,,Soziale Marktwirtschaft unter geotektonischen Spannungen: Wie kann es weitergehen?‘‘ mit diesem Vortrag leitete Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Blum die Gesprächsreihe ,,125 Jahre Ludwig-Erhard‘‘ ein, initiiert von der Akademie für Politik und Zeitgeschehen gemeinsam mit der Ludwig-Erhard-Stiftung. Die Expertenrunde, bestehend aus Prof. Diane Robers, Markus Ferber MdEP, Prof. Roland Koch, Prof. Ulrich Blum, Prof. Ralf Wehrsporn und Barbara Becker MdL, diskutierte ergebnisreich über die Entstehungsgeschichte und heutige Herausforderungen der Sozialen Marktwirtschaft.

Eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung für alle zu schaffen, ist das Hauptanliegen des ordnungsökonomischen Entwurfs der Sozialen Marktwirtschaft. Die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft war das Ergebnis der deutschen Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Der Sherman Act von 1890 bringt die Problematik auf den Punkt – eine erste Rechtsquelle für das Wettbewerbsrecht und mit ihr verbundene Ordnung: Wenn sich ein Volk zu entscheiden hat, die Demokratie als politisches System zu wählen, dann kann es nicht in der Wirtschaft die Diktatur – also Monopole – dulden. Der Staat ist laut Ludwig Erhard kein Interventionist, sondern ein Garant. Eine plurale, freie Gesellschaft existiert nur, wenn diese auch unabhängig vom Staat agiert. Qua Definition ist die Soziale Marktwirtschaft nicht Marktwirtschaft plus Sozialversicherung, sondern sie basiert auf einer Wettbewerbswirtschaft, die freie Initiative mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt verbindet. Denn Menschen wagen nur etwas, wenn sie im Fall des Misserfolgs nicht ins Elend verfallen. Das ist die primäre Idee der sozialen Absicherung. Und nur durch das Eingehen von Risiko – also Invention und Innovation – kann eine dynamische Wirtschaft das Soziale finanzieren.

Es ist ein Zeichen von Ignoranz, geostrategische Prozesse oder tektonische Brüche nicht zur Kenntnis zu nehmen. Besonders die deutsche Politik verweigert sich hier. Als Beispiel sei hier zunächst das neue Problem mit Russland durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine nennen, das tatsächlich so neu nicht ist, sowie ein schwieriges und von Unvorhersehbarkeit geprägtes Verhältnis zu China. Ein Stichwort hierzu ist das Minsky-Moment, das einen Zusammenbruch von Vermögenswerten beschreibt, womit das Ende der Wachstumsphase auf den Kreditmärkten oder in der Geschäftstätigkeit markiert wird. Dieses Ereignis ist umso wahrscheinlicher, je länger die Krise zurückliegt, weil die Entscheidungsträger der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik mit zunehmendem Abstand von der letzten Katastrophe zunehmend leichtsinnig werden. Das Problemfeld Geotektonik lässt sich sehr gut am Thema Neue Seidenstraße erkennen, mit der China seinen Einfluss als weltweit größte Handelsmacht auch auf Europa ausdehnen will. „One Belt, One Road“ (OBOR) ist das Stichwort für die Initiative zum Ausbau von neuen Wirtschaftskorridoren, einem Andocken an terrestrische, maritime, luftgestützte und digitale Handelssysteme in einer koordinierten, verbundenen Strategie mit dem Ziel, der globalen regelgebundenen Ordnung „chinesische Charakteristika“ aufzuzwingen. Bildlich gesprochen: den Westen in eine Subduktionszone zu zwingen. Die Initiative befindet sich allerdings inzwischen durch den russischen Überfall auf die Ukraine in einer Sackgasse. Zudem ist der Westen aufgewacht und ordnet sein eigenes Umfeld neu.

Zu dem Thema Krise und dem Stichwort ,,never miss a good crisis‘‘ wurde die Kritikalität von Rohstoffen, die Vulnerabilität von Lieferketten, die Robustheit von Unternehmen und die Resilienz einer Wirtschaftsordnung in Bezug auf Deutschland analysiert. Resiliente Strukturen sind stark mit der institutionellen Architektur des Staates verbunden. Vertrauen in diese Strukturen ist ein entscheidender Faktor für die Stabilität des Systems. Um Kritikalität und damit auch Vulnerabilitäten zu reduzieren ist zu prüfen, welche Risikoprämie Konsumenten, Unternehmen oder der Staat bereit sind zu zahlen. Was sind die Kosten der militärischen Präsenz der USA im Persischen Golf? Wie hoch ist die Risikoprämie, die Unternehmen und Nationalstaaten bereit sind zu tragen, wenn diese plötzlich offenbar werden, weil die US-Flotte abzieht? „Wer ist bereit, was zu zahlen?‘‘ Das wird zur entscheidenden politischen Frage.

Hätten die Staaten Europas, besonders Deutschland, die Standardmethoden der Risikoanalyse bei der Beschaffung von fossilen Rohstoffen beachtet, wäre der russische Überfall auf die Ukraine wirtschaftlich kein derart frappierendes Problem. Die nächste Abhängigkeit von China in Sachen E-Mobilität und den zugehörigen Komponenten und Rohstoffen zeichnet sich bereits ab, beispielsweise bei dem für Batterietechnik wichtigen Lithium.

Das Fazit führt zu der Frage, was wert- und damit ordnungsgebundene Politik leisten kann. Die These wurde gewagt, dass die Überwindung einer Krise Gesellschaften zu erneuern vermag. An den Erfolg von Ludwig Erhard anzuknüpfen wird ohne das, was Churchill mit den Schlagworten ,,Blood, Toil, Tears, and Sweat“ benannte, nicht gehen.

Professor Dr. Dr. h.c. Ulrich Blum ist stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

DRUCKEN
DRUCKEN