In den USA hat sich zwischen Demokraten und Republikanern eine polarisierende Kontroverse um die wirtschaftspolitische Wiederbelebung nach der Pandemie und zukunftsfähige Gestaltung der amerikanischen Wirtschaft entwickelt. Die beiden Ökonomen und Politikberater Paul Krugman und Larry Summers vertreten ebenfalls unterschiedliche Standpunkte. Ihre Debatte kann auch auf die Geld- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union ausstrahlen.

Nach den Jahren der Präsidentschaft von Donald Trump ist die spaltende Kontroverse um die künftige wirtschaftspolitische Ausrichtung der USA nicht überraschend. Ungewöhnlich ist jedoch, dass sich die Auseinandersetzung darüber hinaus zwischen zwei der Partei der Demokraten zuneigenden Nobelpreisträgern für Wirtschaft vollzieht: Paul Krugman und Larry Summers, beide hochrangige Berater der demokratischen Präsidenten Bill Clinton, Barack Obama und Joe Biden. Der Austausch ihrer Argumente ist nicht nur ein Musterbeispiel für unterschiedliche Standpunkte bei der wissenschaftlichen Politikberatung; er ist in der Abwägung der Argumente auch für die geld- und wirtschaftspolitische Debatte in der Europäischen Union von Bedeutung.

Ihren Ursprung hat die Debatte in der von Biden eingeleiteten wirtschaftspolitischen Neuausrichtung, öffentlichkeitswirksam mit dem Schlagwort „Bidenomics“ belegt. Während sich die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers einer konzeptionellen Einordnung entzieht, hat die von Biden vertretene Vorgehensweise durchaus ordnungspolitischen Gehalt. Es wird nicht nur auf eine Anregung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, zum Beispiel durch staatlich finanzierte Konsumschecks für die Bevölkerung, gesetzt.

Entsprechend dem Grundsatz, dass sowohl die Nachfrageseite als auch die Angebotsseite des wirtschaftlichen Geschehens zu berücksichtigen ist, besteht das zweite Standbein der Bidenomics auf der Angebotsseite in einem milliardenschweren staatlichen Ausgabenpaket zur Verbesserung der Infrastruktur und damit der volkswirtschaftlichen Effizienz, vor allem in den Bereichen Verkehrsnetze, Stromleitungen, Wasserversorgung und Telekommunikation sowie Bildung.

Nachhaltige Inflationsgefahr?

Bei näherer Analyse der Argumente wird deutlich, dass Summers in stärkerem Maße als Krugman eine frühere Ausrichtung auf die Angebotsseite befürwortet und im Unterschied zu Krugman vor Inflationsgefahren durch zu hohe Nachfrageimpulse warnt. Er geht davon aus, dass Infrastrukturmaßnahmen zur Verbesserung der produktiven Verfassung der US-Wirtschaft in der Folge zu mehr Nachfrage und Beschäftigung führen. Diese Betonung der Angebotsseite ist durch das angestrebte Einwirken auf eine Verbesserung der volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein ordnungspolitischer Ansatz.

In einem kürzlich geführten Interview – „Inflation ist wie ein Drogen-High“, in: Die Zeit, Nr. 26 – betont Summers darüber hinaus, wiederum ordnungspolitisch orientiert, dass die Umwelt- sowie Genehmigungsverfahren kräftig beschleunigt werden müssen, die Maßnahmen billiger und effizienter zu gestalten sind und der Privatsektor zu deregulieren sei. Es sind dies Vorschläge, die gewiss bei der weiteren wirtschaftspolitischen Ausrichtung in Europa eine Rolle spielen sollten.

Für bereits getätigte nachfrageseitige Milliardenausgaben, so Summers in diesem Interview, habe man noch nichts bekommen: „Ganz schlicht: Zu viel Nachfrage, zu wenig Angebot. Zu viel Geld, das auf zu wenig Nachfrage trifft. Fazit: Inflation von sechs Prozent.“ Der Inflationsdruck wachse bei sich auch in den USA abzeichnendem Rohstoff- und Arbeitskräftemangel, weil dann die Preissteigerungen im Sinne einer Preis-Lohn-Spirale nicht nur, wie Krugman argumentiert, eine vorübergehende Abweichung sind. Für die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed ergibt sich nach Summers, die expansive Ausrichtung zu überdenken.

Krugman sieht zwar auch die Notwendigkeit von Infrastrukturinvestitionen, setzt aber, mehr keynesianisch geprägt, darauf, dass die Nachfrage Privater nach Konsum- und Gebrauchsgütern zu einer Ausweitung der Produktionskapazitäten führt, damit Angebot schafft und in einen stabilen Aufschwung mündet. Die feststellbaren Preissteigerungen seien primär Folge von Anpassungsprozessen aufgrund gestörter Lieferketten durch die Pandemie und deshalb ein transitorisches Phänomen, vergleichbar mit dem Durchdrehen von Autoreifen nach einem Schnellstart und dem danach erfolgenden Wieder-Griff-fassen.

Fed kündigt restriktivere Geldpolitik an – EZB folgt dem nicht

Es deutet sich an, dass die Fed den Mahnungen von Summers zuneigt. In einem sehr ungewöhnlichen Schritt hat sie im Juni 2021 den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik angekündigt und den Marktteilnehmern damit im Sinne einer „forward guidance“ eine erste Orientierung gegeben: Für Ende 2023 erwartet die Fed eine Erhöhung ihres Leitzinses um 0,5 Prozentpunkte. Der Zeithorizont von mehr als zwei Jahren für den Beginn einer restriktiveren Geldpolitik macht deutlich, wie schwierig der Ausstieg aus einer lange Jahre betriebenen Niedrigzinspolitik angesichts sehr hoher privater und öffentlicher Schulden ist.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich zu einer derartigen „forward guidance“ noch nicht entschließen können, obwohl sie dieses Instrument zur Beeinflussung der Erwartungen hinsichtlich der künftigen Entwicklung der EZB-Leitzinsen und der Dauer der expansiven Programme zum Ankauf von Staatsanleihen seit Juli 2013 kennt und hin und wieder praktiziert hat. Das Kernelement ihrer mit Pressemitteilung vom 8. Juli 2021 verkündeten neuen geldpolitischen Strategie ist eine symmetrische Definition des Inflationsziels von mittelfristig nunmehr 2 Prozent. Daraus folgt, dass negative Abweichungen von diesem Ziel ebenso unerwünscht sind wie positive.

Das bedeutet, dass die Inflation, so die EZB in ihrer Erklärung zur geldpolitischen Strategie, vorübergehend leicht über dem Zielwert liegen kann. Da es sich um eine allgemein gültige Strategie handelt, die seit Beginn der Amtszeit der Präsidentin der EZB Christine Lagarde im November 2019 entwickelt wurde, sollte man aus diesem Mehr an Flexibilität keine Aussage über die weitere konkrete Ausrichtung der Geldpolitik ableiten. Es gibt jedoch erste Hinweise, gewiss auch in Kenntnisnahme der Vorgehensweise der Fed, dass im EZB-Rat ein Überdenken der sehr lockeren Geldpolitik eingesetzt hat.

Lehren für die Europäische Union

Eine Rolle dürfte dabei spielen, dass man bei der Deutschen Bundesbank für den Euroraum ein sich abzeichnendes Übergewicht der Aufwärtsrisiken für die Preisentwicklung erwartet. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, hat in einer Keynote „Wirtschaft und Geldpolitik auf dem Weg aus dem Krisenmodus?“ anlässlich des Frankfurt Euro Finance Summit am 28. Juni 2021 auf die Preisentwicklung hingewiesen und außerdem vorgeschlagen, dass die Anleihekäufe des „Pandemic Emergency Purpose Programme“ (PEPP) schrittweise zurückgeführt werden könnten, um dieses Programm nicht ruckartig beenden zu müssen. Ein konkreter Zeitpunkt dafür wurde nicht genannt. „Die Inflation ist nicht tot“, so Weidmann in seinem Vortrag.

Für die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union sowie ihrer Nationalstaaten ergeben sich als Lehren aus der Krugman-Summers-Kontroverse erstens, bei der Gestaltung künftiger wirtschaftspolitischer Programme die Balance zwischen Angebots- und Nachfrageimpulsen zu beachten, zweitens, staatliche Mittel mit Vorrang konsequent für Deregulierung, Innovationsimpulse und Effizienzsteigerung der Verwaltungs- und Wirtschaftsabläufe zu nutzen, sowie drittens, Unterstützungszahlungen für Mitgliedsländer ebenso konsequent und vor allem der öffentlichen Debatte zugänglich nur dann zu bewilligen, wenn entsprechende detaillierte und verbindliche Programme vorgelegt werden.

Aufgrund der nicht immer positiven Erfahrungen bei der zielgerichteten Verwendung von Fördermitteln sollte beim Europäischen Wiederaufbaufonds, der eine Mittelvergabe an die Länder in Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro vorsieht, deshalb über die Einhaltung der der EU-Kommission vorzulegenden Pläne in regelmäßigen Abständen im Europäischen Parlament Rechenschaft abgelegt werden.

Professor Dr. Dietrich Schönwitz ist Rektor der Hochschule der Deutschen Bundesbank im Ruhestand.

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