Prof. Dr. Thomas Mayer, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung, beschreibt die kritische Lage in Italien und die damit einhergehende Gefahr für den Fortbestand der Europäischen Währungsunion. Ein „New Deal“ zwischen den überschuldeten Südländern der Eurozone und den weniger verschuldeten Nordländern könnte den Euro retten. Seine Thesen trug Thomas Mayer auf dem ersten Europa-Forum von Ludwig-Erhard-Stiftung und Wirtschaftsrat der CDU vor, das am 20. November 2018 in Berlin stattgefunden hat.

Ein gemeinsamer Währungsraum erfordert, dass die daran teilnehmenden Staaten ihre Souveränität über die Geldschaffung und den Wechselkurs zu anderen Währungen an eine übergeordnete Behörde abgeben. Dadurch entfallen die Möglichkeiten, Budgetdefizite des Staates durch die staatseigene Notenbank finanzieren zu lassen und übermäßige Kostensteigerungen durch Wechselkursabwertungen zu kompensieren, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erhalten zu können. Mit anderen Worten: Eine Währungsunion stellt erhöhte Anforderungen an eine disziplinierte staatliche Haushaltsführung und die private Kostenkontrolle der Wirtschaftsunternehmen. Nach zwei Jahrzehnten Erfahrung innerhalb der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWU) lässt sich leider feststellen, dass einige Länder — und darunter insbesondere Italien — diese Disziplin nicht aufbringen können.

Die Probleme Italiens lassen sich anhand der folgende Beobachtungen illustrieren:

  • Die Lohnstückkosten sind in den zwei Jahrzehnten der Währungsunion in Italien deutlich stärker gestiegen als in Deutschland.
  • Die stärkere Erhöhung der Kosten hat in Italien zu einer entsprechend stärkeren Steigerung der Preise geführt.
  • Die sich daraus ergebende Aufwertung des impliziten realen Wechselkurses Italiens hat zur Schrumpfung des Sektors geführt, der handelbare Güter herstellt. Heute liegt die Industrieproduktion in Italien 13 Prozent unter ihrem Niveau von 1998, dem Jahr vor Beginn der Europäischen Währungsunion. In Deutschland liegt sie dagegen 34 Prozent darüber.
  • Seit der Finanzkrise von 2007-08 ist das reale Bruttoinlandsprodukt in Italien um rund 3 Prozent zurückgegangen. Das reale BIP in Deutschland stieg in dieser Zeit um 14 Prozent.
  • Während der letzten zwei Jahrzehnte fiel das Haushaltsdefizit des italienischen Staats selten unter 2,5 Prozent des BIP und die Staatsverschuldung stieg von 111 Prozent des BIP im Jahr 1998 auf mehr als 130 Prozent im Jahr 2018.
  • Im ersten Quartal 2018 betrug der Anteil der notleidenden Kredite am gesamten Kreditvolumen der italienischen Banken 18,6 Prozent und damit weit mehr als deren Eigenkaptal. In der Eurozone insgesamt und in Deutschland betrugen die entsprechenden Anteile 8,4 Prozent beziehungsweise 3,8 Prozent.

Soll Italien aus dem Euro austreten?

Aus ökonomischer Sicht wäre die Konsequenz der italienischen Misere der Austritt aus der Währungsunion. Wenn ein Land an der Droge billigen Geldes und staatlicher Konjunkturprogramme hängt und nicht davon loskommt, kann es in einem Club nicht bestehen, der den Drogenkonsum strikt ablehnt. Doch ist die Vorstellung eines Austritts aus der EWU in Italien nicht gerade populär. Außerdem ist unklar, ob aus finanzieller Sicht ein Austritt Italiens aus der EWU aufgrund der inzwischen fortgeschrittenen Integration Italiens in den europäischen Finanzmarkt nicht zu einer schwer zu beherrschenden Finanzkrise führen würde. Und aus politischer Sicht könnte nach Ansicht vieler Europapolitiker ein solcher Austritt die Existenz der Europäischen Union aufs Spiel setzen. Daher lehnen sowohl die meisten italienischen als auch die meisten anderen europäischen Politiker einen Austritt Italiens aus dem Euro ab, entwickeln jedoch auch kaum tragfähige alternative Lösungen.

Könnte Italien durch einen „Bankenrun“ aus dem Euro geschleudert werden?

Diese Frage bejaht Stefan Homburg von der Universität Hannover in einer jüngst erschienenen Analyse. Ein „Run“ auf die Bankeinlagen könnte Italien aus der Währungsunion schleudern. Nehmen wir an, italienische Bankkunden würden das Vertrauen in die Sicherheit ihrer Giralgeldeinlagen verlieren und diese nach Deutschland verlagern. Statt ihren italienischen Partnern nun Interbankkredite zu gewähren, würden die deutschen Banken wohl von ihnen verlangen, dass sie zur Deckung der neuen Verpflichtungen werthaltige Forderungen in Form von Zentralbankgeld mitliefern. Mit dem Abfluss von Giralgeld verringern sich daher die Zentralbankreserven der italienischen Banken.

Was geschieht, wenn die Reserven der italienischen Banken aufgebraucht sind? Damit die Überweisungen nach Deutschland weitergehen können, müssen sich die italienischen Banken neues Reservegeld besorgen. Das können sie, wenn sie von ihnen vergebene Kredite mit einer Vereinbarung zum späteren Rückkauf im Tausch gegen Zentralbankgeld an die italienische Zentralbank abgeben. Solange dies verbriefte Kredite ordentlicher Qualität sind, können sie dafür die üblichen Finanzierungsfazilitäten der EZB nutzen. Und wenn sie nur noch zweifelhafte Kredite für den Tausch haben, können sie sich von der Banca d‘Italia (BdI) im Rahmen der „Emergency Liquidity Assistance“ (ELA) das nötige Zentralbankgeld holen. Theoretisch könnten von den Bilanzen der italienischen Banken alle Kredite und Einlagen verschwinden. Die Kredite lägen nun bei der BdI und die Einlagen in Deutschland. Als Gegenposten hätte die BdI im Interbankzahlungssystem Target2 entsprechende Verpflichtungen und die Bundesbank die dazu gehörigen Forderungen. Rein theoretisch könnte der Euro also auch durch einen „Bankrun“ nicht geknackt werden.

Praktisch werden sich die italienischen Banken aber unter diesen Umständen nicht das nötige Zentralbankgeld holen können, das sie zur Finanzierung des Abflusses ihrer Sichteinlagen brauchen. Der Zentralbankrat der EZB kann nämlich mit einfacher Mehrheit die Vollzuteilung und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder die Ausgabe von Zentralbankgeld durch die BdI im Rahmen von ELA beenden. Vielen Ratsmitgliedern wird es mulmig werden, wenn ein Bankrun zu einer immer größeren Flucht von Giralgeld aus Italien in andere Länder führen würde.

Der Rat könnte sich dann zwar dazu entschließen, die ELA an die italienischen Banken nicht zu verhindern, aber diesen Entschluss wie im Falle Griechenlands mit der Einfuhr von Kapitalverkehrskontrollen verbinden. Dann wäre ein Export von Sichteinlagen aus Italien nur noch sehr begrenzt möglich. Um einen darauf einsetzenden Schmuggel von Bargeld aus dem Land zu erschweren, könnte (ebenfalls wie in Griechenland) die Bargeldausgabe eingeschränkt und Grenzkontrollen eingeführt werden. Theoretisch ist der Euro zwar nicht zu knacken. Praktisch könnte die Massenflucht von Sichteinlagen aus einem Land aber die Währungsgemeinschaft beenden. Denn wenn Giral- und Bargeld im Euroraum nicht frei fließen können, dann hat der Euro aufgehört, eine einheitliche Währung zu sein.

Sind „Mini-Bots“ die Lösung für Italien?

Wenn der Euro von den Italienern nicht mehr unbeschränkt verwendet werden kann, wird es notwendig, eine alternative Währung einzuführen. Dazu hat der italienische Europaminister Paolo Savona, der von Staatspräsident Matarella als Finanzminister in der gegenwärtigen Regierung verhindert wurde, einen Vorschlag gemacht. Kern dieses Vorschlags ist die Ausgabe unverzinslicher Schatzwechsel mit unendlicher Laufzeit in kleinen Stückelungen. Als Arbeitstitel tragen diese Papiere den Namen „Mini-Bots“, benannt nach den offiziellen italienischen Schatzwechseln (Buoni Ordinari del Tesoro). Mini-Bots sollen vom Staat als Parallelwährung zum Euro zur Finanzierung seiner Ausgaben ausgegeben werden. Beispielsweise könnte so das neu zu schaffende Grundeinkommen ausbezahlt werden. Gleichzeitig sollen die Mini-Bots für die Begleichung von Steuerschulden verwendet werden können. Damit würde zum Angebot auch die passende Nachfrage geschaffen. Mini-Bots könnten als Alternative zum Euro eingeführt werden, wenn dessen Verwendung begrenzt wird. Aber sie könnte auch einfach als Drohung verwendet werden, um die Finanzierung des italienischen Staates und der Banken durch die EZB durchzusetzen.

Die sichere Bankeinlage

Nur wenigen Politikern und nicht vielen Ökonomen ist bewusst, dass die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion bisher noch nicht zu einer Währungsunion geworden ist. Noch befinden wir uns in einer Bargeldunion; denn nur die von der EZB herausgegebenen Banknoten (und die dazu von den Staaten emittierten Münzen) sind in allen Euro-Mitgliedsländern gleichwertig. Giralgeldeinlagen unterscheiden sich dagegen entsprechend der Qualität der Kredite, mit denen sie geschaffen wurden und — insbesondere — entsprechend der Finanzkapazität der Staaten, diese Giralgeldeinlagen bei Bankpleiten zu erhalten.

Zur Sicherung der einheitlichen Qualität von Giralgeld — und folglich zur Vollendung der Währungsunion — soll eine einheitliche Einlagenversicherung geschaffen werden. Allerdings wollen Deutschland und einige andere Länder diese nur einführen, wenn die Banken, die diese Einlagen über Kreditvergabe als privates Schuldgeld herstellen, auch im ganzen Euroraum sicher sind. Zur Sicherheit gehören (i) ein ausreichendes Eigenkapitalpolster der Banken, (ii) die Unterlegung von Staatsanleihen auf der Bilanz mit Eigenkapital und (iii) eine Großkreditgrenze für die Anleihen eines Staates auf der Bilanz der Banken (gegenwärtig 25 Prozent des Eigenkapitals). Das Problem ist jedoch, dass diese Sicherheitsstandards nicht geschaffen werden können, ohne die gegenwärtig günstige Kreditfinanzierung der Staaten durch die Banken prohibitiv zu verteuern. Nur wenn Banken ohne Einsatz von teurem Eigenkapital und mit sehr billigem Fremdkapital (wofür die EZB zu sorgen hat) Staatsanleihen ohne jede Beschränkung kaufen können, kann der italienische Staat solvent bleiben. Das heißt, dass im Euroraum unter den gegenwärtigen Umständen und im derzeitigen Geldsystem ohne Mithaftung des Steuerzahlers keine sichere Einlage möglich ist.

Eine sichere Einlage ist im Euroraum unter den gegenwärtigen Umständen nur durch einen Systemwechsel vom Kreditgeld zu mit Zentralbankreserven voll gedecktem Giralgeld möglich. Auf dem Weg zum Systemwechsel wäre ein erster Schritt die Schaffung einer sicheren Euro-Bankeinlage als Alternative zur üblichen (durch Kreditvergabe geschaffenen) Bankeinlage. Sicherheit würde dadurch erreicht, dass die Einlage zu 100 Prozent mit Reservegeld der EZB gedeckt würde. Auch wenn die Bank, die die Einlage verwahrt, pleitegehen würde, bliebe die Einlage erhalten. Der Kunde bräuchte nur der Abwicklungsbehörde den Namen einer anderen Bank seiner Wahl nennen, zu der diese Einlage transferiert werden soll.

Die Tür zur Schaffung einer sicheren Bankeinlage hat die EZB durch ihr Anleihekaufprogramm schon aufgestoßen. Die EZB müsste mit diesen Käufen nur fortfahren, bis die Zentralbankreserven der Banken der Geldmenge M1 abzüglich des umlaufenden Bargelds (also den Sichteinlagen der Banken) entsprechen würden. Bis Ende September 2018 sind die Einlagen von Zentralbankgeld der Banken bei der EZB durch die Anleihekäufe auf rund 2,3 Billionen Euro gestiegen und machen somit rund ein Drittel der Sichteinlagen der Banken aus. Um den gegenwärtigen Bestand der Sichteinlagen der Banken in Höhe von 7 Billionen Euro vollständig mit Reservegeldeinlagen der Banken zu decken, müsste die EZB durch weitere Anleihekäufe noch rund 4,7 Billionen Euro an zusätzlichem Reservegeld schaffen.

Wie schon im „Chicago Plan“ von 1933 ausgeführt, erlaubt die Volldeckung von Sichteinlagen bei Banken mit Zentralbankgeld nicht nur die Absicherung der Einlagen, sondern eröffnet dem Staat auch die Möglichkeit einer einmaligen Entschuldung. Würde das gesamte Reservegeld zur Deckung von 7 Billion Euro Sichteinlagen durch den Erwerb von Staatsanleihen geschaffen und diese auf der Bilanz der EZB stillgelegt, dann würde die übrig bleibende Verschuldung der Eurostaaten am Markt um rund 7 Billionen Euro des Bruttoinlandsprodukts auf ungefähr 3 Billionen oder 25 Prozent des BIP fallen. Allerdings müsste die Entschuldung so erfolgen, dass eine erneute Rettung überschuldeter Staaten durch die Zentralbank in Zukunft absolut ausgeschlossen werden kann. Dies kann am besten dadurch erreicht werden, dass sich der Euro dann im Wettbewerb mit anderen Währungen behaupten muss.

Währungswettbewerb zur Rettung des Euro

Aus der oben beschriebenen sicheren Einlage ergibt sich die Möglichkeit, den Euro als digitale Währung in Konkurrenz zu anderen digitalen Währungen aufzustellen. Statt der zentral organisierten Übertragung von Geld durch Banküberweisung oder die persönliche Aushändigung von Banknoten aus Papier könnte Geld in der sicheren Einlage auch „peer-to-peer“ mit sogenannter „Distributed Ledger Technologie“ übertragen werden. Geld in der sicheren Einlage wäre folglich das virtuelle Pendant von papiernen Banknoten. Gedeckt wäre dieses Geld mit Ansprüchen der EZB an die Eurostaaten in Form der von ihr erworbenen Forderungen an die Staaten (die dann unverzinslich und von unendlicher Laufzeit wären). Diese Forderungen könnten mit der Wirtschaft wachsen, so dass die Geldmenge wie entsprechend vermehrt werden könnte.

Die Neuaufstellung des Euro als digitale Währung hätte drei Vorteile. Erstens könnte der Euro vor dem in seiner gegenwärtigen Form langfristig wahrscheinlich unkontrollierten Zerfall bewahrt und die damit verbundenen hohen politischen und finanziellen Kosten vermieden werden. Zweitens könnte ein digitaler Euro als optionales Tauschmittel und optionale Rechnungseinheit dem Markt für private Digitalwährungen Orientierungshilfe geben. Drittens könnte in der Konkurrenz von privatem und staatlichem Digitalgeld wie von Friedrich von Hayek vorgeschlagen das beste Geld im Wettbewerb um die Nutzer gefunden werden. Geld würde für die Bürger und nicht für die Zwecke von Politikern und Eliten geschaffen, die den Staat gekapert haben.

Fazit

Durch einen „New Deal“ zwischen den überschuldeten Süd- und den weniger verschuldeten Nordländern könnte der Euro auf eine sichere Grundlage gestellt werden. Dazu müssten die Nordländer der einmaligen Monetisierung von Staatsschulden durch die EZB und die Südländer dem Wettbewerb des Euro mit anderen Währungen zustimmen.

Der vorliegende Beitrag basiert auf der Studie von Thomas Mayer und Norbert F. Tofall: „Währungswettbewerb zur Rettung des Euro“, Flossbach von Storch Research Institute 2018.

Hier finden Sie weitere Informationen mit Redebeiträgen und Fotos vom ersten Europa-Forum von Ludwig-Erhard-Stiftung und Wirtschaftsrat der CDU.

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