Das Bundeskartellamt feiert dieses Jahr sein 60-jähriges Jubiläum. Im Januar 1958 trat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft und das Bundeskartellamt nahm seine Arbeit auf. Seitdem arbeitet die Behörde an dem ehrgeizigen Ziel, funktionierenden Wettbewerb in allen Wirtschaftsbereichen sicherzustellen. Dabei musste sie stets mit den Entwicklungen in der Wirtschaft Schritt halten. Heute ist die zunehmende Digitalisierung die größte Herausforderung.

Die Digitalisierung revolutioniert die Märkte. Neue Geschäftsmodelle haben sich entwickelt, wie Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Vergleichsportale. Viele etablierte Geschäftsmodelle haben radikale Veränderungen erfahren. Damit ist die Digitalisierung zu einem Querschnittsthema über nahezu alle Wirtschaftsbereiche geworden. Dieser Wandel betrifft nicht nur Unternehmen und Verbraucher, sondern auch uns als Wettbewerbsbehörde.

Digitale Märkte sind häufig sehr dynamisch und durch ein hohes Maß an Innovationen gekennzeichnet. Oft weisen sie gleichzeitig aber einen hohen Konzentrationsgrad auf. Viele digitale Märkte sind von wenigen großen Anbietern geprägt. Dies ist häufig das Ergebnis direkter und indirekter Netzwerkeffekte sowie ausgeprägter Größenvorteile. In diesem Zusammenhang können Daten – in großen Mengen häufig auch als „Big Data“ bezeichnet – eine bedeutende Rolle spielen. Hier ist die zentrale Aufgabe der Wettbewerbsbehörden, die Märkte offen zu halten und dafür zu sorgen, dass innovative Newcomer und kleinere Wettbewerber eine Chance haben, sich durchzusetzen.

Aktueller Fall Facebook

Für die Wettbewerbsbehörden stellt sich in ihrer Fallpraxis die Frage, inwieweit sie in die dynamischen digitalen Märkte eingreifen sollen. Das Bundeskartellamt hat erfolgreich Verfahren gegen Amazon, Apple, Hotelbuchungsportale und andere Internetunternehmen geführt. Zurzeit führen wir ein Missbrauchsverfahren gegen Facebook. Nach unserer vorläufigen Einschätzung vom Dezember 2017 gehen wir davon aus, dass Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke marktbeherrschend ist und diese Stellung durch unangemessene Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutzt. Insbesondere macht Facebook die Nutzung seines sozialen Netzwerks davon abhängig, unbegrenzt jegliche Art von Nutzerdaten aus Drittquellen sammeln und mit den Facebook-Konten der Nutzer zusammenführen zu können. Dies gilt für Daten, die von konzerneigenen Diensten wie WhatsApp oder Instagram gesammelt werden, aber auch für Daten, die bei der Nutzung von Internetseiten und Apps anderer Betreiber anfallen, und auf die Facebook über Schnittstellen zugreifen kann.

Angesichts der starken Marktposition des Unternehmens haben die Nutzer keine angemessene Alternative. Und angesichts der marktbeherrschenden Position des Unternehmens kann auch nicht von einer wirksamen Einwilligung der Nutzer zu dieser Form der Datensammlung und Weiterverarbeitung ausgegangen werden. Nach unserer vorläufigen Einschätzung verstoßen das Ausmaß und die Ausgestaltung der Datensammlung gegen zwingende europäische Datenschutzwertungen. Facebook hat nun die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und Rechtfertigungsgründe oder Lösungsvorschläge vorzutragen.

Das Verfahren betrifft nicht die Sammlung und Nutzung von Daten, die im sozialen Netzwerk Facebook selbst anfallen. Wir lassen allerdings offen, ob auch hier Datenschutzverstöße und ein Missbrauch von Marktbeherrschung vorliegen oder nicht.

Wettbewerbsschutz für digitale Märkte

Die bisherige Fallpraxis zeigt, dass das Wettbewerbsrecht grundsätzlich flexibel genug ist, um mit den neuen Fragestellungen digitaler Märkte umzugehen. Dennoch denken wir darüber nach, wie wir unsere Instrumente verfeinern und schärfen können. Dabei hat sich schon früh gezeigt, dass der bestehende kartellrechtliche Rahmen in einigen Aspekten an die Internetökonomie anzupassen ist. Das Bundeskartellamt hat hierzu konkrete Vorschläge vorgelegt, die Eingang gefunden haben in die im Juni 2017 in Kraft getretene 9. Novelle des GWB.

Mit der Novelle wurde klargestellt, dass auch Austauschbeziehungen, bei denen keine Gegenleistung in Form von Geld fließt, einen Markt im Sinne des Wettbewerbsrechts darstellen können. Ferner wurden Kriterien, die bei der Bewertung der Marktmacht von Plattformen und Netzwerken eine besonders wichtige Rolle spielen (beispielsweise Netzwerkeffekte und Zugang zu Daten) als zusätzliche Faktoren von Marktmacht in das Gesetz aufgenommen. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber ein zusätzliches Aufgreifkriterium für die Fusionskontrolle eingeführt, das auf den Wert der Transaktion abstellt. Die bestehenden Aufgreifschwellen konnten nicht alle relevanten Fusionen und Akquisitionen in der digitalen Wirtschaft und anderen innovativen Wirtschaftsbereichen erfassen.

Der Fusionsfall Facebook – WhatsApp ist ein Beispiel für neuartige Übernahmen, bei denen hohe Preise für Unternehmen gezahlt werden, die bisher kaum Umsätze generiert haben, aber einen großen potenziellen Wert besitzen. Aus diesem Grund wurde eine neue Transaktionswertschwelle in Höhe von 400 Millionen Euro eingeführt. Zusammen mit der österreichischen Wettbewerbsbehörde, die eine ähnliche Aufgreifschwelle eingeführt hat, werden wir in diesem Jahr einen Leitfaden zur Anwendung der neuen Regelung veröffentlichen. Kernpunkte sind die Definition des Transaktionswerts und der notwendige Inlandsbezug („local nexus“).

Offene Fragen, neue Themen

Diese Gesetzesänderungen helfen uns dabei, unsere Verfahren noch effizienter zu führen. Aber wir denken noch weiter: Wie können wir unsere Ermittlungsmethoden weiter optimieren? Wie können wir dynamische Effekte besser in unsere Analysen, Prognosen und Instrumente integrieren? Auch muss darüber nachgedacht werden, ob unsere Missbrauchstatbestände ausreichen, wenn es um das Verhältnis zwischen großen digitalen Unternehmen und kleineren Wettbewerbern, Geschäftspartnern und Verbrauchern geht: Wie gehen wir mit Situationen um, in denen Unternehmen von einer oder mehreren Plattformen abhängig sind? Sollte die Missbrauchsaufsicht bereits in Fällen gelten, in denen Plattformen (noch) nicht marktbeherrschend sind? Müssen die gesetzlichen Regelungen zum Verbot missbräuchlichen Verhaltens von Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht aktualisiert werden? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat kürzlich eine Studie in Auftrag gegeben, um diese und andere Fragen zu evaluieren.

Ein weiteres, aktuell viel diskutiertes Thema ist die Nutzung von Algorithmen. In unseren noch andauernden Ermittlungen zu den Preiserhöhungen für Lufthansa-Flüge nach der Insolvenz von Air Berlin wurden wir zunächst mit dem Argument konfrontiert, dass der Preisbildungsalgorithmus der Lufthansa für die Steigerungen verantwortlich sei. Die Antwort darauf scheint einfach: Unternehmen dürfen sich nicht hinter den von ihnen genutzten Algorithmen verstecken. Das hat zwischenzeitlich auch Lufthansa anerkannt. Doch zeigen dieser und andere Fälle, dass sich die Wettbewerbsbehörden zunehmend mit Algorithmen auseinandersetzen müssen. Insbesondere das Preismonitoring und die Preissetzung werden immer mehr durch die Nutzung von Software unterstützt. Dies wirft viele neue Fragen auf, zum Beispiel: In welchen Situationen können Algorithmen (stillschweigende) Kollusion erleichtern? Was ist mit künstlicher Intelligenz und Kollusion durch selbstlernende Algorithmen? Hier müssen wir verstärkt Grundsatzarbeit zu den Implikationen von Algorithmen leisten.

Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher

Mit der 9. GWB-Novelle hat das Bundeskartellamt auch neue Befugnisse im Bereich Verbraucherschutz erhalten. Bei begründetem Verdacht auf gravierende Verstöße gegen das Verbraucherrecht können wir nun Sektoruntersuchungen durchführen. Damit soll das etablierte System des zivilrechtlich organisierten Verbraucherschutzes in Deutschland unterstützt werden. Ein Fokus bei dieser neuen Aufgabe liegt auf der digitalen Wirtschaft. Das Bundeskartellamt hat dafür eine neue Abteilung für Verbraucherschutz eingerichtet. Zwei Sektoruntersuchungen sind bereits angelaufen. In der ersten Untersuchung sehen wir uns Preisvergleichsportale im Internet an. Wir untersuchen, wie Rankings zustande kommen und ob Verbraucher sich darauf verlassen können, dass diese objektiv und transparent sind. Die zweite Sektoruntersuchung betrifft den Umgang mit Nutzerdaten, die bei der Nutzung sogenannter „Smart-TVs“ entstehen. Wir untersuchen vor allem, welche Daten von den Anbietern solcher Geräte gesammelt und kommerziell verwertet werden, und ob die Verbraucher hierüber ausreichend informiert werden.

Auch 60 Jahre nach seiner Gründung ist das Bundeskartellamt nach wie vor schlagkräftig und innovativ. Gerade auch im Hinblick auf die digitale Wirtschaft arbeiten wir ständig daran, unsere Arbeit noch effizienter zu gestalten. Um den Verbraucherschutz weiter zu stärken, wäre es sinnvoll, uns auch in diesem Bereich mit Durchsetzungsbefugnissen auszustatten. Auf jeden Fall werden wir zum Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher alles daransetzen, mit der digitalen Wirtschaft Schritt zu halten. Eines steht also fest: Unsere Arbeit bleibt weiterhin spannend und notwendig.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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