In diesen Tagen beschäftigt sich das politische Deutschland mit dem kürzlich präsentierten „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das wohl alsbald eine Partei werden und im kommenden Jahr auf den Wahlzetteln stehen wird. Das große öffentliche Interesse rechtfertigt eine eingehendere Betrachtung der Ziele der Bewegung und ihrer Gründerin, unabhängig davon, ob sie jemals die Fünf-Prozent-Hürde bei Parlamentswahlen überspringen wird. Bei Wahlforschern liegen die Prognosen mit „zweistellig “bis „unter fünf Prozent“ noch weit auseinander.
Wer einen Blick auf die ersten Positionen nach Verkündigung des Bündnisses wirft, findet eher von Werbeagenturen entworfene Textversatzstücke, mit denen die Bewegung einzig und allein darauf abzielt, ohne irgendeine eigene konzeptionelle Antwort möglichst viele Sorgen und Unzufriedenheiten in Deutschland hinter sich zu versammeln. Man schimpft auf die Großkonzerne, die auch die Inflation verursacht hätten, verlangt eine hohe Besteuerung der „ganz Reichen“. Zugleich wendet man sich gegen Rechtsradikalismus, will weniger Migration und eine baldige Aussöhnung mit Putin.
„Beeindruckende Modernisierungspolitik“ Stalins
Allein auf diese Parolen zu schauen, wird jedenfalls zurzeit nicht viel bringen. Da das Bündnis den Namen der Gründerin trägt, lohnt es sich, sich zuerst mit ihr zu beschäftigen. Und hier kann man klar sagen, Sahra Wagenknecht ist eine lupenreine Kommunistin. Professor Oliver Nachtweih schreibt dazu in der FAZ: „Die politische Revolution in Ostdeutschland als Emanzipation von Herrschaft lässt sie kalt, für sie ist es eine „Konterrevolution“. Dass der kapitalistische Westen nun selbst in Ostdeutschland Industrie, Biographien und Lebensbedingungen zerstört, kritisiert sie präzise wie kaum jemand anderes. Als bekanntestes Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ in der PDS liebt sie aber auch die Rolle der unapologetischen Stalinistin. Sie bewundert die „beeindruckende Modernisierungspolitik“ Stalins. Die DDR bezeichnet sie als das „menschenfreundlichste Gemeinwesen“ in der deutschen Geschichte. Als die PDS 2002 erklärte, dass „keine Rechtfertigung für die Toten an der Mauer“ existiere, gab es eine Gegenstimme im Parteivorstand: Sahra Wagenknecht“.
Gegen die USA, gegen Europa
Wirtschaftspolitisch ist Sahra Wagenknecht eine irrlichternde Person. Sie startet bei der Bewunderung für Walter Ulbrichts „Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ aus dem Jahr 1963 und landet in ihrem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ (2011) plötzlich bei: Walter Eucken, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard. Später in ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“ kommt schließlich das Wort Sozialismus, wenn überhaupt, nur als „kreativer“ Sozialismus vor. Doch bei genauerem Hinsehen ist das keine wirkliche Bekehrung, sondern eine taktische Positionsänderung. Die Großkonzerne sind an allem Schuld und müssen verboten werden. Auf der Homepage des Bündnisses heißt es: „Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.“ In einer international verflochtenen Welt ist diese Betrachtung wenig real, abgesehen davon, dass es eine politische Instanz geben müsste, die diese Wirtschaftslenkung organisiert. Die Abkehr von den USA und die Ablehnung der bestehenden Europäischen Union mit der Forderung „souveräner Demokratien“ in Europa ist Wagenknechts Alternativprogramm. Da ist es dann fast logisch, dass sie Wolodymyr Selenskyj, den Präsidenten der Ukraine nicht für einen Freiheitskämpfer, sondern – in alter sowjetischer Diktion – für einen Kriegstreiber hält.
Weiter heißt es auf der Homepage, das Bürgergeld sei im Übrigen noch zu niedrig; es müssten die durch die Hartz-Reformen geschaffenen Anreize zur Arbeitsaufnahme endgültig beseitigt werden, und kollektive Lohnanordnungen seien das Gebot der Stunde. Die Wirtschaft wird sowohl auf der Seite der Investoren (nur der kleinere Mittelstand ist willkommen) als auch der Seite der Arbeitskräfte (der Staat garantiert den fairen Lohn) kräftig reguliert. Hätte Sahra Wagenknecht in ihrer politischen Sozialisation Ludwig Erhard so gut gelesen, wie sie es wohl unbestritten mit Karl Marx getan hat, hätte sie feststellen müssen, dass Erhard, wie andere Vertreter des Ordo-Liberalismus, der festen Überzeugung war, dass Wohlstand und soziale Gerechtigkeit durch erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit, die Vermehrung des eigenen Vermögens und die Haftung für eigenes Handeln begründet werden, aber nicht durch staatliche Umverteilung und schon gar nicht durch staatliche Planung.
Das Modell Wagenknecht mit einem populistischen Schuss „Kapitalismus-Bashing“ erreicht vielleicht manchen, im eigenen wirtschaftlichen Leben frustrierten, Wähler. Zur dringend notwendigen Stärkung der Innovationskraft, der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und damit des steigenden Wohlstandes trägt es aber sicherlich nichts bei.
Nationalismus und Sozialismus zu verbinden ist eine große Gefahr
Das Wirtschaftskonzept des „kreativen Sozialismus“ wird bei Wagenknechts Bündnis nicht nur ökonomisch als nationales Konzept verstanden. Das gesamte Politikmodell ist strikt nationalistisch. Abschottung von Europa, starke Töne in der Migrationsdebatte und die völlige Verneinung der Bedrohung unserer Freiheit durch Russland vermischen die linkspopulistische Wirtschaftspolitik mit einer rechtspopulistischen Abschottungspolitik, die Trumps nationalistischen Ansatz noch überbietet. Um nochmals Nachtweih in der FAZ zu zitieren: „Mit einer Liste Wagenknecht würde eine Partei entstehen, die es so noch nicht gegeben hat: eine Partei, die sich gleichzeitig links und rechts positioniert.“ Aber daraus entsteht keine Partei der Mitte, sondern ein äußerst gefährliches Gemisch, das vor knapp einhundert Jahren in Deutschland mit den Adjektiven „national“ und „sozialistisch“ versehen wurde Die Tatsache, dass sich Sahra Wagenknecht im Stil der bürgerlichen Oberschicht kleidet und Goethe auswendig rezitieren kann, ändert an der Gefährlichkeit ihrer Vorstellungen für Freiheit und Wohlstand gar nichts.
Ludwig Erhard hören
Es lohnt sich stattdessen, auf Ludwig Erhards Mahnung aus dem Jahr 1957 zu hören: „Die wachsende Sozialisierung der Einkommensverwendung, die um sich greifende Kollektivierung der Lebensplanung, die weitgehende Entmündigung des einzelnen und die zunehmende Abhängigkeit vom Kollektiv oder vom Staat – aber damit zwangsläufig auch die Verkümmerung eines freien und funktionsfähigen Kapitalmarktes als einer wesentlichen Voraussetzung für die Expansion der Marktwirtschaft – müssen die Folgen dieses gefährlichen Weges hin zum Versorgungsstaat sein, an dessen Ende der soziale Untertan und die bevormundete Garantierung der materiellen Sicherheit durch einen allmächtigen Staat, aber in gleicher Weise auch die Lähmung des wirtschaftlichen Fortschritts in Freiheit stehen wird.“