Wer die öffentlichen Debatten verfolgt, kann für jedes Problem eine politische Antwort finden, die da lautet: „Wir geben mehr Geld.“ Ob es der internationale Wettbewerb (vgl. Chip-Fabriken) oder die Abfederung des Einkommens ohne Erwerbstätigkeit (vgl. Bürgergeld) oder die Einführung energiesparender Techniken (vgl. Solarförderung und E-Autos) ist; immer nennt die Regierung dem Bürger einen Geldbetrag zur Linderung oder Lösung des Problems. Für die Anhänger Ludwig Erhards ist das schon deshalb falsch, weil die staatlich gelenkte Subventionswirtschaft sich immer als ineffizient erwiesen hat, und der Wohlstandsgewinn durch gute Ordnungspolitik unter Nutzung der Kreativität jedes Einzelnen weit größer ist. Aber jenseits dieser Skepsis gegenüber der meist linken Staatsgläubigkeit gibt es ein weiteres Problem: Das Geld dafür ist nicht da! Der Bundesfinanzminister hat dies in seiner Haushaltsrede, die als die „Eisberg-Rede“ in die Geschichte eingehen wird, in aller Offenheit zugegeben.

Seitdem die Titanic im Jahr 1912 auf einen Eisberg prallte und binnen Stunden sank, sind Eisberge eine geradezu mystische Chiffre für schwer erkennbare Gefahren. Insofern ist beachtlich, dass ausgerechnet der Bundesfinanzminister dieses Bild bei seiner Haushaltsrede im Deutschen Bundestag gebrauchte, um die Herausforderungen der mittelfristigen Finanzplanung zu beschreiben. Er sagte: „Hinter der Horizontlinie – für uns noch nicht sichtbar – kommt ein Eisberg, um nicht zu sagen ein Eisbergfeld.“

Die Warnung war richtig, aber sie ist in erschreckendem Maße unvollständig. Die Horizontlinie, die der Minister aufbaut, ist nicht natürlich, sondern Teil einer systematischen Verschleierung der Lage der Staatsfinanzen. Auf dem Schiff heißt der Ausguck ganz oben „Krähennest“ – bei uns sitzt dort der Bundesrechnungshof. Dessen Analyse zeigt eine klare Sicht auf diesen erwarteten Eisberg. In seiner Stellungnahme zum Haushalt 2024 fasste er die Lage in dürren Worten zusammen: „Die Kreditaufnahmen bzw. beschlossenen Kreditermächtigungen der Jahre 2020 bis 2023 betragen rund 850 Mrd. Euro. Die Dynamik der Neuverschuldung ist beispiellos. Innerhalb von drei Jahren wurden Maßnahmen beschlossen, die den bis zum Jahr 2019 aufgebauten Schuldenberg des Bundes um 60 Prozent auf mehr als 2,1 Billionen Euro erhöhen können. Die Zinslasten als „Preis“ der Verschuldung rauben dem Bund letzte verbliebene Haushaltsspielräume. Die zu den Zinszahlungen hinzutretende Tilgung der Krisenkredite haben künftige Generationen als weitere Bürde zu tragen.“

Der Bundesfinanzmister legt den Haushalt mit einer Neuverschuldung von 16,6 Milliarden Euro vor. Das sieht doch prima aus. Aber das erweckt genau diesen Eindruck von sternenklarem Himmel und ruhiger See wie damals auf der Titanic. Tatsächlich steuern wir gerade in eine ernstzunehmende strukturelle Wirtschaftskrise, kombiniert mit einer völligen Überdehnung der Schuldenfinanzierung unserer Haushalte.

Zwei Konsequenzen dieser jetzt bereits unumkehrbaren Entwicklung werden uns herausfordern: Die eine ist der durch diese Fiskalpolitik ausgelöste Inflationsdruck, der den Bemühungen der Notenbanken zuwiderläuft. Zum anderen wird eine zu erwartende Haushaltskonsolidierung in schwerste politische Auseinandersetzungen führen.

Auch der Minister geht in der Eisberg-Rede darauf ein: „Wir müssen jetzt den Kurs ändern; denn der Eisberg wird seinen Kurs nicht ändern“. Diese Erkenntnis ist richtig und es ist gut, dass Bundesminister Lindner den Mut hat, es auszusprechen. Die Abgeordneten der SPD und der Grünen sind dieser Rede sprachlos und auch applauslos gefolgt. Aber der Kurs wird nicht geändert – nicht einmal die Geschwindigkeit. Es bleibt genau bei diesem so gefährlichen Politikansatz, jedes Problem mit Geld lösen zu wollen, obwohl doch die wichtigste Aufgabe wäre, nach schnellen und guten Lösungen zu suchen, die ohne neue Staats-Milliarden wirken. Ist man dazu zu bequem? Oder entspricht es nicht der eigenen Ideologie?

Um in Lindners Sprache zu sprechen, es gibt ja noch weitere Eisberge. Das Sondervermögen der Bundeswehr wird zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt. In Wahrheit fehlen allein für die Verteidigung ab 2026 rund 30 Milliarden Euro jährlich und die müssen geliefert werden, was auch immer sonst geschieht. Die Kosten der Rentenversicherung steigen steil. Die Bundesregierung hat den Klima-Fonds zweckentfremdet, was vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt wird. Das kann weitere 60 Milliarden kosten.

Besonders dramatisch kann es finanziell und politisch bei dem sogenannten Klimageld werden. Von Anfang an war klar, dass ein deutlich steigender CO2-Preis einen sozialen Ausgleich, das sogenannte Klimageld erfordert. Die CO2-Abgabe wird zwar fleißig eingesammelt, für die Entlastung der geringeren Einkommen ist aber kein Geld mehr da, weil die Regierung die Gelder anderweitig ausgeben will. Ein Skandal, ein Akt der Untreue, der ganz bestimmt bald in den Mittelpunkt der Diskussion rücken wird. Von der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit durch Senkung der Unternehmenssteuern spricht ohnehin niemand mehr, obwohl hier einer der Schlüssel zur Lösung der Krise liegt.

Deutschland ist bezüglich seiner Staatsfinanzen in einer Situation, die unverzügliches Handeln erfordert. Dabei wird das vollmundige Versprechen des Bundeskanzlers auf dem Gewerkschaftskongress 2022, dass die Zeitenwende keine Einschränkung sozialpolitischer Projekte erfordere, sich als falsch erweisen. Ohne Einsparungen in den Sozialhaushalten, aber eben auch in allen anderen staatlichen Ausgabenbereichen jenseits der Verteidigung wird es nicht gehen. Vor diesem zweiten Teil der Zeitenwende, die eine ebenso große mentale Veränderung in unserem Land erfordert, wird sich niemand drücken können.

Wir werden schnell lernen müssen, mit weniger Ausgaben bessere Leistungen zu erbringen. Die Wirtschaft kennt das.  Nicht das geringste wird dazu im Augenblick vorbereitet.

Die Titanic hätte nicht untergehen müssen, sie hat den falschen Kurs genommen. Wir sind gerade auch auf diesem Weg. Der Rechnungshof sagt: „Künftige Krisen können nur mit tragfähigen Staatsfinanzen gemeistert werden. Nur so kann der Bund auch in schwierigen Lagen die Kontrolle behalten und kommenden Herausforderungen begegnen“. Deshalb darf die Eisberg-Rede nur der Anfang sein.

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