In meinem Kommentar am vergangenen Freitag hatte ich bezweifelt, dass ein neu erfundener Industriestrompreis wirklich nur für eine Übergangszeit notwendig ist, damit der Strompreis niedriger wird. Auch bei näherer Betrachtung spricht dafür angesichts der Konzentration der Politik auf die Elektrifizierung aller Lebensbereiche einerseits und die Verknappung des Stromangebots durch den Ausstieg aus Kernenergie und Kohle andererseits nichts.

Jetzt wird es etwas betriebswirtschaftlich, damit wir alle ein Gefühl für das Problem bekommen. Ausgangspunkt ist der von Wirtschaftsminister Habeck versprochene Industriestrompreis von fünf oder sechs Cent pro Kilowattstunde (kWh).

Nordseestrom wird teuer

Wenn die Strommenge steigen soll, benötigen wir große Offshore-Windparks in der Nordsee. Die werden wohl auch gebaut: Vor wenigen Wochen haben sich in einer Auktion die Konzerne BP und Total die Rechte gesichert, für insgesamt 7000 Megawatt (MW) Windkraftanlagen bauen zu können. Sie müssen dafür 12,6 Milliarden Euro zahlen. Das ist die Basis für die Berechnung der zukünftigen Strompreise, hier vor allem die Strompreise für die Industrie, denn die erklärte Absicht der beiden Konzerne ist es, den Strom mit sogenannten Direktverträgen (Power Purchase Agreements) an große Industrieunternehmen zu verkaufen. Wenn man den Kaufpreis auf die Vertragslaufzeit und die mögliche Stromproduktion umrechnet, kommt man auf eine Belastung von etwa 2,5 Cent durch die Auktion. Das Fraunhofer Institut hat in seinem letzten Prognosegutachten für die Gestehungskosten1Kosten, welche für die Energieumwandlung von einer anderen Energieform in elektrischen Strom notwendig sind zur Produktion von Strom aus Offshore-Windanlagen Werte zwischen 7,23 und 12,13 Cent/ kWh vorausgesagt. Wenn wir im Mittel einmal 10 Cent/ kWh annehmen, kommen wir auf 12,5 Cent/ kWh. Das ist grob das Doppelte des Preises der angepriesenen „Brücke“.

Landstrom wir auch teuer

Nun werden viele Vertreter der Elektrifizierungsfraktion einwenden, Offshore-Energie sei doch nur ein Teil des gesamten Plans. Aber immerhin sagte Robert Habeck dazu, dass er 2030 offshore 30 Gigawatt erreichen will, 2035 40 Gigawatt und 2045 70 Gigawatt, was immerhin 20 Prozent der dann geplanten Produktion ausmachen würde.

Schauen wir uns die Produktion an Land an: Hier hat der Bundeswirtschaftsminister im Dezember die Einspeisevergütung wegen der Inflation und höherer Zinskosten auf 7,35 Cent/ kWh als Basispreis erhöhen lassen. Drei Cent für den weiteren Netzausbau und ein Cent für den Ausgleich bei Überlastung des Netzes kommen noch dazu, also sind wir auch hier bei 11,35 Cent/ kWh. Wieder weit weg vom erhofften „Ende“ der Brücke.

Um es noch verrückter zu machen, muss man wissen, dass in Süddeutschland eine höhere Einspeisevergütung gilt, weil es dort anscheinend weniger Wind gibt (😊) und die Anlage sich für Investoren rechnen muss. So kommen wir hier statt 7,35 Cent auf rund 11 Cent, womit wir bei Kosten von 15 Cent gesamt für den süddeutschen Wind wären. Dass ein neues Niederspannungsnetz für Wasserstoffkraftwerke in ganz Deutschland noch einmal rund vier Cent/ kWh zusätzlich kosten könnte, soll nur noch gesagt werden, um ihre Nerven vollends zu strapazieren.

Die „Brücke“ führt ins nichts

„Der Strompreis wird natürlich günstiger werden“, sagte Katrin Göring-Eckardt von den Grünen im April dieses Jahres. Auf dieser Aussage gründet der Milliardenpoker um den Industriestrompreis. Aber diese Aussage ist schlicht falsch. Grüne Energie braucht keine Rohstoffe, aber komplizierte und teure Technik, neue Infrastruktur und kostspielige Reservestrategien.

Es gibt gute Gründe für eine Entwicklung unserer modernen Gesellschaft hin zu einem weitgehend CO2-freien Leben. Mit gemeinsamer Anstrengung können wir auch den Optimismus haben, dass wir es schaffen. Aber wir brauchen endlich Realismus und Entschlossenheit. Daraus folgt, einen Industriestrompreis mit der Behauptung durchzusetzen, er sei nur eine Brücke zu einer in einigen Jahren billigeren Energie ist kein Realismus, sondern Betrug oder Selbsttäuschung. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm, die auch Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung ist, formulierte es so: „Wenn wir auf eine klimaneutrale Produktion umstellen, haben wir in einigen Bereichen schlicht keinen Standortvorteil mehr. Die Strompreise werden mittelfristig hoch bleiben, auch ein Industriestrompreis hilft nicht. Der ist mit sechs Cent/ kWh veranschlagt. Gute Standorte mit erneuerbaren Energien kommen auf unter zwei Cent. So oder so wird eine Verlagerung der energieintensiven Produktion kommen. Wir hätten also nur viel gezahlt und nichts gewonnen.“

Wohlstand und Klimaschutz brauchen verschiedene Energiequellen

Selbstverständlich lohnt sich der Kampf für jeden Arbeitsplatz, so auch in der Industrie. Die Entschlossenheit muss sich aber anstatt auf Subventionen auf die Innovationsfähigkeit des Landes richten und dabei keine Chancen auslassen. Auch die unbequeme Wiederinbetriebnahme der letzten abgeschalteten Kernkraftwerke würde uns sicher helfen und uns den Betrieb von einigen Braunkohlekraftwerken ersparen. Wasserstoff muss aus der ganzen Welt zu uns kommen. Energieintensive Vorprodukte müssen aus dem Ausland kommen, ohne dass alle Teile der Wertschöpfung aus Deutschland verschwinden. Technologieoffenheit muss uns helfen, von der ideologischen Besessenheit der 100 Prozent-Stromwelt wegzukommen, und wir müssen aufhören, den anderen Europäern vorzuschreiben, wie sie ihren Strom produzieren. Wir werden von diesem europäischen Strom viel kaufen müssen – hoffentlich zu Preisen, die wir uns leisten können.

Eine 100-prozentige elektrische, klimaneutrale grüne Energiewelt ist nicht real. Glücklicherweise erwachen immer mehr aus diesem Traum. Wohlstand kann nur wachsen, wenn wir die Realitäten anerkennen. Niemand sollte in die schmutzige Kohlenstoff-Welt zurückwollen, aber der gemeinsame Weg in die Zukunft erfordert einfach mehr Ehrlichkeit.

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Fussnoten

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    Kosten, welche für die Energieumwandlung von einer anderen Energieform in elektrischen Strom notwendig sind
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„Einfach mal machen“ – wir müssen lernen, anders zu denken
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    Kosten, welche für die Energieumwandlung von einer anderen Energieform in elektrischen Strom notwendig sind