Die „Nationale Industriestrategie 2030“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist kontraproduktiv. Fusionierte Großunternehmen sind weniger innovativ, weil der Wettbewerbsdruck nachlässt. „Wettbewerb ist und bleibt eine starke Triebfeder für Innovationen“, so Justus Haucap, Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Wie können wir unser hohes Maß an privatem und öffentlichem Wohlstand dauerhaft erhalten und ausbauen – unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung, enorm beschleunigter Innovationsprozesse und expansiv beziehungsweise protektionistisch betriebener Wirtschaftspolitik anderer Länder?“ So fragt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und versucht mit seinem Papier „Nationale Industriestrategie 2030“ eine Antwort zu geben. Dass der Minister diese Diskussion erneut angestoßen hat, begrüßen viele Ökonomen. Die konkreten Vorschläge sind jedoch sehr kontrovers aufgenommen worden.

Auf besonders heftigen Widerspruch unter Wettbewerbsökonomen ist die anvisierte Lockerung der Fusionskontrolle gestoßen. „Größe zählt – Size matters“ heißt es wörtlich im Papier des Bundeswirtschaftsministers. In einem offenen Brief haben sich mehr als vierzig prominente Wettbewerbsökonomen aus ganz Europa gegen diese Idee gewendet.

Zu laxe Kartellrechtsdurchsetzung?

Um sich zu vergegenwärtigen, was eine Lockerung der europäischen Fusionskontrolle bedeuten würde, ist es hilfreich, einen Blick auf die Zahl der durch die EU-Kommission untersagten Fusionen zu werfen. Seit 1990 sind in Brüssel von mehr als 7000 angemeldeten Fusionsvorhaben nur 29 untersagt worden, also durchschnittlich eine einzige pro Jahr. Es gibt hier auch keinen steigenden Trend. In den letzten 15 Jahren gab es elf Untersagungen, in den letzten fünf Jahren genau fünf (inklusive Siemens/Alstom).

Wenn überhaupt, so scheint die Fusionskontrolle eher zu großzügig zu sein. In einer Reihe von Arbeiten haben Jan De Loecker (Katholische Universität Leuven), Jan Eeckhout (University College London und Barcelona) und Gabriel Unger (Harvard) belegt, dass insbesondere in den Vereinigten Staaten, aber auch in vielen anderen Staaten sowie in globaler Betrachtung die Unternehmenskonzentration seit den Achtzigerjahren deutlich zugenommen hat und die unternehmerischen Gewinnmargen von durchschnittlich 10 bis 20 Prozent auf heute gut 60 Prozent über den Grenzkosten angestiegen sind (The Rise of Market Power and the Macroeconomic Implications, NBER Working Paper, November 2018).

In Teilen ist dies auf die Globalisierung sowie technologische Entwicklungen wie die Automatisierung zurückzuführen, mit denen eine Senkung der variablen Kosten und ein Anstieg von Fixkosten einhergeht, sodass sich die effiziente Unternehmensgröße verändert und die Margen, also die Differenz zwischen Preisen und variablen Kosten, erhöhen. Zugleich wird jedoch auch – gerade in den Vereinigten Staaten – hinterfragt, ob die Kartellrechtsdurchsetzung womöglich zu lax war. Dementsprechend wird in den Vereinigten Staaten der wettbewerbspolitische Handlungsbedarf diskutiert, und Präsident Donald Trump hat die dortigen Wettbewerbsbehörden aufgefordert, Vorschläge für einen effektiveren Wettbewerbsschutz zu erarbeiten. Auch die OECD hat im Juni 2018 einen mehrtägigen Workshop zum Thema der zunehmenden Marktkonzentration und steigenden Marktmacht großer Konzerne veranstaltet.

In Deutschland hat die Monopolkommission in ihrem jüngsten Hauptgutachten konzentrationsstatistische Kennzahlen ausgewertet und unternehmensspezifische Preisaufschläge ermittelt. Bei uns weist die Entwicklung der Konzentration demnach zwar im Gegensatz zu Amerika keinen ansteigenden Trend auf, jedoch beobachtet die Monopolkommission auch in Deutschland, dass die durchschnittliche Gewinnmarge heute auf einem höheren Niveau liegt als noch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise in 2007.

Zunehmende Konzentration bedeutet abnehmende Innovationen

Benötigen wir aber nicht auch in Deutschland und Europa mehr große Unternehmen, um innovativ zu sein? Richtig ist, dass europaweit rund zwei Drittel aller Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt von Großunternehmen stammen. Jedoch stehen diese Unternehmen allesamt in einem harten internationalen Wettbewerb. Die fünf deutschen Unternehmen mit den meisten Patentanmeldungen im Jahr 2017 waren Siemens, Bosch, Bayer, BASF und Continental – allesamt Unternehmen, die sich nach wie vor im Wettbewerb auf Weltmärkten behaupten müssen.

Große Unternehmenszusammenschlüsse führen jedoch regelmäßig zu einem Nachlassen der Innovationsaktivitäten. Dies ist nicht nur graue Theorie, sondern inzwischen auch durch zahlreiche sorgfältige Studien empirisch belegt. So hat etwa Florian Szücs (Uni Wien) in einer in der Fachzeitschrift „Research Policy“ im Jahr 2014 publizierten Studie ermittelt, dass bei weit über 100 untersuchten Unternehmenszusammenschlüssen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung nach der Fusion deutlich reduziert wurden. In einer mit meinen Düsseldorfer Kollegen Joel Stiebale und Alexander Rasch erstellten Studie, die in diesen Tagen im „International Journal for Industrial Organization“ erscheint, haben wir durch die detaillierte Analyse von 65 großen Fusionen in der pharmazeutischen Industrie herausgefunden, dass – in Relation zu vergleichbaren Pharmamärkten ohne Fusionen – nicht nur die Innovationen der Zusammenschlussparteien nach Unternehmensfusionen zurückgehen, sondern auch die ihrer Wettbewerber. Das heißt, der Innovationsdruck im Markt nimmt bei zunehmender Konzentration insgesamt ab, auch wenn die Unternehmen größer werden. Wettbewerb ist und bleibt eine starke Triebfeder für Innovationen.

Im Kontext der untersagten Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom wurde oft auf die Konkurrenz durch den chinesischen Staatskonzern CRRC verwiesen. Auch das ZDF berichtete in den „heute“-Nachrichten von einem Marktanteil der Chinesen von 70 Prozent. Übersehen wurde, dass aktuell auch rund zwei Drittel der weltweiten Nachfrage nach Hochgeschwindigkeitszügen ebenfalls aus China kommen und diese von chinesischen Anbietern geliefert werden. In der EU ist der Marktanteil von CRRC hingegen fast null. Dass der chinesische Markt für europäische Anbieter abgeschottet ist, würde durch eine Fusion in Europa nicht verändert. Ein Aufweichen des europäischen Kartellrechts, das Altmaier und seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire vorschwebt, verfehlt das Ziel diesbezüglich vollkommen. Wenn man etwas für das europäische Eisenbahnwesen tun will (und damit auch für den Klimaschutz), wäre es sinnvoll, in die Bahninfrastruktur zu investieren und das europäische Netz von Hochgeschwindigkeitszügen auszubauen. Das Ausschalten des Binnen-Wettbewerbs in Europa wäre kontraproduktiv.

Auffangbecken für gescheiterte Investitionsvorhaben?

Weitere Elemente der „Nationalen Industriestrategie 2030“ sollen – neben der sinnvollen Verbesserung der Angebotsbedingungen durch wettbewerbsfähige Energiepreise und Unternehmensteuern – eine staatliche Beteiligungsfazilität sowie die Subvention der Ansiedlung von „Schlüsseltechnologien“ wie der Batterieproduktion sein. Beide Maßnahmen bergen erhebliche Risiken. Die Ansiedlung von reinen Produktionsstätten ist oft nicht nachhaltig, wenn die Standortbedingungen nicht stimmen. So haben Unternehmen wie Nokia das Ruhrgebiet längst wieder verlassen, nachdem die Subventionen ausliefen. Auch die massive Förderung der deutschen Solarbranche hat nur ein Strohfeuer ausgelöst, die Produktionsfirmen sind fast alle wieder verschwunden. Besser sind die Förderung von Forschung und Entwicklung, die prinzipiell allen Unternehmen zugutekommt, sowie eine verbesserte Infrastruktur.

Eine staatliche Beteiligungsfazilität schließlich birgt das erhebliche Risiko, dass eine solche Institution Begehrlichkeiten weckt und eher zu einem Auffangbecken für gescheiterte Vorhaben von Investoren mit politischen Beziehungen wird, als dass zukunftsweisende Vorhaben in Schlüsseltechnologien gefördert werden. Die nach dem Krieg gegründete Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) etwa erfüllt heute alle möglichen Funktionen, auch wenn der Wiederaufbau längst abgeschlossen ist. Unklar ist zudem, welches Marktversagen konkret mit einer staatlichen Beteiligung an Unternehmen überwunden werden soll.

Prof. Dr. Justus Haucap ist Gründungsdirektor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE), war Vorsitzender der Monopolkommission und ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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