist. Die sogenannte Identitätsdemokratie kann ins Totalitäre abgleiten und ihren Anspruch auf alle Lebensbereiche ausdehnen. Wer vom durch die Regierung postulierten allgemeinen Volkswillen abweicht, kann nur dumm, krank oder böswillig sein. Entsprechend reagierten die Systeme des „real existierenden Sozialismus“ mit Erziehungsmaßnahmen, Einweisung in die Psychiatrie oder Haftstrafen.

4. Während das Gespenst der „illiberalen“ Demokratie in manchen dieser Staaten sein Antlitz offen zeigt, wird sein Treiben in den westeuropäischen Staaten kaum beachtet, auch wenn gelegentlich beklagt wird, dass der Einfluss der Parlamente schleichend zurückgehe, dass Entscheidungen in kleinen, nicht transparenten Gruppen („Elefantenrunden“, „Steuerungsgruppen“, „runden Tischen“ usw.) vorbereitet und gefällt werden und dass das föderale Moment (auch in der EU) immer mehr zur reinen Verwaltung degeneriere. Selbst Parteitags- und Fraktionsbeschlüsse werden ignoriert oder nonchalant an die Seite gewischt, wenn es der Parteispitze nicht passt.

5. Und wo bleibt bei diesem weitgehend geräuschlosen Tun die „vierte Gewalt“ (Presse, Journalismus)? Wird sie gegängelt, wie zum Beispiel in mittel- und osteuropäischen Ländern? Mitnichten! Sie springt der Regierung freiwillig bei, weil Politiker wie Journalisten in ihrer Mehrheit schon seit Jahren den gleichen, nicht hinterfragten „Narrativen“ folgen. Der Journalismus stellt sich heute kaum noch als Kontrollinstanz, sondern eher als Erziehungsgehilfe dar, um skeptische Geister zu den Narrativen des Mainstream zu führen. Erzähler und „Bezählte“ glauben nach stets gleicher Ansprache an die Narrative und kümmern sich kaum um die Faktenlage, weil das Narrativ plausibel klingt und von Politikern, Journalisten, Künstlern und oft genug auch von Wissenschaftlern unterstützt wird.

6. Wer dem nicht folgt, bekommt es mit einem zweiten, ebenfalls umhergehenden Gespenst zu tun, nämlich dem des Populismus. „Populistisch“ sind all jene, die den Mainstream-Narrativen partout nicht folgen wollen. Und „populistisch“ ist meistens „rechts“, und zwar ohne jede weitere Unterscheidung. Dass sich jene, die Andersdenkende des Populismus zeihen, genau jener Methoden der Ab- und Ausgrenzung bedienen, die sie den „Populisten“ vorwerfen, wird ihnen dabei nicht einmal bewusst. Dabei ist schon seit geraumer Zeit ein gehöriges Maß an „Linkspopulismus“ wie auch an „Europa-“ bzw. „EU-Populismus“ mit den Händen zu greifen.

7. Last but least: Die Propagandisten, Hüter, Fortentwickler und Verwalter des seit Jahren ausufernden Wohlfahrtsstaates sind ebenfalls den neuen Autoritären zuzurechnen. Ihm gesellt sich schon seit Jahren der sich ebenfalls ausbreitende „sanfte Paternalismus“ zur Seite. „Sanfter Paternalismus“ klingt euphemistisch, tatsächlich verfügt er über mächtige Krallen. Dazu passt die Vergabe des Nobelpreises an Richard Thaler, den „Erfinder“ des sogenannten Nudging.

Fazit: Spuren des „neuen autoritären“ Denkens sind überall zu erblicken. Mit der Ausdünnung rechtsstaatlicher Institutionen der Demokratie paart sich der schwindende Wille, differenzierende Meinungen zu akzeptieren, und das vormalige Leitbild vom mündigen und selbstbestimmten Bürger wird durch das Leitbild vom „Bürger als Volltrottel“ ersetzt (Der Spiegel).

Der Autor des Beitrags Prof. Dr. Siegfried F. Franke ist Gastprofessor für Wirtschaftspolitik an der Andrássy Universität Budapest. Sein neues Buch „Die gefährdete Demokratie. Illiberale Demokratie – Populismus – Europaskepsis“ ist im Nomos Verlag erschienen.

DRUCKEN
DRUCKEN