Wie sind die im Koalitionsvertrag formulierten Pläne der Großen Koalition nach den Erhard’schen Prinzipien von Freiheit und Verantwortung zu bewerten? Lesen Sie die Antwort von Oswald Metzger, stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Die richtige Balance zwischen Freiheit und Verantwortung, die Ludwig Erhard, der Vater des Nachkriegswirtschaftswunders, einst postulierte, um persönlichen Erfolg und volkswirtschaftlichen Wohlstand in einer Sozialen Marktwirtschaft miteinander zu verbinden, ist längst einseitig zugunsten des bevormundenden Wohlfahrtsstaates auf der Strecke geblieben. Auch der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, der dritte Vertrag dieser drei Parteien innerhalb der vergangenen 13 Jahre, verschiebt die Koordinaten noch stärker als bei den Vorauflagen in Richtung Staatsgläubigkeit.

Besonders bezeichnend für den Geist dieses Vertrages: Von einem Entlastungsversprechen an die Bürgerinnen und Bürger bei Steuern und Sozialabgaben liest man auf gerade mal 17 (!) von insgesamt 8.354 Zeilen. Konkret wird nur versprochen, den Solidaritätszuschlag in einem ersten großen Schritt für 90 Prozent der bisherigen Zahler ab 2021 (!) abzuschaffen: Entlastungsvolumen 10 Milliarden Euro. Außerdem soll der Arbeitslosenversicherungsbeitrag um 0,3 Prozent reduziert werden – ohne genauer spezifiziertes Datum. Angesichts der hohen Steuer- und Abgabenbelastung vieler Arbeitnehmer und Unternehmer klingt das wie blanker Hohn.

Auf der anderen Seite werden auf vielen hundert Zeilen neue Sträuße sozialer Wohlfahrt gebunden. In den Kapiteln zur Familienförderung, bei der Rente und im großen Feld der Gesundheits- und Pflegepolitik verstecken sich dauerhafte Zig-Milliarden-Euro schwere Leistungsversprechungen, die ohne weitere massive Steuer- und Sozialabgabenerhöhungen überhaupt nicht finanziert werden können. Die Koalitionäre haben nichts aus den teuren Versprechungen der letzten Legislaturperiode gelernt, weil die aktuelle Hochkonjunktur am Arbeitsmarkt steigende Ausgaben durch noch stärker steigende Einnahmen überkompensiert. Doch der demografische Wandel rückt unaufhaltsam näher, weil die stärksten Geburtsjahrgänge ab Ende dieses Jahrzehnts zuhauf in Ruhestand gehen. Außerdem: Die nächste Rezession kommt so sicher wie das Amen in der Kirche.

„Nichts ist in der Regel unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken lässt.“ (Ludwig Erhard)

Eigenverantwortung spielt in diesem Koalitionsvertrag keine Rolle, weder individuell im Verhältnis Bürger und Staat noch in der binnenstaatlichen Organisation. Zwei Beispiele gefällig:

  • In der gesetzlichen Pflegeversicherung, die einst ausdrücklich als Teilkasko-Versicherung geplant war, sind laut Koalitionsvertrag künftig die Kinder von pflegebedürftigen Eltern erst bei einem Einkommen von mehr als 100.000 Euro im Jahr an den Pflegekosten zu beteiligen. Subsidiäre Hilfe war gestern, Erbenschutz ist heute angesagt!
  • Bei der ersten Föderalismusreform wurden vor anderthalb Jahrzehnten die Kompetenzen von Bund und Ländern entflochten, um die Verantwortlichkeiten klarer den unterschiedlichen Staatsebenen zuzuordnen. Die Bildungshoheit fiel in unserem Föderalstaat bisher in die alleinige Länderkompetenz. Für den Bund galt das sogenannte Kooperationsverbot. Doch unter dem Druck der SPD wird dieses Kooperationsverbot im Grundgesetz aufgegeben. Zentralstaat statt Föderalismus?

Der Beitrag von Oswald Metzger erschien zuerst im Konstanzer Südkurier vom 9. Februar 2018.

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