Die CDU setzte in ihrem Parteitag in Leipzig 2003 und in ihrem Wahlkampf 2005 noch auf grundsätzliche marktwirtschaftliche Reformen. Ein gerechteres und einfacheres Steuersystem sowie der Rückbau des Wohlfahrtsstaates auf ein vertretbares Maß standen auf der Agenda. Heute ist davon bei der CDU wenig zu spüren. Die FDP – wichtiger Bündnispartner bei der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft von 1949 bis 1957 – ist im Bundestag gar nicht mehr vertreten. Noch 2009 führte die FDP den Wahlkampf mit großem Erfolg unter dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“ und errang so fast 15 Prozent der Stimmen – ein extrem hoher Vertrauensvorschuss. Er wurde schnell „verspielt“. Die FDP hatte – wie die CDU – den ordnungspolitischen Kompass in der Koalitionsregierung von 2009 bis 2013 verloren.

Die vermeintlich „alternativlose“ Griechenlandhilfe vor bereits fünf Jahren, die den Bruch des Maastricht-Vertrags (keine zwischenstaatliche Transfers!) kaschierte, und weitere angeblich zur Rettung des Euro erforderliche Umverteilungsmaßnahmen stießen in der Bevölkerung auf Bedenken („alternativlos“ wurde auch Unwort des Jahres 2010). Die mitregierende FDP wurde bei der Bundestagswahl 2013 nicht zuletzt angesichts der hohen Erwartungen der Wähler 2009 besonders hart bestraft. Hinzu kam, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf 2013 nicht zugunsten einer bürgerlichen Koalition mit der FDP festlegte und keine „Zweitstimmen-Kampagne“ zugunsten des liberalen Bündnispartners startete.

Die zweite Große Koalition (GroKo) Kanzlerin Merkels mit der SPD setzte nicht auf mehr fairen Wettbewerb, sondern auf marktwidrige Regulierungen, zum Beispiel die Festlegung von Mindestlöhnen, die Einführung von Mietpreisbremsen oder die Frauenquote. Der neue Sozialismus von Andrea Nahles und Sigmar Gabriel mit sozialer Bevormundung, Industriepolitik, staatlicher Protektion und einem planwirtschaftlichen EEG-Gesetz, das sie von der christlich-liberalen Regierung unter Angela Merkel erbten, ist ein Bruch mit der „Sozialen Marktwirtschaft“ nach Ludwig Erhard. Gibt es eine Chance auf eine Kehrtwende?

Rückblick zu den politischen Weichenstellungen nach dem Zweiten Weltkrieg

Kein Geringerer als Konrad Adenauer gewann Erhard für die Mitarbeit in der CDU, obwohl er der FDP näher stand. Der Pragmatiker Erhard erkannte, dass seine freiheitlichen Ideen nur in einer großen Volkspartei oder einer bürgerlichen Koalition mit der FDP umzusetzen waren. Eine Große Koalition wurde damals klar abgelehnt. Sie hätte Adenauers Westbindung und Erhards Vorstellungen auch zu stark verwässert oder sogar verhindert. Mit der sozialistisch ausgerichteten SPD war Erhards Marktwirtschaft sowieso nicht zu verwirklichen. Die noch junge Demokratie setzte – historisch wohlbegründet – auf eine starke Opposition und Machtkontrolle.

Ludwig Erhards ordnungspolitische Grundsätze waren klar und zeitlos formuliert. Demokratie, Eigenverantwortung, bürgerliche Freiheit und die Sicherung des Wettbewerbs standen für ihn im Fokus. Erhard kämpfte für seine freiheitlich orientierte Marktwirtschaft, seine sozialpolitische Sicht war nicht „kaltherzig“. Im Gegenteil: Erhard war ein „Anwalt der Armen“ und hatte Verständnis für ihre Bedürfnisse. Der Erfolg blieb nicht aus. Das „Wirtschaftswunder“ – auch wenn Erhard den Begriff nicht schätzte – überzeugte viele, die anfangs zweifelten. Die damals noch sozialistische SPD übernahm die marktwirtschaftlichen Vorstellungen Erhards 1959 weitgehend in ihr „Godesberger Programm“.

Ein erneuter Schwenk zurück zur heutigen Situation

Die SPD hat anscheinend ihr „Godesberger Programm“ heute völlig vergessen und überlässt es – wie CDU/CSU und FDP – vor allem der Linken Sahra Wagenknecht, Erhards „Soziale Marktwirtschaft“ in ihrem Sinne sozialistisch auszulegen. Große Koalitionen unter der Führung einer Dauerkanzlerin Merkel, die den Amtszeitrekord von Helmut Kohl von 16 Jahren brechen könnte, erscheinen nun als neue Normalität. Und mit der GroKo regiert es sich mangels erkennbarer Abwahlgefahr leicht für die Kanzlerin. Die GroKo könnte so auch über 2017 hinaus fortbestehen.

Inhaltlich kämpft die Kanzlerin – und hier besteht ein wesentlicher Unterschied zu Ludwig Erhard oder zur früheren britischen Regierungschefin Margaret Thatcher – nicht für eine regelgebundene, marktwirtschaftliche Ordnungspolitik, sondern lässt auch interventionistische Markteingriffe zu. Diese interventionistischen Eingriffe sind auch Standard der SPD-Politik, sogar die mit Mühe erstrittenen Reformen Gerhard Schröders werden wieder revidiert.

Kanzlerin Merkel tritt zwar moderierend auf und ist – dank der ihr erstaunlich wohlgesonnenen Medien – vermeintlich ein Stabilitätsgarant. De facto ist die als „ungekrönte Königin Europas“ und „Mutti“ gefeierte Politikerin Hüterin einer fehlgelenkten und letztlich in den Abgrund führenden Politik. Die CDU wurde – personalpolitisch von ihr beherrscht – zu einer inhaltlich konturlosen „Einheitspartei“.

Mit der Berücksichtigung auch sozialistischer Forderungen wurde die SPD in der GroKo zu einer Blockpartei nach dem Vorbild der DDR. Mit der Floskel „alternativlos“ wird auch die Diskussion umgangen, dass neben der umverteilenden Finanzpolitik sogar die derzeitige Geldpolitik marktwidrig ist. Die Negativfolgen dieser Politik tragen vor allem kleine Angestellte und solide Sparer, die Konsum auf Pump ablehnen. Die populär vermarktete staatlich interventionistische Lenkung des Zinses unter dem Marktniveau ist ein Brandbeschleuniger der bereits seit 2007 bestehenden Finanzkrise. Die dauerhafte Niedrigzinspolitik setzt die Steuerungsfunktion der Preise außer Kraft. Eine unabhängig agierende Bundesbank, die den Geldwert sichert ist längst Geschichte. Der Wechsel von der Deutschen Mark zum Euro war, wie sich jetzt zeigt, eine Währungsreform mit völlig neuen – destabilisierenden – Spielregeln.

So wurde die Geldpolitik „vergemeinschaftet“, ohne sich an vereinbarte faire Regeln zur Sicherung des Geldwerts zu halten. Die Bundesbank ist nur noch eine von vielen Notenbanken in der EU und wird regelmäßig überstimmt. Durch die jüngsten – die Vorstellungskraft sprengenden und zeitlich nicht mehr limitierten – Staatsanleihenkäufe der EZB (monatlich 60 Milliarden Euro! Wenn die Zentralbanken im Euroraum mangels Abgabebereitschaft nicht genug Staatsanleihen ankaufen können, droht eine neue Interventionsspirale!) wird gegen die Grundsätze solider Geldpolitik verstoßen. Merkel betonte im Januar in Davos, dass die EZB ihre Entscheidungen in vollständiger Unabhängigkeit fälle. Das ist typisch Merkel. Politisch korrekt formuliert (obwohl die Bürger das Vertrauen in diese vermeintlich unabhängige Geldpolitik immer mehr verlieren), aber so fahren wir trotzdem vor die Wand.

Vor allem die Politik Mario Draghis und auch die der Kanzlerin Merkel sorgen dafür, dass der Euro dank ungehemmter Geldflutung zum Nulltarif auch marktwidrig erhalten bleibt, „koste es, was es wolle“. Wenn sich die Märkte nach den Interventionen, die sie beschädigen, nicht wie gewünscht entwickeln, löst dies – so verstanden folgerichtig – weitere Eingriffe aus. Fraglich ist, ob der Begriff Markt in diesem Zusammenhang überhaupt noch angemessen ist. Am Ende haben wir dann lupenreine Planwirtschaft. Bereits jetzt steht eine zunehmend interventionistische Sozial- und Industriepolitik im Verbund mit Frankreich und auf EU-Ebene im Fokus. Kanzlerin Angela Merkel moderiert Politik inzwischen nur noch. Sie hält zwar weiter die Fäden in der Hand, aber ohne inhaltlich zu führen. Den demokratischen Wettbewerb hat die machtorientierte Dauerkanzlerin – soweit sie dazu in der Lage war – abgeschafft. Werte werden opportun beliebig angepasst (lesenswert dazu Gertrud Höhler: Die Patin – Wie Angela Merkel Deutschland umbaut, Zürich 2012). Dies führt zur vollständigen Überwindung der von Ludwig Erhard gestalteten Wirtschafts- und Sozialpolitik, wenn mangels funktionsfähiger demokratischer Opposition nicht mehr gegengesteuert werden kann.

Erhards Wirtschafts- und Sozialpolitik ist ein Gegenbild der aktuellen Politik

In der Erhard’schen Marktwirtschaft sind staatliche – temporäre – Hilfen für Bürger in Not die Ausnahme. Eine Regelversorgung über Generationen war nicht Erhards Sozialmodell. Er warnte vor dem entmündigenden Versorgungs- oder Betreuungsstaat. Kanzlerin Merkel verfestigte ihn durch fragwürdige Kompromisse. Die CDU-Parteivorsitzende äußert allenfalls öffentlich Bedenken, um dann – oft sogar ohne Gegenleistungen – nachzugeben. Kanzlerin Merkels inhaltliche Flexibilität wird überraschenderweise hingenommen. Die CDU wird ihrer Rolle als „Kanzlerwahlverein“ wieder gerecht, bei der Merkel-Administration aber mit beliebigen, zunehmend auch sozialistischen Inhalten.

Politisches Versagen prallt an der inzwischen „Unbesiegbaren“ ab, dafür sind andere zuständig. Inhaltlich bleibt Angela Merkel seit dem Wahldebakel für die CDU 2005 vage. Das süße Gift der linken Illusion mit sozialistischen Heilsversprechen hat sich in der Vorstellungswelt der Wähler verfestigt, auch wenn sie längst unfinanzierbar sind. Die Bürger erkennen die Gefahren entweder nicht, weil sie sie nicht verstehen oder sie die Probleme verdrängen. Warum auch immer. Jedenfalls wirkt eine liberale, freiheitliche Alternative ohne Fürsorgestaat für die Bürger unattraktiv. Die nachhaltig positiv wirkende Soziale Marktwirtschaft Erhard’scher Prägung ist viel schwerer zu vermitteln als Umverteilung und Planwirtschaft.

Mit dem Schüren von Neid und Missgunst, einem „deutschen Erbübel“ nach Erhard, werden Politiker auf Dauer nicht davon ablenken können, dass sie ordnungspolitisch versagt haben. Es regiert sich zwar gut als Dauerkanzlerin, für die Bürger ergeben sich immer mehr Risiken durch das kostenträchtige Kaufen von Zeit ohne marktwirtschaftskonforme Reformen. Eine florierende Wirtschaft war für Erhard „gemeinwohlorientiert“ und also immer auch die sozialste. Dass Unternehmer Gewinne maximieren wollen, war für ihn selbstverständlich. Erhard wollte freien Wettbewerb in Eigenverantwortung nach dem Motto „so wenig Staat wie möglich, nur so viel Soziales wie nötig“. Den staatslenkenden kreativen Sozialismus à la Sahra Wagenknecht hätte Erhard daher sicher abgelehnt.

Der vorliegende Beitrag von Dr. Ulrich Horstmann ist erstmals auf der Website des Deutschen Arbeitgeber Verbandes erschienen.

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