Einmal mehr möchte sich mancher im aktuellen Politikbetrieb des positiven Images der „Wirtschaftswunderjahre“ bedienen: In der Debatte um die absehbaren desaströsen wirtschaftlichen Folgen durch Corona fallen Begriffe wie „Marshallplan“ oder „Lastenausgleich“. Ob aus Bequemlichkeit, Kalkül oder Unwissenheit mit den positiv belegten Begriffen aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik hantiert wird, sei dahingestellt. Insbesondere der Lastenausgleich scheint manche Phantasie zu beflügeln

Mit den Überlegungen zur Währungsreform im Deutschland der Nachkriegszeit wurde fast zeitgleich über einen Ausgleich für diejenigen nachgedacht, die durch Kriegs- und Nachkriegseinwirkungen Hab und Gut verloren hatten. Die Währungsreform 1948 schließlich führte bei Einheimischen und Vertriebenen zur Abwertung ihrer Bar- und Sparreserven. Sittliche Pflicht, sozialpolitische Notwendigkeit, politische Klugheit und nicht zuletzt die (volks-)wirtschaftlichen Möglichkeiten waren in den Überlegungen jener Wochen und Monate maßgeblich.

Von deutscher Seite wurde unter anderem in der Sonderstelle Geld und Kredit – Ludwig Erhard war von Oktober 1947 bis März 1948 Direktor dieser Institution – über das angemessene Vorgehen im Zuge einer Währungsreform nachgedacht. Allerdings lehnten die Alliierten eine simultane Regelung von Währungsreform und Lastenausgleich ab, insbesondere mit Verweis auf die Komplexität, und damit auf die zeitliche Dimension des Vorhabens.

Die verbreitete Notlage erforderte jedoch umgehende Hilfen für Betroffene, und so wurde 1949 zunächst das „Soforthilfegesetz“ als Übergangslösung bis zum Erlass eines umfassenden Lastenausgleichs in Kraft gesetzt. Soforthilfe hieß, es wurden bedarfsorientierte Wiedereingliederungshilfen für „Flüchtlinge, Sachgeschädigte, Währungsgeschädigte, politisch Verfolgte und Spätheimkehrer“ gewährt. Die Finanzierung erfolgte auf dreierlei Wegen: durch eine Allgemeine Soforthilfeabgabe, eine Soforthilfesonderabgabe sowie aus den Erträgen von Umstellungsgrundschulden.

Nach der ersten Bundestagswahl 1949 schienen alle Parteien den Lastenausgleich rasch umsetzen zu wollen. Nur mit einer wirtschaftlich, sozial und politisch befriedeten Gesellschaft könne ein Neuanfang gelingen, so das Credo maßgeblicher Politiker. Dennoch zog sich das Vorhaben hin: Nach langen Auseinandersetzungen kam 1952 das Lastenausgleichsgesetz mit Billigung der (drei west-)alliierten Mächte zustande. Von der ersten Regierungsvorlage im Frühjahr 1950 bis zur Verabschiedung dauerte es zweieinhalb Jahre, sich über das „Wie“ zu einigen. Selbst die Debatte bei der Verabschiedung des Gesetzes am 14. August 1952 war den Plenarprotokollen zufolge noch von Meinungsgegensätzen geprägt.

Langwierige Lösungssuche

Letztlich waren nun die „Vermögenden“ der noch jungen Bundesrepublik aufgerufen, diejenigen zu unterstützen, die infolge des Krieges Sach- und Vermögensverluste erlitten hatten. Das Lastenausgleichsgesetz sah im Einzelnen vor:

  • laufende Leistungen in Form von Unterhaltshilfen, Entschädigungsrenten, Beihilfen aus einem Härtefonds;
  • Hausratsentschädigungen;
  • Sparerentschädigungen in Form eines Währungsausgleichs Vertriebener sowie einer Altsparerentschädigung;
  • Existenzaufbauhilfen und -darlehen für die gewerbliche Wirtschaft;
  • Existenzaufbauhilfen und -darlehen für die Landwirtschaft;
  • Wohnraumhilfen, Aufbaudarlehen, Förderung des sozialen Wohnungsbaus;
  • sonstige Fördermaßnahmen, zum Beispiel Ausbildungshilfe, Heimförderung;
  • Hauptentschädigungen für Vermögensschäden.

Im Widerstreit der unterschiedlichen Interessen hatte sich ein Mittelweg zwischen sozialer Hilfe einerseits und Erstattung von verlorenem Eigentum und Vermögen andererseits durchgesetzt. Zu Beginn lag der Schwerpunkt auf rentenähnlichen Zahlungen. In der Folgezeit traten weitere Entschädigungen, später eine gestaffelte Hauptentschädigung hinzu. Finanziert wurden alle Leistungen durch eine 50-prozentige Abgabe auf das Vermögen am Währungsstichtag 21. Juni 1948 sowie durch Hypotheken- und Kreditgewinnabgaben.

Die Zahlungen erfolgten in vierteljährlichen Raten – verteilt auf 30 Jahre – und wurden in den Folgejahren durch steigende Zuschüsse von Bund und Ländern ergänzt. Im Laufe der Zeit wurde der Personenkreis, den das Lastenausgleichsgesetz umfasste, größer, beispielsweise ab 1965 durch Flüchtlinge aus der DDR und zu Beginn der 1990er Jahre durch „Spätheimkehrer“ aus der ehemaligen Sowjetunion.

Auch wenn der Lastenausgleich im Wesentlichen abgeschlossen ist – Anträge konnten bis 31. Dezember 1995 gestellt werden –, laufen nach wie vor Zahlungen aus dem Lastenausgleichsfond an Bezieher von Rentenleistungen. Die Umsetzung des Lastenausgleichs erforderte nicht nur ein umfangreiches Gesetzgebungswerk, sondern auch eine ausgeklügelte Verwaltung mit eigenem Bundesamt (Bundesausgleichsamt) unter Federführung des Bundesministeriums für Finanzen.

Lastenausgleich: politisch und psychologisch wirksam

Die Anfangsjahre des Lastenausgleichs waren bedeutsam für die noch junge Demokratie in der Bundesrepublik. Obwohl Vertriebene, Flüchtlinge und andere Kriegsgeschädigte die Hauptlast der Kriegsfolgen zu tragen hatten, war die Situation auch der übrigen Bevölkerung insgesamt eher trostlos. Umso beachtlicher war die allgemeine Bereitschaft, diejenigen zu unterstützen, die noch schlechtere Voraussetzungen hatten. Ohne diese solidarische Einstellung wäre angesichts der Millionen entwurzelter Menschen der innere Frieden in Deutschland womöglich nur schwer zu erreichen gewesen.

Der mit der Wirtschafts- und Währungsreform im Juni 1948 gefallene Startschuss für den zügig einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung sorgte dafür, dass sich die ökonomischen Voraussetzungen schnell verbesserten.

„Es ist meine feste Überzeugung, dass die in der Währungsreform sichtbar werdenden, unabdingbaren Opfer nur dann nicht zur Auflösung der sozialen Ordnung treiben, wenn sie eine gerechte Umlegung erfahren, wenn der ehrliche Wille zu einem Lastenausgleich mit der Reform auch zur Tat wird.

Gerade deshalb aber wird ein Erfolg umso sicherer, rascher und nachhaltiger erzielt werden können, je besser es uns gelingt, unsere Wirtschaft aus der Lethargie zu befreien und nach dann wieder möglichen wirtschaftlichen Grundsätzen die Erzeugung stetig auszuweiten. Nicht in der Nivellierung des Mangels und der Not, sondern in der gerechten Verteilung eines allmählich wachsenden Wohlstandes muss das Heil gesucht und gefunden werden.“ Ludwig Erhard 1948

Daran hatten auch die Nutznießer des Lastenausgleichs einen großen Anteil, gerade sie waren häufig besonders motiviert, für sich und ihre Familien eine neue Existenz aufzubauen. Der Lastenausgleich war hierbei – neben dem persönlichen Einsatzwillen – eine wichtige Hilfe. Vom Fleiß und tatkräftigen Einsatz der Begünstigten haben letztlich also auch diejenigen profitiert, die im Rahmen des Lastenausgleichs zur Zahlung herangezogen wurden.

Zudem muss bedacht werden, dass die Einkommens- und Vermögensentwicklung im „Wirtschaftswunder“ nach 1948, anders als in den letzten zehn, 15 Jahren, rasant verlief. Insgesamt hielt sich die befürchtete Belastung durch die vom Lastenausgleich angestoßenen Umverteilungsmaßnahmen in Grenzen, vor allem, weil das Volkseinkommen rasch und in damals unvorhersehbarer Weise stieg. 1952 war das keinesfalls zu erwarten. Die insgesamt gewährten finanziellen Leistungen seit 1952 bezifferte das Bundesausgleichsamt 2001 – bei der Umstellung von D-Mark auf Euro – auf 127 Milliarden D-Mark. Den größten Anteil an den Leistungen hatten die Rentenzahlungen und die Hauptentschädigung. Mit Blick auf den Bundeshaushalt 1952 (23,2 Milliarden D-Mark) erscheinen diese Beträge aus heutiger Sicht vergleichsweise bescheiden.

Das Thema „Lastenausgleich“ tauchte 1992 nochmals prominent, aber kurz in Pressemeldungen auf: Bundespräsident Richard von Weizsäcker schlug das für die neuen Bundesländer vor. Der Aufbau Ost sei ebenso bedeutsam wie die Aufbauleistung im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Lastenausgleich sei „nicht nur wirtschaftlich möglich und sinnvoll, sondern auch moralisch und historisch angebracht“, meinte von Weizsäcker. Der Bundespräsident wollte – entgegen dem Ausgleich von 1952 – keine individuell ausgezahlte Hilfe, sondern pauschal „die Förderung der Wirtschaft“. Von Weizäcker regte an, 50 Prozent der Vermögenserträge dafür aufzuwenden, also Gewinne aus Aktien, Sparguthaben und Versicherungen. Diese Idee fand damals keine Unterstützung.

Gleich nach Corona kamen die Milliarden

Aktuelle Vorschläge für einen Lastenausgleich im Zuge der Corona-Maßnahmen nehmen vor allem die Finanzierung durch eine Vermögensabgabe, eine „Reichensteuer“ o.ä. in den Blick. Solche Vorschläge lassen außer Acht, dass die politische und wirtschaftliche Situation nach 1945 in Deutschland eine völlig andere war. Am Augenfälligsten: Infolge des Krieges gab es massive Zerstörungen in vielen Gebieten und unzählige Flüchtlinge und Vertriebene. Des Weiteren bestimmten die alliierten Siegermächte über die Politik in Deutschland, es gab vorerst keine souveräne Regierung. Nicht zuletzt fehlte eine tragfähige, leistungsstarke Wirtschaft – angesichts dieser verheerenden Ausgangslage eine gewaltige Herausforderung.

Im Zuge der „Corona-Krise“ haben Bund und Länder in kurzer Zeit fast 1,3 Billionen Euro für Hilfspakete mobilisiert. Zum überwiegenden Teil werden diese Hilfen (noch) als Garantien oder Bürgschaften bereitgestellt. Bezahlen müsste der Staat – genauer: der Steuerzahler – erst dann, wenn die Unterstützungen abgerufen werden oder wenn Unternehmen, für die staatliche Bürgschaften vorliegen, Pleite gehen. Direkte Hilfszahlungen machen derzeit rund 15 Prozent am Gesamtpaket aus. Dafür wird sich Deutschland stärker verschulden. Der Nachtragshaushalt des Bundes sieht für das Jahr 2020 statt 362 Milliarden Euro nun Gesamtausgaben in Höhe von 484,5 Milliarden Euro vor. Zur Finanzierung müssen Kredite in Höhe von 156 Milliarden Euro aufgenommen werden.

Ein zusätzlicher frappierender Unterschied zu 1952: Damals sollte eine auf viele Schultern verteilte Last über Jahrzehnte in Erwartung und mithilfe einer florierenden und wachsenden Wirtschaft gestemmt werden. Angesichts der schwindelerregenden Dimensionen infolge der Corona-Lasten und den vergleichsweise dürftigen Wachstumsraten der letzten Jahrzehnte drängt sich dagegen der Verdacht auf, dass für die durch die Politik bereits aufgetürmten Leistungen – einmal mehr – kein tragfähiges Konzept zur Begleichung der Rechnung vorliegt.

Fazit: Von einem Lastenausgleich wie 1952 ist Deutschland in der aktuellen – und von der politischen Reaktion auf die Pandemie maßgeblich ausgelösten – Krise weit entfernt. Zum einen unterscheiden sich die Gruppen, deren Lasten abgefedert werden sollen: Momentan hat die Politik vor allem vermeintlich bedeutsame Branchen und Unternehmen – zum Beispiel Luftfahrt oder Automobilbau – im Blick. Es scheint zudem, dass diejenigen, die sich am lautesten Gehör verschaffen, zu den vom Staat Unterstützten gehören werden. Vor 70 Jahren standen dagegen Menschen ohne Hab und Gut im Fokus der politischen Diskussionen und Entscheidungen.

Zum anderen wurden die Lasten damals auf viele Schultern verteilt. Zurzeit stellt sich eher die Frage, wie Empfänger von Kurzarbeitergeld, Einzelselbständige mit weggebrochenem Geschäftsmodell, Gastronomiebetriebe ohne oder in jedem Fall wohl mit weniger Gästen und so weiter eventuelle zusätzliche Abgaben aufbringen sollen. Ihnen drohen bereits Belastungen, wenn die Wirtschaft nicht wieder zügig anspringen oder länger zur Erholung brauchen sollte. Spätestens dann stellt sich die Frage, wer überhaupt in der Lage sein wird, Lasten auszugleichen.

Andreas Schirmer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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