Im Juni 2012 legten Mitglieder der Ludwig-Erhard-Stiftung Zeugnis ab von Begegnungen, Erfahrungen und Ereignissen, die Ludwig Erhard betreffen und die ihr eigenes Handeln geprägt haben. Anlässlich Erhards 120. Geburtstags am 4. Februar 2017 veröffentlichen wir nachfolgend ihre Beiträge, die damals in unserer Zeitschrift „Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik“ erschienen sind, nun auch online.

Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Blum, Halle

Als in einem politischen Haushalt Aufgewachsener (Jahrgang 1953) sind erste Erinnerungen an Ludwig Erhard verbunden mit der Problematik der Rüstungskompensationsgeschäfte mit den USA, die ihre massiven Devisenabflüsse wegen der Stationierung der Truppen in Europa durch Rüstungskäufe aufgehoben wissen wollten; später kamen die Debatten um die Aufrechterhaltung eines stabilen Haushalts hinzu, die letztlich zum Sturz Erhards führten.

Aber erst mit dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens entstand, bedingt durch den extrem formalen und methodenorientierten Ansatz, der Drang, nach den „wahren“ Quellen des Wohlstands zu suchen. Im Rahmen der Grundlagenvorlesungen konnte ich als junger Assistent diesen Anspruch durch den steten Rekurs von Theorie auf Dogmengeschichte verwirklichen. Vor „Wohlstand für Alle“ stand für mich die Lektüre des „Kampfs ums Kanzleramt“, der kritischen Erhard-Biographie von Daniel Koerfer (1987), die sehr deutlich machte, dass die Wirtschaftsordnung den Deutschen nicht durch Leistung zugefallen ist. Vielmehr hatten wir das Glück, einen klugen und führungsstarken Wirtschaftspolitiker in der Verantwortung zu haben. Die Lektüre von „Wohlstand für Alle“ machte klar, wie wichtig es ist, Wirtschaftspolitik ebenso vor dem Hintergrund der von ihr ausgehenden Psychologie wie im Kontext des Ordnungsrahmens zu sehen.

Erhard war in der glücklichen Position, eine Idee – eine menschenwürdige Wirtschaftsordnung durch offene Märkte in einer liberalen Gesellschaft – zu realisieren, dabei das Trauma des Nationalsozialismus, der ohne die Wirtschaftsverfassung der Weimarer Republik vermutlich so nicht entstanden wäre, in eine staatspolitische Mission zu verwandeln, und die Akzeptanz infolge der seinerzeit vergleichsweise homogenen Lebenswelten aus katholischer und evangelischer Soziallehre sicherzustellen. Er war in besonderer Weise in der Lage, den kategorischen und den praktischen Imperativ von Immanuel Kant – in der Verfassung im Konstrukt der Menschenwürde oder in Artikel 14 Grundgesetz zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums enthalten und in den Grundsätzen der Wirtschaftspolitik von Walter Eucken verwirklicht – in die Gegenwart zu transzendieren und umzusetzen. Mit seiner Forderung des „Maßhaltens“ verdeutlichte er, dass nicht alles, was legal auch legitim ist, wie gerade die Auswüchse der Gegenwart überdeutlich zeigen. Genau dieses Maßhalten hat uns in den vergangenen Jahren gefehlt und ist eine der Ursachen unserer Krise. Hier kann man von Erhard lernen. >> zurück

Dr. Hans Daniels, Bonn

Auszug aus meiner Rede in der Funktion des Oberbürgermeisters der Stadt Bonn anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Ludwig Erhard im Jahr 1977:

(…) Wenn die Stadt Bonn den Vater der Sozialen Marktwirtschaft zu ihrem Ehrenbürger ernennt, so vollzieht sie als Bundeshauptstadt diese Ehrung gleichsam stellvertretend für viele Städte und Gemeinden, denn auch den Gemeinden haben Sie die entscheidenden Impulse vermittelt, den Aufbau zu vollziehen und unser Land in die demokratische Staatengemeinschaft einzugliedern. In all Ihren Reden, Beiträgen und Stellungnahmen kehrt ein politisches Grundanliegen wieder: Sie haben die Rechte und Pflichten des einzelnen Menschen, seine persönliche Unabhängigkeit, aber auch seine Verantwortung immer beschworen. Sie haben durch Ihre großen sozialpolitischen Leistungen dem Einzelnen klarmachen können, dass Sinn und Rahmen der Freiheit eines jeden nur in der Bindung an Mitmenschlichkeit zu finden sind. Leidenschaftlich haben Sie dabei gegen die Einzwängung des Bürgers in ein Kollektiv gekämpft.

Diese Grundorientierung Ihrer Politik hat Maßstäbe für politisches Handeln generell gesetzt, besonders aber für politische Verantwortung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, denn gerade die kommunale Selbstverwaltung lebt von der freiheitlichen und sozialen Einsatzbereitschaft der Bürger für ihre Mitbürger. Das, was wir mit dem schönen Wort Gemeinsinn bezeichnen, sollte sich gerade in der Gemeinde bewähren. Manchmal jedoch erfasst einen die Sorge, gerade hier werde der Versuch gemacht, das empfindliche Gleichgewicht zwischen persönlichem Anspruch und Gemeinsinn zu stören. Die gefährlichsten Systemveränderer sind diejenigen, die mit kurzsichtigem Egoismus die wirtschaftlichen Grundlagen und die moralische Legitimation unseres Gemeinwesens zerstören. Gerade davor haben Sie immer wieder gewarnt. So sehen wir in der heutigen Ehrung zugleich auch eine verpflichtende Mahnung an uns selbst: Wenn je das Wort berechtigt war, eine nachwachsende Generation trage Verantwortung für ein Erbe, dann gilt es für die Soziale Marktwirtschaft, die Sie durchgesetzt haben (…)

Verehrter Herr Altbundeskanzler! Als Politiker und als Bonner Bürger wissen Sie um die großen Aufgaben und Sorgen unserer Bundeshauptstadt, die nur von Frauen und Männern mit großem demokratischem Engagement bewältigt werden können. Hier liegt der tiefste Sinn Ihrer Ehrenbürgerrechte. Wir haben gesprochen von Ihrem ständigen Bemühen um den mitverantwortlichen Bürger. Wo aber wird dieser mehr gebraucht, wo kann sich Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung mehr verwirklichen und entfalten als auf der Ebene der Kommune. Deshalb ist jede Stadt angewiesen auf den Bürger, wie Sie ihn sehen, den Bürger mit der Bereitschaft, Verantwortung zu tragen, Initiativen zu entwickeln und Demokratie zu leben (…) >> zurück

Dr. Julia Dingwort-Nusseck, Hamburg

Unter den jetzigen Mitgliedern der Ludwig-Erhard-Stiftung bin ich wohl diejenige, die Ludwig Erhard am längsten gekannt hat. Das erste Gespräch – von ungezählten Sendungen in Rundfunk und Fernsehen – führte ich mit ihm für den Nordwestdeutschen Rundfunk unmittelbar nach seinem Amtsantritt als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets. Sein Vorgänger Johannes Semler war von den Alliierten entlassen worden, weil er in einer Rede die Amerikaner (denen wir Westdeutsche ja unser Überleben verdankten) kritisiert hatte wegen ihres „Hühnerfutters“ für uns. Tatsächlich hatten wir monatelang nur Maisbrot bekommen. Offenbar war das jedoch keine Schikane, sondern eine Brotgetreideanforderung von deutschen Stellen hatte „corn“ erbeten, von den USA folgerichtig als Mais verstanden. Der historische Glücksfall, der am Tage X einen Mann vom persönlichen Mut und von der Überzeugungstreue Erhards handeln ließ – kaum glaublich –, entstand wohl aus einem Übersetzungsfehler. Die Wirkung seiner Reformen war für Erhard selbst kein „Wirtschaftswunder“, sondern das eindringlichste Beispiel dafür, was Leistungskraft und Leistungswillen – endlich freigesetzt – vermögen. Ich habe meine zahlreichen Rundfunk- und Fernsehsendungen zu den Jubiläen der Währungs- und Wirtschaftsreform stets betitelt: Kein Wunder…!

Ich war jahrzehntelang Zeugin, wie Erhard litt, weil die Soziale Marktwirtschaft, wie er und seine Vordenker (vor allem Alfred Müller-Armack) sie wollten, auf vielen Gebieten ein Torso blieb. Partikularinteressen, pseudosoziale Regelungen, Erhaltungssubventionen, Preisverzerrung in der Agrarpolitik, Gängelung der Verbraucher, Festhalten an heruntersubventionierten Mieten auch noch für Gutverdienende… Es gab so vieles, was ihn zutiefst ergrimmte; dann sprach er manchmal von dem letzten „Sündenfall“, mit dem er sich abfinden werde – aber leider kam es meistens anders.

Ich habe seinen langen, zähen Kampf um das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verfolgt, der ihn zermürbte, den er zum Schluss jedoch weitgehend gewann. Ich habe auch erlebt, wie seine stärksten Widersacher Beifall für seine Heroisierung erheischten, als er tot war. Welcher Nachkriegspolitiker sonst wurde scheinheilig so gelobt? Heutige Entscheider, die vieles ebenso kritisch sehen – oder noch kritischer! –, sollten eines Wortes eingedenk sein, welches der damalige Bundespräsident Walter Scheel in seinem Nekrolog für Erhard sprach: „Seine Tragik war, dass er die Entscheidung für seine Überzeugung vor dem Konflikt suchte und nicht nach Austragung des Konflikts.“ In der Tat: Erhard setzte in den großen Entscheidungen fast tollkühn auch sein eigenes Schicksal aufs Spiel – im politischen Alltag wurde er durch sein Harmoniebedürfnis oft „ausgespielt“. >> zurück

Dr. Fritz Ullrich Fack, Bad Honnef

Es gab viele, die es hernach gewesen sein wollten, aber nur ein Original: Das war ein Kreis von wenigen Bonner Wirtschaftsjournalisten, der sich in ironischer Anspielung auf eine historisch unrühmliche, putschistische Marinetruppe von 1920 „Brigade Erhard“ nannte. Sie standen in den Aufbaujahren der Bonner Republik und der Marktwirtschaft Ludwig Erhards Überzeugungen besonders nahe, unterstützten seine Wirtschafts- und Sozialpolitik, trafen sich regelmäßig im Duisdorfer „Ministerbau“ mit dem Minister, diskutierten Pläne, gesetzgeberische Absichten, wirtschaftspolitische Strategien und tauschten Informationen aus. Der Schreiber dieser Zeilen gehörte dazu.

Erhard war ein liebenswürdiger Gastgeber und ein aufmerksamer, stets mit der unvermeidlichen Zigarre und einem Glas „Whisky on the rocks“ bewaffneter Zuhörer, der die Ansichten anderer nicht nur respektierte, sondern überdachte und in die eigenen Pläne integrierte, wenn sie ihm einleuchteten. Sein Ministerium wurde auf eine selten liberale Weise geführt. Er gestattete den unmittelbaren Zugang der Journalisten zu allen Ministerialbeamten vom Staatssekretär bis zum Oberregierungsrat – ohne die schon damals sonst übliche Einschaltung der Pressestelle (wie im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt oder im Finanzministerium).

Erhards Liberalisierungspolitik, die allenthalben auf die Abschaffung von Schutzzäunen im Außenhandel, in der Kartell- und Währungspolitik bis hin zu den Zinsgehegen der Banken und den vielfältigen Zugangsbarrikaden der „freien Berufe“ zielte, war trotz ihrer überwältigenden wirtschaftlichen Erfolge nicht überall beliebt. Sein energischster Gegenspieler war Bundeskanzler Konrad Adenauer, der unter dem Einfluss von allerlei interessegebundenen Beratern die Liberalisierung zu bremsen suchte, wo es sich machen ließ – auch um den wirtschaftlichen Einfluss des Staates möglichst groß zu halten.

Und genau in dieser Frage kam es zu einer denkwürdigen Begegnung des Ministers mit der „Brigade Erhard“ in dessen Ferienhaus am Tegernsee im August 1960. In der kleinen Runde war zuvor schon manches kritische Wort zu Adenauers Interventionen gefallen. Diesmal jedoch holte Erhard zu einer bitteren Generalabrechnung mit dem Regierungschef und den Koalitionsparteien aus. Er sprach von einem Haufen von Interessengruppen, über deren Wünsche der Kanzler im Alleingang und fast immer nach Wahlgesichtspunkten entscheide. Er geißelte den politischen Zynismus solcher Wahlgeschenke, die nicht nur in Wohltaten und Steuervergünstigungen bestünden, sondern auch in politischen Operationen, mit denen Interessengruppen befriedigt würden. Das sei moralisch verwerflich, und er habe Adenauer darauf angesprochen: „Damit geben Sie zu erkennen, dass Sie das Volk für korrupt halten.“ Adenauer habe ihn erstaunt angeblickt und gefragt, ob er diese Ansicht etwa nicht teile. Es war ein Zornesausbruch von vulkanischer Stärke. Die Runde sicherte absolute Geheimhaltung zu, die leider von einem der Kollegen gebrochen wurde.

Es ist diese politisch-moralische Gradlinigkeit, die Erhard im Volke weit jenseits des wirtschaftlichen Erfolgs hohes Ansehen, ja Ehrerbietung eintrug. Ich habe diese rührend-persönlichen Ovationen mit Blumen und kleinen Geschenken auf den Marktplätzen bei einer Wahlreise (1965) drei Tage lang miterlebt. Unvergesslich, wie beeindruckt selbst Pjotr Michailow, damals Bonner Korrespondent der Moskauer „Prawda“ (und später ihr Chefredakteur) davon war. Für Erhard charakteristisch war im Übrigen, dass er einen Mann der globalen „Gegenseite“ wie Michailow in seinen Wahl-Sonderzug eingeladen hatte, was Adenauer schwerlich getan hätte. Wir hatten an einem Abend zu dritt ein anregendes Gespräch über den Gegensatz von Markt- und (sowjetischer) Planwirtschaft, bei Whisky und viel Zigarrendampf. Michailow war ideologisch sattelfest, wog aber sichtlich auch die Gegenargumente.

Erhard war immer bereit zuzugeben, dass sein Lebenserfolg auch auf einer guten Portion Glück beruht habe. Er pflegte aber hinzuzufügen, dass dieses Glück auch erkämpft sein wolle, dass man den Glauben an die eigene Sache nie verlieren dürfe und vor allem bereit sein müsse, Risiken einzugehen. Als es um seine Kanzlerschaft ging, die gegen Adenauer zu erkämpfen war, hat die „Brigade“ diese Bereitschaft oft schmerzlich vermisst. Die Whisky-Séancen gingen weiter, bei stärker gefüllten Gläsern. Sie fanden ab 1963 auch im neuen Kanzler-Bungalow statt, bis sich die Dämmerung über den Kanzler Erhard senkte. Die Ludwig-Erhard-Stiftung war schließlich ihr letzter Sammelpunkt und ihr letztes Refugium. >> zurück

Dr. Michael Fuchs MdB, Koblenz

Wie Ludwig Erhard, so bin auch ich im Mittelstand verwurzelt und von der Überzeugung geprägt, dass Wettbewerb Chancengleichheit bedeutet. Der Aufstieg unseres Landes zu einer der führenden Industrienationen der Welt wäre nicht möglich gewesen ohne die Soziale Marktwirtschaft und schon gar nicht ohne Erhard. Er war es, der die Soziale Marktwirtschaft einst gegen erhebliche Widerstände in die Tat umgesetzt hat. Ihm verdanken wir die Stärke unseres Landes und unseren Wohlstand.

Für mich war und ist die Soziale Marktwirtschaft im Erhard’schen Sinne mehr als nur eine wirtschaftliche Ordnung. Sie ist auch gesellschaftspolitische Leitlinie meines politischen Handelns. Sie ermöglicht Wettbewerb und Eigenverantwortung, Solidarität und soziale Sicherung. Sie setzt auf die Kraft der Freiheit, auf Unternehmergeist und Leistungsbereitschaft. Im Vordergrund steht dabei der Mensch. Er muss frei sein, damit er Verantwortung für sich selbst übernehmen kann.

Deutschland muss heute in der Globalisierung bestehen. Erhards Soziale Marktwirtschaft ist daher auch unser Wirtschaftsmodell der Zukunft. >> zurück

Dr. Hansjörg Häfele, Bad Dürrheim

1965 wurde ich, 33 Jahre alt, zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt. Den Wahlkampf bestritt ich vor allem mit den Gedanken von Bundeskanzler Ludwig Erhard. Ich hielt zwar die Begriffe „formierte Gesellschaft“ und „deutsches Gemeinschaftswerk“ für unglücklich, die dahinter stehenden Vorstellungen jedoch für richtig. Es ging darum, überbordende Einzel- und Gruppeninteressen zugunsten des Gemeinwohls einzudämmen, die Selbstverantwortung der Bürger zu stärken sowie Leistung und unternehmerische Initiative als Grundlage unseres Wohlstands zu sichern. „Freiheit und Verantwortung“ – die Parole von Bundespräsident Joachim Gauck – war damals mit dem Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ schon ein großes Thema.

Als Erhard am 1. Dezember 1966 vor der CDU/CSU-Fraktion seinen Rücktritt erklärte, kamen mir die Tränen. Ich hielt seinen Rücktritt zwar für unvermeidbar, spürte indes die Wucht der Tragödie: Erhard wollte das Richtige für unser Volk, seine Sachkunde und Redlichkeit scheiterten jedoch am Mangel von Machtsinn und taktischem Vermögen – Konrad Adenauer, dieser politischen Tugenden fähig, bekam auf tragische Weise recht.

Als Bundestagskollege fragte mich Erhard später, ob ich seiner neu gegründeten Ludwig-Erhard-Stiftung beitreten wolle, denn er spüre aufgrund meiner Warnungen vor einem überdehnten Wohlfahrtsstaat in Fraktion und Bundestag, ich sei „Geist von meinem Geist“. Heute noch bin ich stolz, das vermutlich einzige ehemalige Mitglied des Deutschen Bundestages zu sein, das von Erhard persönlich für die Ludwig-Erhard-Stiftung vorgeschlagen worden ist.

Meine Versuche in den letzten 25 Jahren, das Abenteuer einer gemeinsamen europäischen Währung zu verhindern und die Rettungsbemühungen trotz offenkundiger Fehlentwicklungen realistisch zu gestalten, sind Ausfluss des Denkens von Erhard. Das Euro-Gebäude ist künstlich, „konstruktivistisch“ und missachtet die gewachsenen Gegebenheiten des „Europas der Vaterländer“. Heute ist eine Rettung des Euro wohl nur durch klare Begrenzung auf die „Willigen“, Regierungen und Völker, möglich. >> zurück

Ursula Heinen-Esser MdB, Berlin

Ludwig Erhard ist für mich bis heute durch sein Handeln und seine Ideen eine prägende Persönlichkeit: Sein wirtschaftspolitisches Vermächtnis, das ihn neben Konrad Adenauer und Theodor Heuss zu einem der zentralen Gründungsväter der Bundesrepublik gemacht hat, war für mich nicht zuletzt auch ausschlaggebend für die Wahl meines Studienfachs – ich bin studierte Diplom- Volkswirtin – und schließlich auch für meinen Eintritt in die CDU.

Es war Erhard, der mit der Einführung der D-Mark und der Freigabe der Preise den Grundstein für den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder gelegt hat und sich gleichzeitig gegen massive Bedenken durchsetzen musste. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, das sogenannte Wirtschaftswunder, und der Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft zeigen, wie recht Erhard hatte. Seine Maxime „Wohlstand für alle“ hat sich bewahrheitet. Erhards Antwort auf die ordnungspolitische Kernfrage nach einer sozialistisch geprägten Planwirtschaft mit staatlicher Reglementierung oder einer Sozialen Marktwirtschaft mit freier, aber verantwortlicher Wirtschaftsordnung war für die junge Bundesrepublik essenziell.

Bis heute schreiben wir die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft fort, und die ihr zugrunde liegenden Ideen sind mir immer wieder Kompass in meiner politischen Arbeit. Dass es ohne eine funktionierende Marktwirtschaft keinen Wohlstand gibt, wissen wir heute. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass der Markt kein Selbstzweck ist, sondern im Interesse der Gemeinschaft steht. Wie keine andere Wirtschaftsform verbindet die Soziale Marktwirtschaft wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit sozialem Ausgleich.

Erhard musste seine Ideen, von denen er überzeugt war, oft gegen vehementen Widerstand durchsetzen. Und das gibt auch ein Zitat von Max Weber wieder: „Politik ist das lange und langsame Bohren dicker Bretter. Sie erfordert Leidenschaft und Augenmaß.“ >> zurück

Dr. Bernhard Heitzer, Berlin

Als Jugendlicher nahm ich Ludwig Erhard zunächst als einen der wichtigsten Politiker des Landes wahr. Auch wenn ich ihn persönlich leider nicht kennenlernen konnte, war er stets präsent und prägend für mein Berufsleben. Als junger Referent im heutigen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie traf ich viele Menschen, die Erhard selbst erlebt hatten und von seinem Wirken wie von seiner Persönlichkeit fasziniert und tief beeindruckt waren. Später, in meiner Zeit als Präsident des Bundeskartellamtes, war das von ihm durchgesetzte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen die gute und verlässliche Grundlage meiner Arbeit. Sein Vorbild gab und gibt bis in die Gegenwart Orientierung für Administration und Wissenschaft.

Auch heute begegnet mir sein Erbe auf Schritt und Tritt. Erhard hat das Bundeswirtschaftsministerium in seinen 14 Jahren als Minister dauerhaft geprägt. Sein Plädoyer für die positive Wirkung freier Märkte wirkt bis heute fort. Stetigkeit, Glaubwürdigkeit und Konsistenz politischen Handelns waren für ihn die notwendige Voraussetzung für gute Wirtschaftspolitik. Das macht, ebenso wie seine Beharrlichkeit, sein bleibendes Bild in der Öffentlichkeit aus. Über viele Jahre verfolgte er beispielsweise – und das gegen massive Widerstände – sein Vorhaben, den Wettbewerb umfassend gegen Kartellbildungen zu schützen. 1958 gelang dann der erfolgreiche Durchbruch mit dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – sein berühmter „langer Atem“ hatte sich bewährt.

Erhard fand dabei stets die richtigen Worte, um seine Politik auch den „kleinen Leuten“ verständlich zu machen. „Wohlstand für alle“ war das Wertversprechen der Sozialen Marktwirtschaft. Gerne wird dabei übersehen, welchen Weitblick es erforderte, in den schwierigen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau Deutschlands auf den freien Markt zu setzen. Mit der eigenmächtigen Aufhebung der Zwangsbewirtschaftung und Preisbindung zum Zeitpunkt der Währungsreform bewies er großen Mut. Allen Unkenrufen zum Trotz wurde er in seiner Einschätzung bestätigt. Mit dem Erfolgsrezept der Sozialen Marktwirtschaft – viel zitiert als „Wirtschaftswunder“ – wurden die Knappheit und Not der Nachkriegsjahre unerwartet schnell überwunden.

Das Erbe Erhards ist auch Verpflichtung. Derzeit ist die mittlerweile achte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gegenstand politischer Beratungen. Anpassungen des regulatorischen Rahmens sind immer wieder notwendig, denn die wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten sind einem steten Wandel unterworfen. Dabei müssen wir aber die von Erhard vertretenen Grundprinzipien weiterhin fest im Blick behalten.

Natürlich ist der politische Aktionsraum von damals mit dem von heute nicht vergleichbar. So hat sich beispielsweise die Bedeutung der Presse grundlegend gewandelt. Die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien haben zu einer drastischen Beschleunigung auch im politischen Geschehen geführt. Aber kurzfristige Trends und Umfragewerte sind vergänglich. Vielleicht gerade deswegen ist der Dreiklang aus Stetigkeit, Glaubwürdigkeit und Konsistenz in der Diskussion um marktwirtschaftliche Lösungen so wichtig und sollte uns auch heute Richtschnur sein. Wenn sich die Wirtschaftspolitik weiterhin daran orientiert, werden wir die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft fortsetzen – ganz im Sinne Ludwig Erhards. >> zurück

Walter Hirche, Hannover

Begegnungen prägen Erinnerungen. Ludwig Erhard war der erste Bundeskanzler, dessen persönliche Bekanntschaft ich gemacht habe. Als ich mich am 13. Mai 1966, zusammen mit meinen Vorstandskollegen, als neugewählter Vorsitzender des Verbandes Deutscher Studentenschaften, der Dachorganisation der Allgemeinen Studentenausschüsse an den Universitäten der Bundesrepublik Deutschland, bei Bundeskanzler Erhard im Palais Schaumburg zum Antrittsbesuch einfand, war dies die Fortsetzung eines Brauchs, der sich seit den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland eingespielt hatte. So empfing wenige Wochen später auch Bundespräsident Heinrich Lübke uns als Spitzenvertreter der Studentenschaft. Wie sich die Zeiten nach 1968 verändert haben.

Das Gespräch beim Bundeskanzler dauerte immerhin eine knappe Stunde. Erhard, von einem schnellen, kurzen Mittagessen aus dem Nebenzimmer herbeigeeilt, die obligate Zigarrenspitze im Mund, war gut vorbereitet. Die Lage an den Hochschulen war das generelle Thema, auch wenn die Hochschul- und Studienreform Sache der Länder war. Das Kernthema, das den Bund betraf, war die Verbesserung der sozialen Lage der Studenten. Heißestes Thema war die Forderung von uns Studenten, die familienabhängige Förderung nach dem „Honnefer Modell“ in eine familienunabhängige gesetzliche Ausbildungsförderung umzuwandeln. – Zur Realisierung sollten noch Jahre ins Land gehen. – Wir Studentenvertreter waren 1966 jedenfalls beeindruckt, wie sachorientiert und intensiv interessiert Erhard das Gespräch führte.

Die prägende Rolle von Erhard für die Soziale Marktwirtschaft, seine ordoliberale Grundüberzeugung, dass der Staat Gesetzgeber und Schiedsrichter, nicht aber Mitspieler im Markt sein soll, ist für mich ein nach wie vor zukunftweisender Maßstab. Praktische Konsequenz dieser Leitidee war für ihn unter anderem die Kontrolle von Marktmacht mithilfe des Kartellrechts. Mit Gründung der Verbraucherzentrale wollte er dazu beitragen, dass zur Balance von Marktmacht auch informierte Verbraucher gehören. Sein Kampf gegen eine Altersversicherung im Umlageverfahren scheiterte an Konrad Adenauer, dem ein kurzfristiger Wahlerfolg wichtiger war als Hypotheken für morgen.

Das Eintreten für Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Verantwortlichkeit gegenüber der ganzen Gesellschaft, Erhard’sche Grundüberzeugung, bleibt für mich Leitprinzip gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Handelns. Deshalb erinnere ich mich so gern an meinen „Antrittsbesuch“ bei Ludwig Erhard. >> zurück

Evi Kurz, Fürth

Als Vorsitzende des Ludwig-Erhard-Initiativkreises in Fürth, der Geburtsstadt von Ludwig Erhard, und als Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung in Bonn beziehe ich mich häufig auf Erhard. Aber welche Beziehungen habe ich zu ihm? – Erhard ist 1977, vor 35 Jahren, also in meiner frühen Jugendzeit, verstorben. Auch von Begegnungen mit Erhard weiß ich nichts zu berichten.

Wenn ich von Erhard spreche, ihn lese, ihn zitiere und wenn ich seine Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft erläutere, dann geht es mir vor allem um Erhards Politik und um die bemerkenswerten wissenschaftlichen Begründungen, die er für diese Politik gab. Ich bin der Ansicht, dass Erhard in eigenständiger und außerordentlich tiefgründiger Weise über Wirtschaft, Gesellschaft und Politik nachgedacht und dabei Erkenntnisse gefunden hat, die zeitlos gültig sind und die vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Beachtung finden sollten.

In diesem Bewusstsein führe ich den Fürther Ludwig-Erhard-Initiativkreis. Wir organisieren Veranstaltungen, in denen über Erhard und seine Politik gesprochen wird. Wir geben eine Schriftenreihe und Ludwig-Erhard-Studien heraus, in denen Erhards Soziale Marktwirtschaft behandelt wird. Derzeit bemühen wir uns, in Erhards Geburtshaus ein Zentrum einzurichten, in dem Erhards Leben, seine Karriere als Wissenschaftler und als Politiker, dokumentiert wird. In diesem authentischen Umfeld wollen wir auch die Möglichkeit schaffen, aktuelle Fragen der Sozialen Marktwirtschaft zu erörtern.

Obwohl unser Initiativkreis erst vor zehn Jahren gegründet wurde, ist er inzwischen weit über Fürth und die Metropolregion Nürnberg hinaus bekannt. Ich hoffe, dass unsere Arbeit noch einiges dazu beitragen kann, das Bewusstsein für die Aktualität der Erhard’schen Sozialen Marktwirtschaft zu stärken. >> zurück

Siegmar Mosdorf, Berlin

Für einen langjährigen sozialdemokratischen Politiker, der sich vor allem in der Wirtschafts-, Forschungs- und Technologiepolitik engagiert hat und der seit zehn Jahren als Partner der internationalen Unternehmensberatung CNC AG in der Wirtschaft tätig ist, hat die Wirtschaftspolitik, für die Ludwig Erhard steht, eine grundsätzlich positive Bedeutung. Das gilt nicht nur für neue Konzepte, die Erhard noch während des Nationalsozialismus für eine freiheitliche Wirtschaft nach Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt hat. Das gilt für „seine“ Währungsreform und seinen Impuls für das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit.

In seiner Amtszeit als Wirtschaftsminister sind wichtige Gesetze erdacht und umgesetzt worden, die heute noch von Bedeutung sind. Das gilt zum Beispiel für das Kartellgesetz, das für die heutige Wirtschaftswelt aber nicht mehr ausreichende Instrumente hat. Der Erhard’sche Grundsatz – „Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen – nicht umgekehrt.“ – wird das bleibende Weltbild Erhards sein. Der von ihm geprägte Begriff der „formierten Gesellschaft“ als gesellschaftliches Leitbild war sehr anfällig für Missverständnisse. Er wurde von orthodoxen Ordoliberalen und später auch von Kurt Biedenkopf in seinem Diskurs mit Heiner Geißler um die „neue soziale Frage“ wieder aufgegriffen. Erhard war als Nachkriegs-Wirtschaftspolitiker eine authentische Autorität, die durch den wirtschaftlichen Fortschritt der 1950er und 1960er Jahre zur Ikone wurde. Sein über die Wirtschaftspolitik hinausgreifender Anspruch, der auch im Leitbild der „formierten Gesellschaft“ zum Ausdruck kam, war hingegen eher verengend und begrenzend in einer Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs. Nach 14 Jahren als erfolgreicher Wirtschaftsminister war seine kurze Kanzlerschaft auch deshalb ernüchternd.

Dennoch bleibt Erhard für mich, der ich mich immer am wirtschaftspolitischen Denken Helmut Schmidts und am kulturpolitischen Denken Carlo Schmids orientiert habe, eine herausragende Persönlichkeit, die mit ihrem Selbstverständnis die Soziale Marktwirtschaft als ein wichtiges Fundament für unsere Gesellschaft geschaffen hat. Heute hat dieses Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft nichts an Bedeutung verloren. Allerdings ist es aufgrund der Internationalisierung der Wirtschaft und der großen Komplexität der Strukturen und Institutionen des Marktes viel schwerer durchzusetzen. >> zurück

Dr. Isabel Mühlfenzl, Seefeld

Der Begriff „deutsches Wirtschaftswunder“ hat ihm nicht gefallen. Als ich Ludwig Erhard 1964 kennengelernt habe, sagte er sehr locker aber pointiert, dass der deutsche Wohlstand kein Wunder, sondern das Ergebnis der Sozialen Marktwirtschaft sei. Die Deutschen haben sich ihren Wohlstand hart erarbeitet, weil sie selbst Hand anlegten in einem verrotteten Staat.

Als junge Wirtschaftsjournalistin war ich damals voll auf seiner Linie und begeistert von den Idealen der Marktwirtschaft. Aber als er im Herbst 1965 das Maßhalten predigte, störte das meine Welt, in der die Bäume in den Himmel zu wachsen schienen. Damals fand ich Maßhalten spießig und altmodisch. Viele hatten die Illusion, die marktwirtschaftliche Freiheit hätte ein Zeitalter des grenzenlosen Wachstums eröffnet, und hörten nicht auf Erhard. Nun zeigen sich die Folgen dieser gefährlichen Illusion, und wir erleben auch, wie gefährlich die Mär vom Wirtschaftswunder ist.

Die meisten Deutschen glauben, sie müssten nicht mehr kämpfen. Deutschland ist auf dem besten Wege, sich eine Kunstwelt fern der Realität zu schaffen, ein Rentnerparadies. Der Wohlfahrtsstaat gibt ihnen Sicherheit, aber er macht sie satt und träge. Er verlockt zu sitzen und auf das neue Wunder zu warten, anstatt selbst anzupacken und persönliche Verantwortung zu übernehmen in diesem Staat, den nun nicht der Krieg zerstörte, sondern in dem verhängnisvolle politische Entscheidungen gefällt wurden.

Wir blockieren die Starken und stärken die Schwachen. In einer Zeit, in der die Welt um uns herum sich verändert – unsere aufstrebenden Nachbarn werden immer stärker –, werden die wirtschaftlichen Bedingungen immer härter. Heute fehlt uns ein Erhard mehr denn je, einer der den Mut hat, Fehler einzugestehen und die Lage schildert, wie sie wirklich ist. Es ist nicht zu leugnen, dass unsere Politiker in den letzten Jahren viele falsche Entscheidungen trafen und dass wir alle zusammen die Sache wieder in Ordnung bringen müssen.

Erhard hatte es damals in den Nachkriegsjahren auch nicht leicht, die Menschen von seinen Ideen der Sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen. Aber er hatte den Mut, gegen die öffentliche Meinung anzutreten und gegen politische Freunde und Gegner zu entscheiden, und hat damit die Grundlagen für den Wohlstand geschaffen, den wir heute zu verlieren drohen, wenn wir uns nicht rückbesinnen auf die wahren Werte der Sozialen Marktwirtschaft. Der große Unterschied: Erhard predigte damals den Hungrigen, heute müsste er den Satten predigen. >> zurück

Hildegard Müller, Berlin

Wohl auf keinen unserer ehemaligen Bundeskanzler wird heute noch so oft wirtschaftspolitisch Bezug genommen wie auf Ludwig Erhard. Dies hat zweifelsohne mit der Tatsache zu tun, dass Erhard die Gabe besaß, Botschaften und Erkenntnisse anschaulich und prägnant zu vermitteln, sodass viele Menschen einen Zugang zu hochkomplexen volkswirtschaftlichen Konzepten erhielten. Beispiele hierfür sind der Titel seines Hauptwerks „Wohlstand für Alle“ und natürlich der von ihm weiterentwickelte Terminus der „Sozialen Marktwirtschaft“, der heutzutage gern von allen politischen Lagern herangezogen wird, um die eigene Programmatik zu legitimieren – übrigens nicht immer zu Recht.

Umso wichtiger ist für mich, sich jenseits aller politischen Deutungen und Umdeutungen wieder dem Werk und Wirken Erhards zu widmen. Ein kurzer Blick in seine Schriften und Reden genügt, um zu verstehen, dass seine Ansichten klar und ohne viel Spielraum für Interpretationen auch im 21. Jahrhundert gültig sind. Seine Herleitung der Sozialen Marktwirtschaft, und dies mag heutzutage einige verwundern, führte beispielsweise über die Bedingung, dass das Wirtschaftssystem Wachstum nur im Wettbewerb möglich macht. Erhard ließ beispielsweise keinen Zweifel daran, dass gerade die sozial schwachen Bevölkerungsschichten – und dies ließe sich heutzutage in einem europäischen Binnenmarkt nicht nur auf weniger wohlhabende Länder übertragen – auf Wirtschaftswachstum angewiesen sein würden, um am Wohlstand überhaupt partizipieren zu können. Dies gilt auch für unser Land. Natürlich muss heute Wachstum insbesondere qualitatives Wachstum bedeuten: Wachstum, das der Schöpfung genauso wie dem Fortschritt verpflichtet ist. Diesen Aspekt hat man vor 50 Jahren noch nicht so dezidiert mitgedacht; genauso wenig wie die demographische Entwicklung unseres Landes, die Wachstum umso nötiger macht.

Für meine praktische Arbeit sind Erhards wirtschaftspolitische Leitlinien noch immer eine wichtige Orientierung. Gerade in meiner Branche, der Energie- und Wasserwirtschaft, häufen sich die regulatorischen Eingriffe des Staates in die Erzeugungsstruktur, in die Preisgestaltung und damit in den Wettbewerb; die Gestaltungsspielräume und wettbewerblichen Möglichkeiten der Unternehmen werden geringer. Die Politik beschränkt sich zunehmend weniger auf das Setzen von Zielen und von Leitplanken, sondern greift regulierend ein. Gerade beim Ausbau der erneuerbaren Energien fühle ich mich manchmal in die Zeit von Fünf- oder Siebenjahresplänen zurückversetzt. So ist zu konstatieren, dass es im Jahr 14 nach der Liberalisierung der Energiebranche Anzeichen für immer stärkere staatliche Eingriffe in den Energiebereich gibt.

Wir sollten allerdings – auch dies im Sinne Erhards – weiter die wettbewerbliche und marktwirtschaftliche Ordnung in diesem zentralen Sektor unserer Volkswirtschaft aufrechterhalten und verteidigen. Ohne sie werden wir langfristig auch den Wachstumspfad verlassen. Ein Weg, an dem keiner wirklich Interesse haben dürfte. >> zurück

Frank Schäffler MdB, Berlin

In den großen Problembereichen unserer Zeit haben wir es mit einem Versagen der Staatswirtschaft zu tun. Die Währungsunion ist mit ihren politisch festgelegten Wechselkursen im Scheitern begriffen. Auch die bürokratisch organisierte Energiewende steht vor dem Scheitern. Das macht uns Sorgen. Doch einen Ludwig Erhard hätte das wohl nicht geschreckt. Wie stand Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg da? Deutschland war vernichtet und in ein Chaos verwandelt. Unsere Lage ist nicht annähernd so jämmerlich. Und so schlecht wird sie auch wohl nicht werden, obwohl es um den Euro so schlimm steht. Einen Krieg und seine Zerstörungen haben wir nicht zu erwarten.

Vor der großen Aufgabe ist Erhard nicht geflüchtet. Stattdessen ist er sie angegangen und zum Vater unseres Wirtschaftswunders geworden. Deutschland wurde wiederaufgebaut, sozusagen aus dem Nichts, trotz einer erschöpften und hungernden Bevölkerung und einer aufgeriebenen industriellen Basis. Erhard ist seinen Weg gegen Widerstände gegangen, das erforderte Mut. Diesen Mut können wir uns abschauen. Abschauen können wir uns auch seine Handlungsweise. Er hat die Währungsreform gegen die Alliierten durchgesetzt. Das bringt uns seine entscheidende Lehre: Frei am Markt gebildete Preise sind das bedeutendste Instrument für unseren Wohlstand. Sie sind der wichtigste Grund für das Wirtschaftswunder, nicht irgendwelche Marshall-Pläne.

Beherzigen wir diese Lehre auch für Griechenland. Dieses braucht keine Wachstums- und Aufbaupläne, sondern Vertragsfreiheit bei der Preisbildung auf dem Arbeitsmarkt – und in allen anderen Bereichen. Es braucht vor allem eine Währung, die den Griechen freie Preisbildung ermöglicht. Und wir brauchen freie Preise auch hier bei uns. Deutschland ist schon lange kein marktwirtschaftliches Musterland mehr. Mit der Energiewende sind wir an einem neuen Tiefpunkt der marktwirtschaftlichen Verfassung angelangt. Energieplanwirtschaft dominiert das Feld. In den Verwaltungen werden Stromtrassen und der richtige Energiemix samt der dafür vorgesehenen Vergütung über einen Zeitraum von zehn Jahren geplant.

Der Abschied hiervon ist nicht einfach. Nach Erhard „trifft es zweifellos zu, dass der Übergang von der Marktwirtschaft zur Planwirtschaft nicht die geringsten, umgekehrt aber die Ablösung der Planwirtschaft durch eine freie Marktwirtschaft die denkbar größten Schwierigkeiten bietet“. Doch hat uns Erhard auch gezeigt, dass wir mit mutigem Handeln die Misere der Staatswirtschaft hinter uns lassen können, wenn wir nur wollen. >> zurück

Dr. Joachim Seeler, Hamburg

Erfahrungen mit Ludwig Erhard auf der Basis persönlicher Begegnung haben sich mir, ich bin Jahrgang 1964, leider nicht ermöglicht. Dennoch ist mir Erhard im Alltag regelmäßig präsent. Neben meiner Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Lloyd Fonds AG, einer Investmentfirma mit rund 52 000 Anlegern und Schwerpunkten im Bereich Schiff- und Immobilieninvestitionen, bin ich seit meiner Studienzeit politisch in der Hamburger SPD aktiv. Mein Wirken hat sich dort, ob als Mitglied des SPD-Landesvorstands, der Deputation der Wirtschaftsbehörde oder als Mitglied der Kreditkommission der Stadt Hamburg, seit vielen Jahren auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik konzentriert.

Oft werden in den politischen Gremien Diskussionen geführt, bei denen sich mir die Frage stellt, ob wir uns noch auf dem Weg der Sozialen Marktwirtschaft befinden. Dies geschieht nach meinen Erfahrungen inzwischen parteiübergreifend. Es ist keine Frage mehr von SPD, CDU, FDP oder Grünen, ob und inwieweit die Soziale Marktwirtschaft als Grundlage politischen Handelns gelebt wird oder eben nicht. Dabei fallen vor allem drei Dinge auf:

Erstens: In der täglichen politischen Arbeit wird bei vielen Entscheidungen die Wirtschaftspolitik heutzutage überfordert. So sind etwa die Käufe von Unternehmensbeteiligungen durch die Stadt Hamburg, zum Beispiel der Erwerb der Beteiligung an Hapag Lloyd – der entscheidende Schritt zum Erwerb von Hapag Lloyd wurde durch den CDU-Senat 2009 gemacht, der jetzige SPD-Senat hat 2012 das vorhandene Vertragswerk final umgesetzt –, mit dem Ansatz der Sozialen Marktwirtschaft Erhards kaum vereinbar. Die Politik ist nun gefordert, eine der weltgrößten Reedereien unternehmerisch als Gesellschafter zu begleiten. Expertise ist hierzu im Beamtenapparat nicht vorhanden, das Ergebnis bleibt abzuwarten.

Zweitens: Die Politik holt derzeit eine jahrzehntealte Sünde ein, die über Parteigrenzen hinweg konsensual gelebt wurde, die der strukturellen Defizitfinanzierung der öffentlichen Haushalte. In einer Stadt wie Hamburg übersteigen die jährlichen Zinszahlungen heute bereits das strukturelle Haushaltsdefizit. Da so gut wie nie öffentliche Schulden getilgt, sondern immer nur refinanziert wurden, zahlen wir noch heute Zinsen auf die Verschuldung der letzten Jahrzehnte. Die Gesamtverschuldung steigt also nicht linear, sondern exponentiell. Die Soziale Marktwirtschaft nach Erhard hätte dieser Verschuldungspolitik viel früher Einhalt geboten.

Drittens: Die Bedeutung der Chancengerechtigkeit jedes Einzelnen als Teil der Sozialen Marktwirtschaft wurde viel zu lange der Verteilungsgerechtigkeit untergeordnet. Oft wurde in politischen Debatten die Fokussierung auf die Verteilungsgerechtigkeit gerade mit dem Ansatz der Sozialen Marktwirtschaft begründet, ohne zu begreifen, dass bei Erhard die Chancengerechtigkeit im Vordergrund steht. Erst in jüngster Zeit ist hier eine Umorientierung zu beobachten. Dies mag auch daran liegen, dass wir künftig aufgrund der demographischen Entwicklung jeden Menschen im Erwerbsleben brauchen und uns eine Alimentation über den Lebensweg hinweg nicht mehr leisten können. >> zurück

Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty, Tübingen

Ich habe Ludwig Erhard als Menschen und als Politiker kennengelernt. Im privaten Umgang war er zurückhaltend, höflich und liebenswürdig. Meine erste Begegnung mit ihm war virtueller Natur. In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die labberigen Reichsmarkscheine nichts wert. Entscheidend waren Lebensmittelkarten. Die Schlangen vor den Geschäften waren lang, die Geschäfte der Schieber auf den Schwarzen Märkten blühten. Und dann veränderte sich die Welt über Nacht: Mit der Ausgabe der neuen D-Mark-Scheine verschwanden die Schlangen, die Regale waren voller Waren und die Schwarzen Märkte lösten sich auf. Warum?

Erhard hatte als Direktor der Wirtschaftsverwaltung die Warenbewirtschaftung abgeschafft, und nun war wieder das Geld, das die Bürger in Händen hielten, das wichtigste Tauschmittel. Von einem solchen Schritt hatten vor allem US-amerikanische und britische Berater abgeraten. Erhard vertraute aber darauf, dass der Übergang zur Marktwirtschaft eine Entscheidung gegen Schieber und für die Menschen sei. Und so kam es auch. Theodor Eschenburg nannte Erhards Haltung „wissenschaftlich fundierten Wagemut“.

Bei seinen politischen Reden und Ansprachen begegnete man einem Erhard, der Überzeugung und Charisma ausstrahlte. Seine Reden waren von einem bisweilen altmodischen Pathos getragen. Die Zuhörer hatten niemals das Gefühl, hier lese jemand einen aufgeschriebenen Text ab oder spiele eine angelernte Rolle. Wort und Wirkung waren eins. Seine Ausstrahlung habe ich selbst als Assistent der CDU/CSU-Fraktion bei einer Debatte im Deutschen Bundestag erlebt. Karl Schiller, der damalige Wirtschaftsminister, hatte die D-Mark von der Bindung an den Dollar gelöst, indem er die Deutsche Bundesbank anwies, die Dollar-Interventionen einzustellen (8. Mai 1971), weil ansonsten die erzwungene Ausweitung der D-Mark-Geldmenge den Preisauftrieb beschleunigen würde. Doch wurde zugleich eine Verabredung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die Wechselkurse untereinander zu stabilisieren, außer Kraft gesetzt. Der offizielle Sprecher der damaligen CDU/CSU-Opposition, Franz Josef Strauß, griff Schiller scharf an, weil seine Anweisung gegen den europäischen Geist verstoße, und empfahl eine moderate Devisenbewirtschaftung.

Dann ergriff Erhard das Wort. Er verteidigte die Wechselkursfreigabe als Konsequenz marktwirtschaftlicher Vernunft. Er zeigte, dass Geldwertstabilität sowohl das Fundament der Sozialen Marktwirtschaft als auch der Europäischen Gemeinschaft sei. Inflationäres Treibenlassen sei nicht das gewesen, worum man in den Römischen Verträgen gerungen habe. Und jetzt geschah das Unglaubliche: Die CDU/CSU-Abgeordneten, die zuvor Strauß applaudiert hatten, dankten Erhard mit lang anhaltendem Beifall. Es hatte der Marktwirtschaftler gesprochen, der sein Publikum mit klaren Worten überzeugen konnte. >> zurück

Prof. Dr. Theresia Theurl, Münster

2012 wurde von den Vereinten Nationen als Internationales Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Die Zielsetzung besteht darin, einer breiteren Bevölkerung die besonderen Merkmale von Genossenschaften und deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung bekanntzumachen. Welche Verbindungen gibt es zwischen Genossenschaften und Ludwig Erhard? Die Verbindungslinien sind ausgeprägter, als allgemein bekannt sein dürfte, geht es doch bei Genossenschaften um die konsequente Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien.

Genossenschaften und genossenschaftliche Netzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Gründung auf konsequente Akte der Eigeninitiative und Selbsthilfe zurückzuführen sind. Einzelwirtschaftliche Probleme – zum Beispiel das Fehlen einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage – sowie kollektive Notlagen, wie das Fehlen von Infrastruktur und Nahversorgung, führen nicht zur Forderung staatlicher Hilfe. Mit der Gründung von Genossenschaften wird vielmehr eine Rente der Zusammenarbeit genutzt, die Menschen eine wirtschaftliche Existenz ermöglicht, die andernfalls nicht entstehen könnte. Erfolgreiche Genossenschaften sind im Ergebnis gesellschaftlich wertvoll, wenn berücksichtigt wird, dass sie Wertschöpfung ermöglichen, Arbeits- und Ausbildungsplätze schaffen, zum Steueraufkommen beitragen und somit in der Lage sind, Standorte und Gesellschaften zu stabilisieren: gesellschaftliche Vorteile durch einzelwirtschaftliche Initiative auf der Grundlage einer konsequenten Anwendung des Subsidiaritätsprinzips.

Dazu kommt die Tatsache einer besonderen Governance von Genossenschaften, die dazu führt, dass die Eigentümer für alle grundlegenden Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen haben. Diese Anreizkonsistenz in Genossenschaften übersteigt jene in allen anderen Unternehmensformen. Die genossenschaftlichen Mitglieder sind nämlich nicht nur Eigentümer, die die strategischen Weichenstellungen treffen, sondern sie sind auch die Nutzer der gemeinsam organisierten Leistungen. Entscheiden sie gut, spüren sie selbst die Vorteile auf der Leistungsebene. Die negativen Konsequenzen von Fehlentscheidungen können von ihnen nicht abgeschoben werden. Genossenschaften tun also genau das, was Erhard einforderte: „Wo aber sollen wir hinkommen und wie wollen wir den Fortschritt aufrechterhalten, wenn wir uns immer mehr in eine Form des Zusammenlebens von Menschen begeben, in der niemand mehr die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen bereit ist und jedermann Sicherheit im Kollektiv gewinnen möchte?“ Auch dies sollte im Internationalen Jahr der Genossenschaften stärker betont werden. >> zurück

Prof. Dr. Hans Tietmeyer, Königstein

Im Herbst 1962 habe ich im Bundeswirtschaftsministerium meine Ministerialtätigkeit begonnen. Von Anfang an habe ich dabei nicht nur eng mit meinem Referatsleiter Otto Schlecht, sondern auch mit meinem damaligen Abteilungsleiter Wolfram Langer zusammengearbeitet. Auf deren Wunsch habe ich schon früh Themen behandelt, die offenbar für Ludwig Erhard persönlich von Bedeutung waren. In besonderer Erinnerung habe ich drei Themen, zu denen ich damals Grundsatzpapiere geschrieben habe, deren Inhalt ich dann dem Minister persönlich vortragen durfte. Und bei allen drei Themen hat er nach eingehender Diskussion meinen Vorschlägen zugestimmt.

In der ersten mir in Erinnerung gebliebenen Ausarbeitung habe ich mich mit der damals in der Bundesrepublik zunehmend aktuell werdenden Frage der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand befasst. Insbesondere Gewerkschaftsvertreter wollten ein Instrument, das in Großunternehmen zusätzliche tarifvertragliche Leistungen in Form von Unternehmensbeteiligungen förderte. Auf diese Weise sollte offenbar eine eigentumsrechtliche Abstützung der gewerkschaftlichen Mitbestimmung geschaffen werden. In meinem Vermerk hatte ich zwar generell für eine steuerrechtliche Begünstigung von Vermögenshilfen für Arbeitnehmer plädiert, die Anlageentscheidung sollte jedoch allein dem begünstigten Arbeitnehmer überlassen bleiben. Ich erinnere mich noch gut, wie Minister Erhard in einem Gespräch diesem Konzept nachdrücklich zustimmte. Und aus dieser Diskussion ist letztlich auch seine Zustimmung zur sogenannten 312-Mark-Förderung entstanden.

Eine besondere Aufmerksamkeit fand bei Erhard damals auch meine kritische Analyse des damals von Kommissar Robert Marjolin vorgelegten Planification-Papiers, mit dem die damalige Hallstein-Kommission ein Konzept für die Entwicklung einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik in der damaligen Sechser-Gemeinschaft vorlegte. Ich habe damals dieses von der französischen Praxis bestimmte Konzept aus ordnungspolitischen Gründen scharf kritisiert und dabei die volle Zustimmung von Erhard erfahren. Erhard hat diese Position dann auch in der Öffentlichkeit stets mit Nachdruck vertreten.

In besonderer Erinnerung sind für mich auch die Gespräche mit ihm über die verschiedenen Aktivitäten, die Anfang 1963 zur Gründung des Sachverständigenrates führten. Wegen der expansiven Lohnpolitik zu Beginn der 1960er Jahre wollte Erhard ursprünglich ein unabhängiges Lohngutachter-Gremium gründen. Diese Idee stieß jedoch sowohl in der Bundesregierung als auch in der Öffentlichkeit auf heftigen Widerstand. Der dann von uns im Bundeswirtschaftsministerium entwickelte Vorschlag zielte nicht mehr primär auf die Begutachtung der Lohnentwicklung, sondern der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie der Makropolitik des Staates. Und dieser Vorschlag wurde dann als Initiativ-Vorschlag der CSU-Landesgruppe im Bundestag eingebracht und dort beraten. Auf Wunsch von Minister Erhard habe ich als Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums an diesen Beratungen teilgenommen und auf Wunsch der Abgeordneten immer wieder Änderungsvorschläge ausgearbeitet.

Die damaligen Gespräche mit den Abgeordneten und Minister Erhard sind mir in guter Erinnerung. Und bis heute bin ich überzeugt, dass die Arbeit des 1963 erstmals berufenen Sachverständigenrates – trotz aller Kontroversen – insgesamt nicht unerheblich zur Versachlichung der wirtschaftspolitischen Diskussion in Deutschland und auch zur Grundorientierung der Wirtschaftspolitik in Deutschland und damit zur Stärkung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit beigetragen hat. Der Sachverständigenrat gehört jedenfalls auch zum Erbe von Ludwig Erhard. >> zurück

Dr. Karl von Wogau, Freiburg im Breisgau

Im Juni 1979 wurde das Europäische Parlament zum ersten Mal direkt gewählt. Damals wurde ich als neu gewählter Abgeordneter in den Ausschuss für Wirtschaft und Währung berufen, zu dessen Präsidenten in der ersten Legislaturperiode Jaques Delors gewählt wurde. Schon bei den ersten Diskussionen in diesem Ausschuss wurden die sehr unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Traditionen unserer Nationen deutlich: das Streben der Franzosen, möglichst alle Aspekte des Wirtschaftslebens zu regeln, der Pragmatismus der Briten und unsere deutsche wettbewerbsorientierte Ordnungspolitik.

Im ersten Kapitel seines Buches „Wohlstand für Alle“ schreibt Erhard unmissverständlich: „Das erfolgversprechendste Mittel zur Erreichung und Sicherung jeden Wohlstandes ist der Wettbewerb.“ Unser stärkster Hebel bei der Durchsetzung dieser Vorstellungen in der Europäischen Gemeinschaft waren die Regeln der Römischen Verträge für den Wettbewerb und den freien Warenverkehr. Damals wurde mir bewusst, dass Erhard, dem ich persönlich nie begegnet bin, tiefe Spuren im Gefüge der heutigen Europäischen Union hinterlassen hat. Die Verankerung dieser Bestimmungen war seine Bedingung für die deutsche Zustimmung zu den Römischen Verträgen.

Unser erstes Ziel war damals die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes: offene Grenzen nach innen, gemeinsame Grenzen nach außen, Abschaffung von Monopolen und die Beseitigung von technischen Handelshemmnissen. Es war damals eine Kombination des Gestaltungswillens von Jacques Delors, des Pragmatismus von Margaret Thatcher und im Parlament der Initiativen der „Kangaroo Group“, die durch konsequente Anwendung dieser von Erhard durchgesetzten Vertragsbestimmungen den Durchbruch zum Europäischen Binnenmarkt ermöglichte.

Als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung war ich Berichterstatter des Europäischen Parlaments bei der Entscheidung über die Einführung des Euro am 2. Mai 1998. Bei der Abstimmung über meinen Bericht war eines bis zum letzten Augenblick umstritten: die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien. Auch in der heutigen Debatte würde ich mir wünschen, dass man zurückkehrt zu der Erkenntnis von Erhard, dass eine Soziale Marktwirtschaft „nicht denkbar ist ohne eine konsequente Politik der Preisstabilität“. >> zurück

Prof. Dr. Norbert Walter, Bad Soden

Meine Einschätzung Ludwig Erhards machte im Zeitablauf mächtige Entwicklungen durch. Als er Maßhalten predigte und der Etablierung des Sachverständigenrates mit Zaudern gegenüberstand, wurde ich im „Zeitalter des Ökonomen“ (Walter W. Heller) auf der Universität mit Paul Samuelson und Erich Schneider von der Machbarkeit der Dinge überzeugt. Da war Karl Schiller viel mehr Idol als der barocke Bundeskanzler Erhard. Aber die Ereignisse der 1970er Jahre – die Zeit, in der ich meine Erkenntnisse aus dem Studium in wirtschaftliche Prognosen und wirtschaftspolitische Empfehlungen umzusetzen hatte – machten mich bereit, mein erstes Buch nach der Promotion mit dem Titel „Was würde Erhard heute tun?“ auszustatten.

Ich hatte in meinen ersten Berufsjahren rasch gelernt, dass die Volkswirtschaft nicht einfach ein Newton’sches System ist, in dem wir – die Wirtschaftsingenieure – die Ergebnisse bestimmen können. Das komplexe Zusammenwirken von Menschen, ihre Motivation und die Herstellung geeigneter Ordnung – vieles aus der neoliberalen Schmiede der Freiburger Schule – war es, was mich zu Erhard zurückzog.

Meine Versuche, Erhard zu ergründen und einzuordnen, sind sicherlich subjektiv. Aber ich empfand jene, die sich hauptamtlich um sein Erbe kümmerten, nicht immer überzeugend. Eine Erbengruppe verwechselt Alfred Müller-Armack mit Erhard, die andere ist fundamentalistisch marktradikal. Beides wird Erhard nicht gerecht. Die Schwierigkeit, Erhard zu interpretieren, ergibt sich sicherlich auch aus seiner barocken Sprache. Sie lässt Interpretationen zu. Und die persönliche Geschichte Erhards war Anlass für manches, was „opaque“ erscheint: Sohn eines Fürther Einzelhändlers, Studium in Frankfurt bei einem Sozialisten, Arbeit in einem Institut, das die Macht der Großkonzerne begrenzen wollte, die Hoffnung, ein starker Staat würde dies am verlässlichsten richten, und dann die Enttäuschung des Dritten Reiches. Der so Erschütterte und Geläuterte verfasste dann seine Schrift vom „Wiederaufbau nach dem verlorenen Krieg“. Welch ein Glücksfall, dass dieser Mann mit dieser Schrift den Besatzern auffiel und ihr Vertrauen erwarb.

Ich durfte im Februar 1987 den über 90-jährigen John J. McCloy sprechen. Mit blitzenden Augen berichtete er, wie er spitzbübisch diese ehrliche Haut Ludwig Erhard unterstützte und damit dem politischen Fuchs Konrad Adenauer zusetzte. So können Besatzungsmächte bei der Etablierung einer Wirtschaftsordnung ein Segen sein. >> zurück

Prof. Dr. Christian Watrin, Köln

Auch heute noch, Jahrzehnte nach den Kriegszerstörungen der deutschen Wirtschaft und ihrem Wiederaufbau, wird der wirtschaftliche Aufstieg unseres Landes, wenn auch zunehmend seltener, als „Wirtschaftswunder“ beschrieben. Damit ist vor allem die lange Phase gemeint, in der Ludwig Erhard die deutsche Wirtschaftspolitik bestimmte. Sie begann 1948, als er zum Leiter der Zweizonenbehörde bestellt wurde, und endete mit seinem Wechsel in das Bundeskanzleramt 1963.

Am 20. Juni 1948 wurde von den westlichen Siegermächten eine neue Währung, die spätere D-Mark eingeführt. Zwei Tage später verfügte Erhard – ohne Erlaubnis der Alliierten – die Aufhebung zahlreicher bürokratischer Preiskontrollen und überzeugte die westlichen Militärs, dass dieser Schritt für die noch in Trümmern liegende deutsche Wirtschaft richtig sei. Schon bald entwickelte sich ein wirtschaftlicher Aufschwung. Der Name „Wirtschaftswunder“ machte die Runde. War das nur eine Redewendung oder vielleicht doch noch mehr?

Im Reich der Wirtschaft gibt es für gewöhnlich keine „Wunder“. Manchmal wundern wir uns zwar über wirtschaftliche Geschehnisse, die uns sogar verblüffen können, wenn Entwicklungen eintreten, mit denen wir nicht gerechnet haben. Aber echte „Mirakel“ wären nur dann „Wunder“ in der normalen Bedeutung dieses Wortes, wenn sie wissenschaftlichen Erklärungen widersprächen; wenn also – angesichts der mageren Gesetzesaussagen in den Wirtschaftswissenschaften – zum Beispiel plötzlich auf unserer Erde das Newton’sche Fallgesetz nicht mehr gälte. Kann man aber mit großzügiger Auslegung ökonomischer Theorien nicht doch einen vergleichbaren Fall einer „wundergleichen“ Entwicklung finden?

Vor welchem Problem stand Ludwig Erhard 1948? In den westlichen Besatzungszonen herrschte blanke Not. Die Reichsmark war nahezu wertlos. Es herrschte primitiver Tauschhandel. Wer nichts zu tauschen hatte, ging leer aus. Zigaretten, wenn man ihrer überhaupt habhaft werden konnte, waren eine Ersatzwährung mit großen Mängeln. Die am 20. Juni 1948 eingeführte neue Währung schaffte zwar die Reichsmark des Krieges und der Vorkriegszeit ab. Aber sie hatte keine Deckung in Form kaufbarer Waren des täglichen Bedarfs. Zwei Tage nach der Einführung des neuen Geldes hob Erhard eigenwillig beachtliche Teile der damaligen bürokratischen Bewirtschaftung auf. Das neue Umlaufmittel konnte auf einmal gegen Waren eingetauscht werden. Warum? Wirtschaftlich nützliche Tätigkeit war wieder gefragt. Die staatlichen Zuteilungssysteme wie Nahrungsmittelmarken oder Kleiderkarten wurden obsolet. Der neue Wirtschaftsverkehr beruhte auf einem anderen Regelsystem als der verflossene: dem Tausch von Geld gegen Ware. Das Fundament für den wirtschaftlichen Aufschwung wurde gegossen.

Politisch stieß die Erhard’sche Politik aber auf geballte Kritik. Selbst Fachwissenschaftler malten – ähnlich wie heute – Szenarien an die Wand, die das Schlimmste befürchten ließen. Viele waren überzeugt, dass der Schritt in den „Kapitalismus“, wie man damals sagte, die Nachkriegsdeutschen in eine Gesellschaft mit einigen wenigen Reichen, aber sehr vielen Armen führen würde. Die große politische Leistung Erhards in dieser Phase war, dass er seine Mitmenschen zunehmend davon überzeugte, dass sich die Horrorszenarien nicht erfüllen würden. Die neue Freiheit, die westdeutsche Bürger im Gegensatz zu den Bürgern anderer europäischer Staaten schon bald genießen konnten, setzte gleichzeitig jene Antriebskräfte frei, derer es bedarf, wenn es allen besser gehen soll. Das brachte Erhards Kritiker allmählich in die Verlegenheit, keine Argumente mehr gegen den Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu haben. >> zurück

Prof. Dr. Hans Willgerodt, Bergisch Gladbach

Am 21. Juni 1948, einen Tag nach der westdeutschen Währungs- und Wirtschaftsreform, konnte ich bei einem Freund die angekündigte Rundfunkansprache des Direktors der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, anhören. In unmissverständlicher fränkischer Ausdrucksweise kündigte er den Übergang zu Marktwirtschaft und zu stabilem Geld im Rahmen des Möglichen an. Er hat Wort gehalten, oft gegen heftige Widerstände.

Später habe ich einer Rede Erhards vor der Bonner Studentenschaft zugehört. Die meisten Zuhörer waren ihm gegenüber zuerst misstrauisch. Er hatte nur ein Blatt mit Zahlen und Notizen in der Hand und sprach völlig frei. Im Laufe einer Stunde hat er seine Zuhörer überzeugt und ist mit stürmischem Beifall belohnt worden. Es ging um Erfolge im deutschen Außenhandel, die vom Ausland misstrauisch betrachtet wurden.

Der Zufall hat es gewollt, dass Erhard am selben Tage, dem 4. Februar 1897, geboren ist, an dem das Reichsgericht die Kartelle legalisiert hat. Also war gleichzeitig der Rächer geboren, der später das Verbot dieser Wettbewerbsbeschränkung durchgesetzt hat. Ich selbst bin ebenfalls am 4. Februar geboren, allerdings erst im Jahre 1924, sodass wir uns an diesem Datum gegenseitig gratulieren konnten. Alfred Müller-Armack, keiner Feier abgeneigt, hatte ihn ohne mein Wissen zu meinem 50. Geburtstag eingeladen. Er erschien tatsächlich und ließ sich durch ironische Sprüche über Wirtschaftsordnung erheitern, die ich gelegentlich in meinem Hauptseminar geäußert hatte.

Nachdem ich in Köln Nachfolger von Müller-Armack geworden war, hat Erhard mir und meinen Mitarbeitern den Auftrag gegeben, eine Studie mit dem Titel „Vermögen für Alle“ zu verfassen. Wir haben deswegen öfter mit ihm konferiert und konnten dabei seine wirtschaftstheoretischen Kenntnisse bewundern. Ebenso bewundernswert war seine Fähigkeit, gleichzeitig schwere Zigarren ohne Schaden auf seinem Ledersessel zu balancieren. >> zurück

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