Oden sind lobende Gedichte, die aus mehreren Strophen bestehen. In ihnen wird jemandem oder etwas positive Anerkennung zugeschrieben. Genau das ist meine Absicht, wenn ich heute über den Mittelstand schreibe.

Einige kurze Fakten vorweg:

  • 3,35 Millionen Unternehmen in Deutschland gehören 2020 zu den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Das sind 99,3 Prozent aller Unternehmen der Privatwirtschaft. (Institut für Mittelstandsforschung, IfM)
  • Über 54 Prozent aller Beschäftigten bzw. mehr als 19 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiteten laut IfM 2020 in kleinen und mittleren Unternehmen, die überwiegend im Familienbesitz sind.
  • 70,6 Prozent aller Auszubildenden fanden sich Ende 2020 in Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten.
  • Alle Familienunternehmen zusammen zahlten in den Jahren 2010 bis 2018 im Schnitt (geschätzt) circa 67 Milliarden Euro pro Jahr Unternehmenssteuern in Deutschland. Dies entspricht etwa 48 Prozent des gesamten Aufkommens der Unternehmenssteuern in Deutschland. (IFO-Institut)
  • Kleine und mittlere Unternehmen erbringen gut ein Viertel der Innovationsaufwendungen des Unternehmenssektors in Deutschland. (DLR)

Der Motor des Wirtschaftswunders

Der deutsche Mittelstand war der Motor des deutschen Wirtschaftswunders. Unter der Verantwortung des Bundeswirtschaftsministers Ludwig Erhard nahmen mutige Unternehmer und neue Gründer die Sache in die Hand. Sie hatten ihren eigenen wirtschaftlichen Erfolg vor Augen, sie halfen in ihrer sozialen Gemeinschaft und schufen Wohlstand für alle.

Nur so entstanden die tausenden verborgenen Weltmarktführer, heute „Hidden Champions“ genannt, und nur so entstanden leistungsfähige Wirtschaftszonen mit guten Arbeitsplätzen auch fernab der Ballungsregionen und Verkehrsknotenpunkte. Die Schwäbische Alb ist nur ein Beispiel. Zugleich sehen wir, welche ungeheuren Anstrengungen es erfordert, vergleichbare wirtschaftliche Erfolge in den Bundesländern der ehemaligen DDR wieder zu entwickeln. Die Sachsen hatten 1945 die gleichen großartigen Potentiale wie z. B. Westfalen, aber sie wurden durch die Politik zerstört.

Mittelstand stärkt die Regionen

Diese Lehre gilt gerade auch heute. Kapitalrendite ist etwas anderes als Familientradition. Standorttreue ist zwar eine ökonomisch kluge Entscheidung, denn die Loyalität der Arbeitnehmer ist langfristig zentral für Qualität, Anpassungsfähigkeit und Innovation. Aber bei den 5-Jahres-Rhytmen eines Private-Equity-Investors passen dezentrale Lage und fehlende Attraktivität für internationale Mitarbeiter eben meist nicht ins Konzept. Wenn ein im Familieneigentum betriebenes größeres mittelständisches Unternehmen schließt, wird die Wertschöpfung meist in die Ballungszentren und oft auch in internationale Konzerne abwandern.

Das Phänomen der historisch stabilen Entwicklung von mittelständischen Unternehmen gehört zu den deutschen Erfolgsgründen. Kein anderes Land hat diesen dezentralen Mittelstand vorzuweisen. Er lässt sich auch nicht einfach neu gründen. Mehr und mehr gilt das leider auch für die mittelständischen Firmen in den großen Städten bei uns. Sogar hier fehlen Nachfolger oder die hohen Kosten zerstören die Wettbewerbsfähigkeit.

Das sind die Gründe, warum die Politik den Mittelstand gar nicht erst verlieren darf. Zurzeit gibt es sehr besorgniserregende Zeichen gerade von den Familienunternehmen. Dabei ist eine Wende zu mehr Optimismus und mehr Neustart im Mittelstand gar nicht so schwer.

Leistungen des Mittelstandes anerkennen

Man müsste zunächst einmal ganz einfach anerkennen, was Unternehmer und Unternehmerinnen mit ihrer 60-Stunden-plus Woche leisten. Man könnte darüber sprechen, dass Leistung, Risiko und Einsatz sich lohnen. Das hätte auch Ludwig Erhard unterstrichen.

Man könnte also von einem Kanzler und seinen Ministern erwarten, dass sie ein Signal zur Senkung der Unternehmenssteuern geben. Der Mittelstand verliert hier zu viel an den Staat und kann zu wenig investieren.

Einfach das Leben einfacher machen

Danach müsste die Botschaft gesendet werden: „Wir vertrauen den Unternehmern.“ Die Kontroll- und Dokumentationsregeln unterstellen heute, dass jeder ein potenzieller Gauner ist. Die Aufbewahrung von Belegen für die Steuer nur um drei Jahre zu kürzen, reicht nicht. Es geht z. B. um

  • die unglaubliche Bürokratie beim Lieferkettengesetz (Vorschlag: Zertifikat vom Lieferanten reicht aus und muss nicht geprüft werden),
  • die neue Pflicht zur Dokumentation von Arbeitszeit immer und überall,
  • die viel Zeit bindende Dokumentation in Medizin und Pflege (Vorschlag: nur Abweichungen von der Regelprozedur werden festgehalten),
  • die komplizierten Verfahren bei Ausfuhrgenehmigungen (Digitalisierung und Genehmigungsfiktion, wenn nicht binnen drei Arbeitstagen untersagt). Natürlich wehren sich die Bürokratien, und es werden danach auch Fehler passieren. Aber alles ist besser als der aktuelle Wahnsinn.
  • die Digitalisierung der staatlichen Genehmigungsprozesse, zentrale Identifikationsnummer – Personalausweis – jedes Einzelnen durchgängig für alle Verfahren anwenden (das gilt für Steuer, Rente, Kranken- und Haftpflichtversicherung, etc.); ferner den Datenschutz so einschränken, dass die vom Bürger gewollten digitalen Prozesse nicht von eifrigen Datenschützern ständig in Frage gestellt und verboten werden können.
  • Nicht zuletzt, Start-ups einfach machen lassen – einheitliche Genehmigung mit Gewerbeerlaubnis und beiden (!) Steuernummern digital an einem Tag. Steuerfreiheit in den ersten Jahren für die Gründungsinvestoren bei den ersten drei Finanzierungsrunden.

Das alles geht fast mit einem Fingerschnippen. Bürokraten würden sicher Schnappatmung bekommen, führten sie sich vor Augen, was sie dann alles nicht wissen oder nicht beeinflussen können. Aber die Mittelständler, die 3,5 Millionen Menschen, die täglich das Schwungrad am Laufen halten, würden sich die Augen reiben und glauben, sie seien im Schlaraffenland und würden loslegen, um die Zeit ohne Fesseln zu nutzen. Sie können das. Es sind die Leistungsträger, die Hidden Champions, die Bäcker, Metzger und Pflegedienstbetreiber, die unsere Reserven heben können.

Nur wir in Deutschland haben sie in dieser Stärke. Man sollte einfach aufhören, ihnen beim Arbeiten im Weg zu stehen und sollte anfangen, Sie als die Motoren unseres Wohlstandes zu schätzen.

Erhard beim Wort nehmen

Wenn die Bundesregierung Hilfe benötigt, wie man das Gespräch beginnen könnte, hier ein Vorschlag aus Ludwig Erhards Buch „Wohlstand für Alle“:

„Die ‚Qualitäten‘, die der Mittelstand als Wert herausstellen muß, sind: die Selbstverantwortlichkeit für das eigene Schicksal, die Selbständigkeit der Existenz, der Mut, aus eigener Leistung zu bestehen und sich in einer freien Gesellschaft, einer freien Welt behaupten zu wollen.

Alles, was Sie von dieser Freiheit, von diesem Mut zum Leben, von dem Wert der Selbständigkeit und der Individualität der Leistung wegnehmen, wird nicht zu einer Stütze für den Mittelstand, sondern zu einem Schlag gegen den Mittelstand . . . Wenn gerade in diesen Schichten unseres Volkes der Mut, aus eigener Kraft bestehen zu wollen, durch die eigene Leistung sich zu bewahren, verlorengeht, dann bleibt von dem Mittelstand wirklich nichts anderes übrig als eine Schicht von Menschen, die Schutz verlangen, um etwas besser leben zu können als andere. […]

Es kommt also entscheidend darauf an, dass man in der unternehmerischen Wirtschaft gegenüber dem Staat jene stolze Haltung bezieht, die ihren Ausdruck in dem dringenden Wunsch findet, von „zu viel Staat“ verschont und befreit zu sein.“ (WfA, S. 145)

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