Mangel an Liberalität, Regelungswut, obrigkeitsstaatliches Denken und volkspädagogischer Anstrich – die Debatte um Enteignungen von Wohnungen lässt sich problemlos in die Forderungsliste nach „Mehr Staat!“ eintragen. Zuletzt äußerte sich der grüne Hoffnungsträger Robert Habeck.

Literat, Naturbursche, Draußenminister, Philosoph mit Machtinstinkt, und so weiter: alle Medien – von der „Augsburger Allgemeinen“ über den „Focus“ bis zur „Zeit“ – lieben Robert Habeck! Wenig überraschend, dass sich in aktuellen Prognosen 20 bis 25 Prozent der befragten Wahlbürger diesen Teufelskerl als Kanzler vorstellen können (ab Sommerloch ist’s dann vermutlich die absolute Mehrheit, zumindest „Bundeskanzler der Herzen“). So wundert kaum, dass sein Interview in der Welt am Sonntag (7. April 2019) große Beachtung fand, insbesondere seine Aussagen zur Enteignung von Grundbesitz: „Wenn Eigentümer weder bauen noch an die Stadt verkaufen wollen, muss notfalls die Enteignung folgen.“

Eine Woche später präzisierte der Vorsitzende der Grünen im Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Im Übrigen geht es gar nicht um normalen Privatwohnungsbesitz. Es geht einzig und allein um große, häufig börsennotierte Unternehmen, und nur wenn diese nicht anders zu sozialerem Verhalten gebracht werden können. Also als letztes Mittel.“

Zeitgeist: Mehr Staat, bitte!

Dass sich Habeck derart dezidiert äußert, liegt möglicherweise am Zeitgeist – mehr Staat, am besten in allen Bereichen. Eventuell will er die Gunst der Stunde nutzen, um seine Umfragewerte weiter zu pushen. Konkreter Anlass ist die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin: In der Hauptstadt sollen im Fall eines erfolgreichen Volksentscheids alle Immobilienunternehmen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten ihre Wohnungsbestände gegen Entschädigung abgeben.

Die Initiatoren des nicht bindenden Volksbegehrens berufen sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes. Der Artikel lässt unter Bedingungen die Überführung von Grund und Boden oder Produktionsmitteln gegen Entschädigung in Gemeineigentum zu. Das Land Berlin soll die Wohnungen den Firmen zwangsweise abkaufen. Bei den infrage stehenden Wohnungsunternehmen mit rund 240.000 Wohnungen – zu den betroffenen zehn Unternehmen würde auch die Hilfswerk-Siedlung GmbH, ein Unternehmen der evangelischen Kirche, gehören – müsste Berlin nach Berechnungen des Senats etwa 30 bis 35 Milliarden Euro ausgeben. Zum Vergleich: Das Land Berlin hat derzeit annähernd 60 Milliarden Euro Schulden.

Erhard, Adenauer, Heuss – Habeck?

Nach Überzeugung von Habeck sei dieses Vorgehen durch Erhard, Adenauer und Heuss gedeckt, „denn wir haben verlernt, dass soziale (sic!) Marktwirtschaft bedeutet: sozial gesteuerte Märkte zu haben.“ Davon abgesehen, ob die drei Persönlichkeiten aus den Gründerjahren der Bundesrepublik tatsächlich einhellig dieser Meinung waren (Spoiler: Nein, waren sie nicht.), müsste sich der an Ludwig Erhard Interessierte vor allem mit dem Begriff des Sozialen bei Erhard ein wenig eingehender beschäftigen: Die verbreitete Ansicht, dass der Staat die Lebenssituation der Bürger durch Eingriffe und Sozialleistungen zu verbessern habe, steht eindeutig im Gegensatz dazu.

Erhard wollte mit der Sozialen Marktwirtschaft erreichen, dass der Einzelne selbst über seine Existenzbedingungen entscheiden und seine soziale Sicherung so einrichten kann, wie er das für sich als notwendig erachtet. Erhards Motto, dass „gute Wirtschaftspolitik die beste Sozialpolitik“ sei, hieß in erster Linie, dass bei politischen Entscheidungen das soziale Element von vornherein mit bedacht wird, bevor dieser oder jener Eingriff erfolgt – idealerweise: möglichst nicht erfolgen muss.

Hätte Robert Habeck auf seine literarischen Qualitäten vertraut, dann wäre ihm vielleicht in Ludwig Erhards Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 aufgefallen: „Mir liegt insbesondere auch daran, bei einer Überprüfung der Wohnungsbaugesetze dem Hohen Hause wirkungsvolle Maßnahmen zur Privatisierung des öffentlich geförderten Wohnungseigentums vorzuschlagen.“ Wen diese klare Position überrascht, sollte bedenken: Erhard war überzeugt, dass Wirtschaftspolitik so gestaltet sein müsse, „dass die Menschen frei von Sorgen und Nöten leben können, dass sie die Möglichkeit gewinnen, Eigentum zu erwerben und dadurch unabhängig zu werden, dass sie mehr an menschlicher Würde entfalten können, weil sie dann nicht mehr auf die Gnade anderer, auch nicht auf die Gnade des Staates angewiesen sind“ (Wohlstand für alle, S. 230).

Wohnungsmangel? Ja, aber…

Der Zweck privater Unternehmen – auch von Immobiliengesellschaften – ist Gewinnerzielung durch Befriedigung von Kundenwünschen. Wenn jetzt gefordert wird, Politik müsse sich das Engagement in Wohnungsbau und -bewirtschaftung zurückerobern: die öffentliche Hand hätte längst Liegenschaften an kommunale Immobilienträger zu bezahlbaren Preisen unter der Bedingung des Baus von Sozialwohnungen veräußern können. Außerdem gerät in der aktuellen Hysterie leicht aus dem Blick, dass der Wohnungsmangel „nur“ bestimmte Bereiche betrifft: Ballungsgebiete und Großstädte wie Berlin, München, Köln.

Politik hat erheblichen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Es ist noch nicht allzu lange her, da haben zahlreiche Städte ihren Wohnungsbestand verkauft, um die Ausgaben für Wohnungsverwaltung und Instandhaltung zu senken oder um mit den Erlösen ihre klammen Kassen aufzubessern. Speziell für Berlin lässt sich nachlesen, dass der Senat im Mai 2004 dem Verkauf der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW-Gruppe) zustimmte. 65.000 Wohnungen aus kommunalem Bestand wurden verkauft. Als Kaufpreis kursiert der Betrag von 405 Millionen Euro und die Übernahme von 1,7 Milliarden Euro Schulden, die sich bei der kommunalen Wohnungsbewirtschaftung in Berlin über die Jahre angehäuft hatten. Jetzt beklagen die Nachfolger der damals vielgelobten Privatisierer in ihren Amtsstuben, dass die Städte ihre Mitsprache beim Wohnraumangebot für Einkommensschwächere und Familien aus der Hand gegeben haben.

Konsistente Wohnungsbaupolitik ist das nicht. Warum sollten sich im Falle einer Enteignung die neuen kommunalen Statthalter geschickter anstellen als ihre Vorgänger vor Jahr und Tag? Wenn das Enteignungs-Roulette trotz zahlreicher Warnungen in Gang gesetzt werden sollte und die erhoffte Entspannung am Wohnungsmarkt ausbleibt: Setzt gutmeinende Politik dann neue Grenzen? Laut eingangs erwähnter Volksinitiative liegt die Enteignungsgrenze in Berlin derzeit bei 3.000 Wohnungen. Senkt man im Fall des Misserfolges dann von politischer Seite die Grenzwerte weiter? Auf 1.800, 200 oder – fünf Wohneinheiten?

Aktionismus statt Kompetenz

Belege wohnungsbaupolitischer Einflussnahme finden sich zuhauf: Die Mietnebenkosten für Heizung und Strom werden – Stichwort Energiewende – hochgetrieben. Kommunale Gebühren für Abfallentsorgung und Wasser – Umwelt- und Klimaschutz – steigen. Diskussionen um die „richtige“ Grundsteuer, Bauvorschriften, Wohnungsgipfel, Wohnraumoffensiven, Mietpreisbremse und so fort. Politik ist sehr erfindungsreich, wenn es um die Vorspiegelung von Aktivität – kurz: Aktionismus – geht. Ob dieses inkonsistente Handeln zielführend ist und ob Enteignungen für eine Entspannung auf dem Wohnungssektor in den Ballungsräumen sorgen werden? Die Knappheit verschwindet dadurch sicher nicht – auch wenn der nette Herr Habeck zur Begeisterung mancher Journalisten „ ‘mal barfuß durch die Nordsee watet und mit Fischern Rum trinkt.“ Solange er nicht über’s Wasser wandelt…

DRUCKEN
DRUCKEN