Maximilian Kutzner, M.A.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Projekt zur Geschichte der FAZ des Lehrstuhls für Neueste Geschichte II, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gilt bis heute als eines der Leitmedien in der Bundesrepublik Deutschland. Die ersten Jahre der Zeitung waren eng verknüpft mit dem Aufbau und der Etablierung der Sozialen Marktwirtschaft. Bei der Gründung der FAZ spielte Ludwig Erhard eine wichtige Rolle. Das Wirtschaftsressort der Zeitung wurde zu einem wichtigen Unterstützer der Erhard’schen Wirtschaftspolitik.

„Das, was sie geleistet haben“, schrieb Ludwig Erhard im November 1953, „passt nicht in die Kategorie Wahlhilfe, sondern steht in der breiten Unterrichtung und Aufklärung unseres Volkes.“1Brief von Ludwig Erhard an Erich Welter, 17. November 1953, in: Nachlass Erich Welter (213), Bundesarchiv Koblenz. Die rührseligen Zeilen richteten sich an Erich Welter, einen der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Verantwortlichen für den Wirtschaftsteil des Blattes. Damit war ein Plan aufgegangen, der bereits vier Jahre zuvor gefasst worden war, unter anderem auch von Erhard: Die Initiatoren des Projekts FAZ verknüpften mit der Gründung der Zeitung 1949 das Ziel, einen öffentlichen und unabhängigen Fürsprecher für die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit zu schaffen und breite Schichten der Bevölkerung mit ihren Vorzügen vertraut zu machen.

Erhards Rolle bei der Gründung der FAZ

Die Gründung der FAZ stand im Kontext der intensiven Diskussion um die künftige deutsche Wirtschaftsordnung in den Jahren zwischen 1945 und 1949. Die Alliierten entschieden sich angesichts der wichtigen Rolle, die den Medien im NS-Staat zukam, nach dem Sieg über Hitler-Deutschland dazu, nicht einfach zum Status quo ante zurückzukehren, und verboten daher die Zeitungen der Zeit vor 1945. Die amerikanischen Besatzungsbehörden gründeten direkt nach dem Krieg selbst erste Zeitungen und gingen später dazu über, Lizenzen an unbelastete deutsche Verleger und Journalisten zur Ausübung ihrer Berufe zu erteilen. In einem letzten Schritt sollten dann deutsche Stellen wieder das Zeitungswesen vollständig selbst verwalten.

Die wirtschaftspolitischen Debatten der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden aufmerksam von den neu gegründeten Zeitungen beobachtet. Seit seinem Amtsantritt als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft rückte auch Ludwig Erhard im März 1948 stärker in den Fokus der medialen Öffentlichkeit.2Erhard über Tendenz der sinkenden Preise, in: Passauer Neue Presse, 9. Juli 1948; Parteiloser Fachmann, in: Der Spiegel, 6. März 1948; Ehrenmitglied Erhard, in: Der Spiegel, 21. August 1948. Die Diskussion um die westdeutsche Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit wurde zwischen den neu gegründeten politischen Parteien, Besatzungsbehörden und Teilen der Öffentlichkeit energisch geführt. Der größere Teil der Deutschen sah in der Zentralwirtschaft den besten Weg zur Überwindung der Kriegsfolgen.3Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen in Folge der Währungs- und Wirtschaftsreform 1948 und steigender Preise lehnten mehr als zwei Drittel der Deutschen im Jahr 1949 die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung ab, vgl. Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Stuttgart 2006, Seite 80.

Doch es fanden sich auch private Unterstützerkreise, wie die Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947 (WipoG), die sich wie Ludwig Erhard für die Marktwirtschaft als künftige Wirtschaftsordnung in Deutschland einsetzten. In der WipoG bündelte sich das Interesse von Unternehmern, höheren Beamten und Politikern, die Marktwirtschaft im Sinne einer freien Wettbewerbswirtschaft einzuführen und langfristig in den westlichen Besatzungszonen zu etablieren. Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben Erhard und den beiden Vorsitzenden Otto Klepper und Rudolf Mueller allerlei Persönlichkeiten aus den politischen und wirtschaftlichen Eliten der Nachkriegszeit. Auf der ersten Sitzung des Vereins meldete sich Erhard mit einem Vortrag zu Wort und sprach über seine Visionen der künftigen Wirtschaftspolitik.4Programm der Eröffnungstagung der WipoG 1947, in: Nachlass Erich Welter (94), Bundesarchiv Koblenz.

Trotz der steigenden Zahl der Mitglieder blieb der Wirkungskreis der WipoG in den Anfangstagen noch überschaubar. Daher beschlossen Vorstand und Beirat des Vereins am 11. Januar 1949 „zur Erweiterung der Publizität“ die Gründung einer eigenen Zeitung.5Astrid von Pufendorf, Otto Klepper (1888–1957). Deutscher Patriot und Weltbürger, München 1997, Seite 249, Anmerkung 69. Erhard monierte gegenüber Erich Welter, ebenfalls Mitglied des Vereins und federführend mit der Aufgabe betraut, die notwendigen Vorbereitungen für die Gründung der Zeitung zu treffen, dass es dringend „notwendig“ sei, in Frankfurt eine Zeitung ins Leben zu rufen, als Gegengewicht zur „sozialistisch dominierten“ Tagespresse.6Gespräch zwischen Erich Welter und Max H. Schmid, 7. Juni 1961, in: Nachlass Erich Welter (73), Bundesarchiv Koblenz. In seinen Funktionen als Vorsitzender der Sonderstelle Geld und Kredit und ab März 1948 als Direktor der Verwaltung für Wirtschaft in Frankfurt war er der ranghöchste politische Würdenträger in den Reihen der WipoG und zugleich die Galionsfigur der Befürworter der Marktwirtschaft. In den Augen der Gründer der FAZ galt es, seine Politik mit einer eigenen Öffentlichkeitsplattform zu unterstützen. Schließlich war es Erhard, der anregte, dass die Finanzierung der Zeitung mit Geldern von WipoG-Mitgliedern aus dem Mittelstand erfolgen könne.7Siehe ebenda.

Er hatte dabei vor allem die Unabhängigkeit der Zeitung von einem Verleger oder einer Partei im Hinterkopf. Als die WipoG im Jahr 1951 als Hauptträger der Zeitung ausschied, erwies sich diese Intention als überlebenswichtig für die Zeitung, da nur mithilfe der Unterstützung einiger mittelständischer Unternehmer die Insolvenz der FAZ oder alternativ der Verkauf abgewendet und ihre Unabhängigkeit bewahrt werden konnte.8Zur Bedeutung der Unabhängigkeit der Zeitung siehe Philipp Plickert, Anti-Kartell-Gesetz: Als die F.A.Z. der Hauptfeind des BDI war, in: FAZ, 7. November 2015. Ludwig Erhard kam bei der Gründung der Zeitung eine nicht unerhebliche Bedeutung zu, ohne dass er direkt in die organisatorischen Abläufe involviert war.

Das Wirtschaftsressort und die Soziale Marktwirtschaft

Die erste Ausgabe der FAZ erschien am 1. November 1949. Die inhaltliche Leitung hat bis heute kein einzelner Chefredakteur, sondern ein Kollegium von Herausgebern mit verteilten Zuständigkeiten für die unterschiedlichen Ressorts der Zeitung. Bei der Gründung der Zeitung war vor allem der Wirtschaftsteil von Bedeutung. In ihm bündelte sich das zentrale Interesse der Gründer, eine öffentliche Plattform für die Marktwirtschaft zu schaffen. Erich Welter übernahm auch beim Aufbau der Wirtschaftsredaktion einen führenden Part. Er etablierte im Wirtschaftsteil beginnend von der ersten Ausgabe an ein klares Leitbild: „Es ist keine professorale Überheblichkeit, wenn ich meine, dass jemand in der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kaum mitreden kann, wenn er in Bezug auf [Walter] Eucken nicht sattelfest ist“, bekannte Welter gegenüber seinem Redaktionsleiter Jürgen Eick.9Brief von Erich Welter an Jürgen Eick, 30. Oktober 1957, in: Nachlass Erich Welter (55), Bundesarchiv Koblenz. Der Ordoliberalismus wurde zur Richtschnur für die Berichterstattung des Wirtschaftsressorts.

Welter griff bei der Auswahl geeigneter Redakteure für das Ressort auf junge, zumeist in den Wirtschaftswissenschaften promovierte Nachwuchskräfte zurück, die von (ordo-)liberalen Lehrstühlen der noch jungen Bundesrepublik kamen, um so das Leitbild auch nachhaltig zu etablieren;10Vgl. Maximilian Kutzner, Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und die Medialisierung der Wirtschaftspolitik in den 1950er Jahren, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4 (2014), Seiten 488–499. bis heute sind diese Wurzeln in der Berichterstattung des Ressorts sichtbar. Ludwig Erhard hatte im Wirtschaftsressort der FAZ schnell einen profilierten, wenngleich noch in geringer Auflage erscheinenden Fürsprecher. In der Durchbruchskrise der Sozialen Marktwirtschaft und der starken Kritik an Erhard in den Jahren 1949/50 setzte sich die FAZ entschieden für die Fortführung der Erhard‘schen Wirtschaftspolitik ein. „Zur Marktwirtschaft muss der Leistungswettbewerb treten, wenn sie sozial sein soll“, proklamierte Jürgen Eick in der ersten Ausgabe der FAZ.11Jürgen Eick, Am Grabe der freien Wirtschaft?, in: FAZ, 1. November 1949. In der Folge galt es für die Journalisten, den in die Kritik geratenen Wirtschaftsminister und seine Politik zu verteidigen.

„Wir sprechen hier nicht von der Person Erhard. Es geht hier nicht um persönliche Sympathie […] Entscheidend ist hier die wirtschaftspolitische Linie, die Professor Erhard verkörpert und für deren fruchtbare Anwendung er so viel geleistet hat wie nur wenige andere Menschen vor und neben ihm“, schrieb Erich Welter 1950.12Erich Welter, Soll Erhard bleiben?, in: FAZ, 2. Dezember 1950.

Ministerium und Öffentlichkeit

Erhard selbst ging Ende 1950 auf die Medien zu und begann damit, eine gezielte Pressepolitik zu betreiben, indem er Journalisten enger in die Informationsstrukturen seines Ministeriums einband, die Öffentlichkeitsarbeit zunehmend professionalisierte und selbst zentral koordinierte.13Vgl. Bernhard Löffler, Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard, Stuttgart 2003, Seiten 263 ff. Und der Minister griff auch selbst zur Feder. „Wirtschaftspolitscher Ausklang“ war einer von rund einem Dutzend Beiträgen, die Erhard für das Wirtschaftsressort der FAZ auf Anregung Erich Welters schrieb.14Brief von Erich Welter an Ludwig Erhard vom 22. November 1951, in: Nachlass Erich Welter (157), Bundesarchiv Koblenz; Ludwig Erhard, Wirtschaftspolitischer Ausklang, in: FAZ, 31. Dezember 1951.

Schrittweise intensivierte sich die Zusammenarbeit zwischen Zeitung und Ministerium ab 1951/52, als Kuno Ockhardt Leiter des neu eingerichteten Informationsreferats des Ministeriums wurde. Ockhardt fragte im Dezember 1951 bei Welter an, ob dieser nicht eine „Chefredakteurskonferenz“ aufbauen könne, bei der sich hochrangige Journalisten in regelmäßigen Abständen mit dem Ministerium austauschen könnten.15Siehe Erich Welter an Kuno Ockhardt, 8. Januar 1952, in: Nachlass Erich Welter (154), Bundesarchiv Koblenz. Dies bedeutete den ersten Schritt beim Aufbau informeller Gesprächskreise zwischen hochrangigen Mitarbeitern des Bundeswirtschaftsministeriums und der FAZ. Im Gegenzug fragte Welter im Ministerium nach geeigneten Gastautoren für das Ressort nach, die zu geeigneten Themen den Lesern die Politik des Ministers nahe bringen sollten.16Anton Riedl, Liberale Publizistik für Soziale Marktwirtschaft. Die Unterstützung der Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung 1948/49 bis 1957, Regensburg 1992, Seite 230, Anmerkungen 126/127.

Im Klima des prosperierenden Wirtschaftswachstums ab Mitte der 1950er Jahre ging es für das Wirtschaftsressort der FAZ nicht länger nur darum, die Vorzüge der Marktwirtschaft aufzuzeigen, sondern auch um deren inhaltliche und institutionelle Absicherung. So spielte das Blatt bei der Debatte um das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die zwischen 1950 und 1958 bisweilen heftig geführt wurde, eine entscheidende Rolle als Öffentlichkeitsplattform der Befürworter des Gesetzes. Dieses „wirtschaftliche Grundgesetz“ war für Ludwig Erhard wie für die Redakteure des Wirtschaftsressorts unmittelbar mit dem Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft verbunden.17Zum Begriff „wirtschaftliches Grundgesetz“ siehe Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957, Seite 9. Es machte den Kern der Erhard’schen Wirtschaftspolitik Mitte der 1950er Jahre aus, und im ordoliberalen Denken kommt insbesondere der Wettbewerbsordnung eine fundamentale Bedeutung zu. „Meiner Ansicht nach müssen wir wissen: Wir sind für oder gegen das Kartellgesetz“, schrieb Erich Welter 1952 an seinen Kollegen Jürgen Eick zum Stellenwert des Vorhabens.18Erich Welter an Jürgen Eick, 12. Juni 1952, in: Nachlass Erich Welter (409), Bundesarchiv Koblenz.

Zum stärksten Gegner des GWB wurde der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der sich entschieden dafür einsetzte, Kartelle in der Industrie nicht zu verbieten, da vor allem BDI-Präsident Fritz Berg dadurch massive Umsatzeinbußen für die Unternehmen seines Verbandes befürchtete. Wie wichtig die Öffentlichkeit für Gegner und Befürworter in der Debatte war, verdeutlichen die publizistischen Anstrengungen die einerseits von Erhard und der FAZ und andererseits dem BDI mit der eigens vom Verband gegründeten Zeitschrift „Kartelldebatte“ ab 1954 unternommen wurden.19Die Kartelldebatte. Tatsachen, Gedanken und Kommentare, 1 (1954), 25. Juli 1954. Auf den Seiten des Wirtschaftsressorts wurden das Gesetz und der nun heiß aufkochende Streit um seine Regelungen ab Mitte 1954 zum Dauerthema. Ludwig Erhard distanzierte sich in einem ganzseitigen Aufsatz in der FAZ von dem Vorwurf des BDI, zu dogmatisch seine Wettbewerbspolitik ohne Rücksicht auf die Industrie zu verfolgen.20Ludwig Erhard, Das Kartellgesetz – ein Dogma?, in: FAZ, 24. Juli 1954, Seite 5. Ab 1955 verlagerte sich der Streitpunkt dahingehend, dass die Seite der Befürworter dafür eintrat, Kartelle generell zu verbieten, während der BDI sich dafür starkmachte, nur den Missbrauch unter Strafe zu stellen. 1958 trat das Gesetz mit einem grundsätzlichen Verbot von Kartellen schließlich in Kraft, ließ jedoch vielfältige Ausnahmen zu.

Das Ressort und Erhards Kanzlerschaft

Als Karl Hohmann, langjähriger Vertrauter Erhards, im Jahr 1956 von Kuno Ockhardt die Leitung des Pressereferats übernahm, startete für die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums eine „qualitativ neue Phase“.21Bernhard Löffler, a. a. O., Seiten 264 und 266. Hohmann verband das Pressereferat noch stärker mit dem Ministerbüro. Zudem arbeitete er eng mit Dankmar Seibt, Erhards persönlichem Referenten und Wolfram Langer, Leiter der Grundsatzabteilung und zwischen 1947 und 1958 Redakteur beim Handelsblatt, zusammen. Beide pflegten den Kontakt zu Medienvertretern, auch zu Welter.22

Hohmann machte sich sogleich daran, einen Unterstützerzirkel aus Journalisten, Verlegern und Unternehmern ins Leben zu rufen, die gezielt mit Informationen aus dem Ministerium versorgt werden sollten. Der kleine Kreis, der in der Regel 15 bis 25 Mitglieder aus dem Tross von etwa 70 akkreditierten Wirtschaftsjournalisten in Bonn umfasste, traf sich regelmäßig im Ministerium. Aus der Wirtschaftsredaktion er FAZ waren Hans Herbert Götz und Ferdinand Himpele ständige Mitglieder des Kreises. Ein zweiter Zirkel wurde 1958 gegründet und war von eher diskursivem Charakter. Vonseiten der FAZ nahmen Fritz Ullrich Fack und Hans Herbert Götz an den Treffen des „Neuhauser Kreises“ in Neuhaus am Schliersee teil.23 Im publizistischen Netzwerk im Umfeld des Ministeriums wurden die Redakteure der FAZ und ihre Kollegen anderer Zeitungen mit Informationen versorgt. Nach dem Empfinden der Teilnehmer ging es für Ludwig Erhard vor allem darum auszutesten, wie das Medienecho nach gewissen Entscheidungen ausfallen würde. „Er sah den Kreis als Übungsplatz und Sandkasten“, so der ehemalige FAZ Herausgeber Fritz Ullrich Fack in der Rückschau.24 Erhard, dem in der Redaktion „unser Herz und unser Verstand gehörte“ war zum Ende der 1950er Jahre auf den Seiten des Ressorts allgegenwärtig.25 Er wurde von diesem offensiv als Nachfolger Konrad Adenauers ins Gespräch gebracht, nachdem Adenauer seinen Rücktritt angekündigt hatte. Das Ressort bezog in den Auseinandersetzungen zwischen Wirtschaftsminister und Kanzler immer wieder für Erhard Stellung, wie etwa im Streit um konjunkturzügelnde Maßnahmen, die der Wirtschaftsminister bereits Mitte der 1950er Jahre forderte und die Adenauer entschieden ablehnte.

Das Wirtschaftsressort der FAZ begrüßte Erhards Wahl zum Nachfolger Adenauers am 16. Oktober 1963. Die Zeitung druckte die Regierungserklärung Erhards im Wortlaut ab.26 Nun galt es, dessen Politik auch als Kanzler zu unterstützen. So griff Fritz Ullrich Fack das sozialpolitische Leitbild der „Formierten Gesellschaft“ auf und verwies darauf, dass dies keinesfalls nur auf den nahenden Wahlkampf 1965 abziele. „Aber wer Ludwig Erhard kennt und weiß, wie sehr ihn der Gedanke gepackt hat, ein Ziel zu setzen, das Volk zu einen und eine neue, bessere Gesellschaftsordnung verwirklichen zu helfen, der ist gewiss, dass hier ein zukunftsträchtiges Projekt geboren worden ist – nicht nur ein Wahlschlager.“27 Angesichts der Kritik am Konzept der „Formierten Gesellschaft“ von vielen Seiten war es für Erhard wichtig, wenigstens die FAZ hinter sich zu wissen.28

Der Streit um die Haushaltspolitik des Bundes und das Haushaltsloch für das Jahr 1967 führten im Oktober 1966 zum Bruch der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. Auch in dieser Phase der argen Bedrängung Erhards versuchte das Ressort, ihn zu unterstützen. Die Gründe für das Haushaltsdefizit wurden vor allem in der Ära Adenauer und dort hauptsächlich bei den ausufernden Sozialausgaben gesehen.29 Erhard nutzte dies wenig. Er trat am 1. Dezember 1966 zurück. Zur Regierungsumbildung und dem Abschied Erhards schrieb das Ressort kein Wort. Drei Tage nach seinem Rücktritt sprach Jürgen Eick von der „Lust am Untergang“, die die Erhard-Kritiker verspürten.30 „Erhard ist als Bundeskanzler zurückgetreten. Aber ist die Marktwirtschaft zurückgetreten?“, fragte er die Leser provokant.

Nach der Kanzlerschaft

Auch nach seinem Rücktritt genoss Erhard höchstes Ansehen im Wirtschaftsteil der FAZ. Davon zeugen eine Vielzahl von Beiträgen über ihn als Minister und Kanzler. Noch immer ist er ein wiederkehrender Kristallisationspunkt der Berichterstattung, da insbesondere die Erhard’sche Wirtschaftspolitik auch ein integraler Bestandteil der eigenen Geschichte des Blattes ist. Zugleich ist die Beziehung zwischen der Zeitung und dem Politiker Erhard ein Exempel in der bundesdeutschen Geschichte, das die Bedeutung medialer Repräsentation für die Umsetzung einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik hervorhebt.

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Fussnoten

  • 1
    Brief von Ludwig Erhard an Erich Welter, 17. November 1953, in: Nachlass Erich Welter (213), Bundesarchiv Koblenz.
  • 2
    Erhard über Tendenz der sinkenden Preise, in: Passauer Neue Presse, 9. Juli 1948; Parteiloser Fachmann, in: Der Spiegel, 6. März 1948; Ehrenmitglied Erhard, in: Der Spiegel, 21. August 1948.
  • 3
    Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen in Folge der Währungs- und Wirtschaftsreform 1948 und steigender Preise lehnten mehr als zwei Drittel der Deutschen im Jahr 1949 die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung ab, vgl. Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Stuttgart 2006, Seite 80.
  • 4
    Programm der Eröffnungstagung der WipoG 1947, in: Nachlass Erich Welter (94), Bundesarchiv Koblenz.
  • 5
    Astrid von Pufendorf, Otto Klepper (1888–1957). Deutscher Patriot und Weltbürger, München 1997, Seite 249, Anmerkung 69.
  • 6
    Gespräch zwischen Erich Welter und Max H. Schmid, 7. Juni 1961, in: Nachlass Erich Welter (73), Bundesarchiv Koblenz.
  • 7
    Siehe ebenda.
  • 8
    Zur Bedeutung der Unabhängigkeit der Zeitung siehe Philipp Plickert, Anti-Kartell-Gesetz: Als die F.A.Z. der Hauptfeind des BDI war, in: FAZ, 7. November 2015.
  • 9
    Brief von Erich Welter an Jürgen Eick, 30. Oktober 1957, in: Nachlass Erich Welter (55), Bundesarchiv Koblenz.
  • 10
    Vgl. Maximilian Kutzner, Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und die Medialisierung der Wirtschaftspolitik in den 1950er Jahren, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4 (2014), Seiten 488–499.
  • 11
    Jürgen Eick, Am Grabe der freien Wirtschaft?, in: FAZ, 1. November 1949.
  • 12
    Erich Welter, Soll Erhard bleiben?, in: FAZ, 2. Dezember 1950.
  • 13
    Vgl. Bernhard Löffler, Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard, Stuttgart 2003, Seiten 263 ff.
  • 14
    Brief von Erich Welter an Ludwig Erhard vom 22. November 1951, in: Nachlass Erich Welter (157), Bundesarchiv Koblenz; Ludwig Erhard, Wirtschaftspolitischer Ausklang, in: FAZ, 31. Dezember 1951.
  • 15
    Siehe Erich Welter an Kuno Ockhardt, 8. Januar 1952, in: Nachlass Erich Welter (154), Bundesarchiv Koblenz.
  • 16
    Anton Riedl, Liberale Publizistik für Soziale Marktwirtschaft. Die Unterstützung der Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung 1948/49 bis 1957, Regensburg 1992, Seite 230, Anmerkungen 126/127.
  • 17
    Zum Begriff „wirtschaftliches Grundgesetz“ siehe Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957, Seite 9.
  • 18
    Erich Welter an Jürgen Eick, 12. Juni 1952, in: Nachlass Erich Welter (409), Bundesarchiv Koblenz.
  • 19
    Die Kartelldebatte. Tatsachen, Gedanken und Kommentare, 1 (1954), 25. Juli 1954.
  • 20
    Ludwig Erhard, Das Kartellgesetz – ein Dogma?, in: FAZ, 24. Juli 1954, Seite 5.
  • 21
    Bernhard Löffler, a. a. O., Seiten 264 und 266.
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Fussnoten

  • 1
    Brief von Ludwig Erhard an Erich Welter, 17. November 1953, in: Nachlass Erich Welter (213), Bundesarchiv Koblenz.
  • 2
    Erhard über Tendenz der sinkenden Preise, in: Passauer Neue Presse, 9. Juli 1948; Parteiloser Fachmann, in: Der Spiegel, 6. März 1948; Ehrenmitglied Erhard, in: Der Spiegel, 21. August 1948.
  • 3
    Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen in Folge der Währungs- und Wirtschaftsreform 1948 und steigender Preise lehnten mehr als zwei Drittel der Deutschen im Jahr 1949 die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung ab, vgl. Michael von Prollius, Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach 1945, Stuttgart 2006, Seite 80.
  • 4
    Programm der Eröffnungstagung der WipoG 1947, in: Nachlass Erich Welter (94), Bundesarchiv Koblenz.
  • 5
    Astrid von Pufendorf, Otto Klepper (1888–1957). Deutscher Patriot und Weltbürger, München 1997, Seite 249, Anmerkung 69.
  • 6
    Gespräch zwischen Erich Welter und Max H. Schmid, 7. Juni 1961, in: Nachlass Erich Welter (73), Bundesarchiv Koblenz.
  • 7
    Siehe ebenda.
  • 8
    Zur Bedeutung der Unabhängigkeit der Zeitung siehe Philipp Plickert, Anti-Kartell-Gesetz: Als die F.A.Z. der Hauptfeind des BDI war, in: FAZ, 7. November 2015.
  • 9
    Brief von Erich Welter an Jürgen Eick, 30. Oktober 1957, in: Nachlass Erich Welter (55), Bundesarchiv Koblenz.
  • 10
    Vgl. Maximilian Kutzner, Das Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und die Medialisierung der Wirtschaftspolitik in den 1950er Jahren, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4 (2014), Seiten 488–499.
  • 11
    Jürgen Eick, Am Grabe der freien Wirtschaft?, in: FAZ, 1. November 1949.
  • 12
    Erich Welter, Soll Erhard bleiben?, in: FAZ, 2. Dezember 1950.
  • 13
    Vgl. Bernhard Löffler, Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard, Stuttgart 2003, Seiten 263 ff.
  • 14
    Brief von Erich Welter an Ludwig Erhard vom 22. November 1951, in: Nachlass Erich Welter (157), Bundesarchiv Koblenz; Ludwig Erhard, Wirtschaftspolitischer Ausklang, in: FAZ, 31. Dezember 1951.
  • 15
    Siehe Erich Welter an Kuno Ockhardt, 8. Januar 1952, in: Nachlass Erich Welter (154), Bundesarchiv Koblenz.
  • 16
    Anton Riedl, Liberale Publizistik für Soziale Marktwirtschaft. Die Unterstützung der Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung 1948/49 bis 1957, Regensburg 1992, Seite 230, Anmerkungen 126/127.
  • 17
    Zum Begriff „wirtschaftliches Grundgesetz“ siehe Ludwig Erhard, Wohlstand für alle, Düsseldorf 1957, Seite 9.
  • 18
    Erich Welter an Jürgen Eick, 12. Juni 1952, in: Nachlass Erich Welter (409), Bundesarchiv Koblenz.
  • 19
    Die Kartelldebatte. Tatsachen, Gedanken und Kommentare, 1 (1954), 25. Juli 1954.
  • 20
    Ludwig Erhard, Das Kartellgesetz – ein Dogma?, in: FAZ, 24. Juli 1954, Seite 5.
  • 21
    Bernhard Löffler, a. a. O., Seiten 264 und 266.