Oswald Metzger
Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung

Oswald Metzger, stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, nimmt Stellung zu Fragen nach der Zukunft Europas. Das nachfolgende Interview wurde ursprünglich im Weser-Kurier vom 16. Oktober 2016 veröffentlicht. Die Fragen stellte Eike Wienbarg.

Herr Metzger, die Briten wollen aus der EU, es gibt Streit unter den Mitgliedern über die Verteilung von Flüchtlingen, viele Bürger gehen auf Distanz und EU-kritische Parteien schwimmen auf einer Erfolgswelle. Ist der Traum von einem vereinten Europa vorbei?

Das hoffe ich nicht, aber Europa hat die erste richtig grundlegende Sinnkrise zu bewältigen. Zwar ist der europäische Weg seit dem Zweiten Weltkrieg immer ein Weg gewesen, bei dem es Krisen gab. Aber bei diesen Krisen war für alle Akteure klar: es geht weiter mit der EU und Europa wird größer, eine „ever-closer-union“. Ich denke, es wird jetzt eine mehrjährige Phase des konsolidierten Nachdenkens geben. Eine rasche Aufbruchstimmung kann ich mir derzeit nicht vorstellen, auch nicht, wenn ich mir die handelnden Personen angucke.

Ihr ehemaliger Parteikollege Joschka Fischer hat mal von den „Vereinigten Staaten von Europa“ gesprochen. Ist diese Vision überhaupt noch realistisch?

Für mich war sie noch nie realistisch. Ich glaube, es ist ein Traum, den früher mal viele hatten. Walter Hallstein, einer der Ur-Väter der Europäischen Union, hat den Satz geprägt: Die europäische Identität besteht in der Aufhebung der Nationalstaaten. Wenn das die Europapolitiker damals propagiert hätten, wäre keine Mehrheit dafür da gewesen. Nationalstaaten haben ein viel größeres Beharrungsvermögen als man glaubt. Mir selber schwebt eine Konföderation souveräner Mitgliedstaaten vor, die in bestimmten Bereichen wesentlich mehr auf die europäische Ebene delegieren als heute. Zum Beispiel in der Außen- und Sicherheitspolitik. Gerade wenn man sich anschaut, was in Afrika, dem Mittleren und Nahen Osten passiert. Wenn die 54 afrikanischen Staaten nicht eine eigene wirtschaftliche Entwicklung schaffen, dann werden die Menschen bei uns vor der Tür stehen und jeden Zaun, den man aufbaut, überwinden.

Gibt es überhaupt noch Stärken der EU?

Die Stärke ist ganz eindeutig der Binnenmarkt. Rund 500 Millionen Verbraucher in überwiegend hochentwickelten Ländern mit großer Kaufkraft und ein Markt, in dem Güter, Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen frei verkehren können, das ist ein Pfund, mit dem Europa wuchern kann. An das haben sich viele unserer Bürger gewöhnt. Auch Europaskeptiker fahren gerne durch Europa, ohne dass sie Grenzkontrollen haben. Was mich ein bisschen befremdet ist, dass meine Generation nicht so europäisch ist, wie die ganz jungen, die die Fragen von Krieg und Frieden, wenn überhaupt, nur von ihren Großeltern kennen.

Stichwort Binnenmarkt: Mit dem Brexit wird es zu Veränderungen kommen. Wie wird sich das auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU und Deutschlands auswirken?

Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft leidet noch an ganz anderen Ursachen als am Brexit. Zunächst sollte man die Verhandlungen abwarten. Da kämpfen Falken und Tauben miteinander. Die Falken sagen: keinen Rabatt für die Briten, wenn sie raus wollen, dann richtig und dafür sollen sie auch zahlen. Andere sagen, in unserem Interesse wäre es wichtig, dass der angelsächsische Markt angebunden bleibt. Man wird eine Regelung finden, die hoffentlich nicht nur „durchwurschteln“ heißt, nicht nur der Weg des kleinsten gemeinsamen Nenners. Ich würde einen Weg wählen, der die Tür nicht zuschlägt. Es gab mal ein Wort von Herbert Wehner: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.

Denken Sie, dass andere Staaten oder Regionen dem Vorbild der Briten folgen könnten?

Regionalisierungsbestrebungen sind in Europa virulent vorhanden – unabhängig vom Brexit. Die Schotten und die Katalanen werden sich angucken, was daraus wird. Es kann durchaus sein, dass das die Autarkiebestrebungen stärkt. Sie werden schauen, welche ökonomischen Konsequenzen es für Großbritannien hat. Manchmal merkt man ja erst wenn man was verloren hat, was man an ihm hatte. Und man kann sich an der EU schon reiben. Sie ist ein Synonym für Bürokratie und Zentralstaat geworden. Die EU ist eine schwierige Veranstaltung, aber ohne Europa hat kein Nationalstaat, keine Region Chancen in einer globalen Welt. Auch Deutschland wird am deutschen Wesen im globalen Wettbewerb nicht genesen.

Viele Probleme der EU hängen damit zusammen, dass sie den Bürgern nicht richtig vermittelt wird. Wie könnte sie reformiert werden?

Die europäische Gesetzgebung sollte künftig das Subsidiaritätsgebot viel stärker beachten. Was vor Ort, regional und national geregelt werden kann, das soll vor Ort, regional und national geregelt werden und nur ausnahmsweise auf europäischer Ebene. Man muss nicht alles vereinheitlichen. Vielleicht sollte sich Europa in einem Punkt besser im globalen Wettbewerb positionieren: Gegen Internetgiganten, zum Beispiel bei deren Steuerpraxis oder Datensammelwut. Dass man dort klar macht, dass Regeln in diesem großen Binnenmarkt gelten, der so relevant ist, dass die Konzerne schlussendlich klein beigeben müssen. Staatsmänner sollten der Bevölkerung vermitteln: Leute, Freihandel ist etwas, was unter dem Strich zur Mehrung des Wohlstandes auf diesem Globus beigetragen hat. Und deshalb bin ich auch froh, dass das Bundesverfassungsgericht Ceta nicht vorläufig gestoppt hat. Das ist ein gutes Signal. Wenn man jetzt in die Region schaut: Auch Bremerhaven hat einen Hafen, viel läuft über die Seehäfen. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn man jetzt plötzlich wieder sagen würde: Wir schotten uns ab.

Wie würde die ideale EU aussehen?

Ich würde mir wünschen, dass wir wirklich eine europäische Sicherheits- und Außenpolitik hätten. Das heißt bis hin zu einer gemeinsamen Armee, einem Oberbefehl und gemeinsamen Beschaffungsvorhaben. Das ist politisch wichtig, um die Außengrenzen wirksam zu schützen, aber auch ein Gebot des wirtschaftlichen Ressourceneinsatzes. Sonst ist die Freizügigkeit in der EU nicht zu halten. Ich würde mir wünschen, dass es ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gibt. Dass bestimmte Mitgliedsländer in bestimmten Bereichen vorangehen. Andere könnten langsamer marschieren, aber wären trotzdem im Binnenmarkt. Europa hat immer von der Vielfalt gelebt – auch kulturell und sozial. Ich würde mir wünschen, dass man das akzeptiert und Europapolitiker nicht immer das verlogene Lied von der ever-closer-union singen.

Die ursprüngliche Veröffentlichung des Interviews im Weser-Kurier finden Sie hier.

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