Die Debatte um die Frage, ob Einkommen und Vermögen „gerecht“ verteilt sind, führt häufig zur Forderung nach Umverteilung. Dies widerspricht jedoch den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft: Freiheit und Verantwortung. Nach Ludwig Erhard gibt es nur eine gerechte Verteilung, „und das ist die, die durch die Funktion des Marktes erreicht wird“.

Seit Thomas Pikettys Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ – aktuell neu befeuert durch Marcel Fratzschers Buch „Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird“ – ist in Deutschland eine neue Debatte um die Einkommens- und Vermögensverteilung in Gang gekommen. Neben der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Methoden und aufgeworfenen Hypothesen wurden in der Öffentlichkeit insbesondere Gerechtigkeitsaspekte und daraus abzuleitende Umverteilungsmaßnahmen thematisiert. Darin lässt sich ein bestimmtes – eben distributives – Verständnis von Einkommens- und Vermögenspolitik erkennen, welches mit der Sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards kaum vereinbar ist.

Erhard schrieb in seinem Klassiker „Wohlstand für alle“ von 1957, dass es „ungleich sinnvoller … ist, alle einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Energien auf die Mehrung des Ertrages der Volkswirtschaft zu richten, als sich in Kämpfen um die Distribution des Ertrages zu zermürben“. Diesem Verständnis muss auch eine Vermögenspolitik im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft Rechnung tragen.

Privateigentum und Vermögen

Eine Vermögenspolitik, die sich auf Ludwig Erhard gründet, müsste eigentlich richtig – aber leider auch deutlich sperriger – Privateigentumspolitik heißen. Für Erhard ist Privateigentum die „freie individuelle Verfügung über Geld, Sachen und Sachwerte“, während Vermögen schlicht den „Gegenstand an sich“ meint. Privateigentum ist Ausdruck der persönlichen Freiheit und Voraussetzung für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung.

Anders ausgedrückt: Privater Wohlstand ist in der Sozialen Marktwirtschaft nicht Selbstzweck, sondern das Fundament für individuelle Würde und Freiheit. In der Marktwirtschaft ist das dezentral verteilte Privateigentum an den Produktionsmitteln eine notwendige Bedingung für Wettbewerb. Privateigentum samt der Verfügung über dessen Erträge und samt der Haftung für unternehmerisches Handeln stellt Unternehmen letztlich in den Dienst der Verbraucher.

Privateigentum bietet zudem die Möglichkeiten zur individuellen Vorsorge. Es mindert bei Arbeitnehmern die Abhängigkeit vom Arbeitseinkommen und von staatlichen Transfers und bietet damit Schutz bei Notfällen. Damit – und hier schließt sich der Kreis – trägt es unmittelbar zum Selbstwertgefühl und zur Würde des Einzelnen bei.

Rahmenbedingungen für die Vermögensbildung

Aufgrund dieser wichtigen Funktion von Privateigentum und Vermögen in der Sozialen Marktwirtschaft hat Ludwig Erhard stets auf die staatliche Unterstützung der Vermögensbildung hingewiesen. So schreibt er 1971: „Die Förderung des Privateigentums muss Hand in Hand gehen mit der Unterstützung der Privatinitiative, der Erhaltung des geschaffenen Privateigentums und seiner Vermehrung in Händen möglichst vieler Staatsbürger.“

Das Ziel der Vermögenspolitik hatte er auch 1963 in der Regierungserklärung zu Beginn seiner Kanzlerzeit ausgegeben: „… auf dem Wege über immer breiter gestreutes privates Eigentum das Selbstbewusstsein zu wecken und den Bürgersinn zu stärken wie auch das soziale Ansehen und die wirtschaftliche Sicherheit zu mehren …“. Hier offenbart sich die grundverschiedene, aber für Ludwig Erhard typische Sichtweise auf eine Politik, die sich letztlich selbst obsolet macht: Vermögenspolitik bedeutet eben nicht, über das Steuersystem oder soziale Sicherungssysteme dauerhaft Vermögen umzuverteilen, sondern geeignete Rahmenbedingungen für die notwendige Bildung von Vermögen bzw. Privateigentum zu schaffen – und eventuell eine zeitlich begrenzte, staatliche Starthilfe zu gewähren.

Vermögenspolitik darf also nicht falsch verstanden werden als Begriff, der die Verantwortung für Vermögensbildung in die Hand der Politik legt. Kann der Staat doch nur vorhandenes Vermögen umverteilen, welches zuvor natürlich auch erst einmal erwirtschaftet werden muss. Oder in den Worten Erhards: „Jede Bildung von Eigentum setzt Sparen und Konsumverzicht voraus.“

Vermögenspolitik in Deutschland

In der Geschichte der Bundesrepublik fokussierte sich die Vermögenspolitik vor allem auf die Bildung von Geldvermögen, zum Beispiel durch das Sparprämiengesetz, sowie von Grund- und Wohnungsvermögen, etwa durch Bausparen und Eigenheimprämie. Die individuelle private Beteiligung am Produktivvermögen wurde dagegen nur selten in den Fokus genommen, so bei der Ausgabe von sogenannten Volksaktien bei Preussag (1959), Volkswagen (1961) und Veba (1965).

Durch die Vermögenspolitik hatte der Staat seinen Anteil am Aufbau von Geld- und Wohnungsvermögen nach dem Zweiten Weltkrieg. Weniger erfolgreich waren die (wenigen) Maßnahmen zur Verbreitung von Produktivvermögen in privater Hand. Dabei wäre gerade die breit gestreute Kapitalbeteiligung an Unternehmen ganz im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft: So könnten die Unternehmen ihre Eigenkapitalbasis verbreitern und dezentralisieren. Zudem würden die Interessenlagen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern – von „Arbeit“ und „Kapital“ – besser zur Deckung gebracht. Besonders hervorzuheben ist darüber hinaus die innere Identifikation des Einzelnen mit der Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft und des Arbeitsnehmers mit dem „eigenen“ Unternehmen – wenn er sich denn an diesem beteiligt.

Die Wirklichkeit individueller Verantwortung

Die Soziale Marktwirtschaft hat insbesondere in den Jahren des „Wirtschaftswunders“ für beachtlichen wirtschaftlichen Erfolg und materiellen Wohlstand auf breiter Front gesorgt. Und mit dem gewachsenen Wohlstand sollte eigentlich die individuelle Verantwortung – als Gegenstück zur persönlichen Freiheit und Würde – stärker in den Vordergrund rücken.

Doch statt mehr individueller Verantwortungsbereitschaft und größerer Unabhängigkeit wurde der Ruf nach mehr kollektiver Sicherheit immer lauter. Statt dem Einzelnen mehr zuzutrauen und abzuverlangen, wurden die kollektiven Systeme der sozialen Absicherung stetig ausgebaut, einmal abgesehen von einzelnen Gegenmaßnahmen, wie zum Beispiel am aktuelleren Rand den „Rentenreformen“ unter Gerhard Schröder (Einführung der Riester-Rente 2001 und eines Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenformel 2004) und während der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel (Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre).

Dieser sich schon früh abzeichnenden Entwicklung zum „Versorgungsstaat“ widmete Ludwig Erhard ein eigenes Kapitel in „Wohlstand für alle“. Mit Blick auf den gestiegenen Wohlstand und die höhere private Leistungsfähigkeit großer Bevölkerungsteile lautete seine Botschaft: „Der staatliche Zwangsschutz aber muss oder sollte dort haltmachen, wo der Einzelne und seine Familie in der Lage sind, selbstverantwortlich und individuell Vorsorge zu treffen.“ Nach seiner Wahl zum Bundeskanzler 1963 wollte Erhard die Vermögenspolitik zudem auf die tatsächlich darauf angewiesenen Bürgerinnen und Bürger fokussieren: „Die Eigentumsbildung soll in Zukunft nachdrücklicher zugunsten der einkommensschwachen Bevölkerungskreise gefördert werden.“

Im Rückblick muss man festhalten, dass sich Erhards grundlegende Befürchtungen bewahrheitet und seine Bemühungen wenig ausgezahlt haben: Das Verhältnis von individuellem Vermögen zu kollektivem Vermögen im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme hat sich immer weiter von den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft entfernt. Zwar ist das kollektive Vermögen, etwa in der Rentenversicherung, gewachsen. Da es sich aber der freien individuellen Verfügung entzieht, kann es nicht als Privateigentum verstanden werden und dessen Funktionen erfüllen.

Eigentum für alle

Privatvermögen festigt die persönliche Freiheit. Deswegen bedarf es in der Sozialen Marktwirtschaft einer Vermögenspolitik, die sich am Prinzip von Freiheit und Verantwortung orientiert: Denn eine „freiheitliche Wirtschaftsordnung kann auf die Dauer nur dann bestehen, wenn und solange auch im sozialen Leben der Nation ein Höchstmaß an Freiheit, an privater Initiative und Selbstvorsorge gewährleistet ist“.

Ludwig Erhard baute seine Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft auf die „Verantwortungsfreudigkeit“ jedes Einzelnen und meinte, dass „das natürliche Streben des einzelnen Menschen, in eigener Verantwortung Vorsorge zu treffen und an seine Zukunft, seine Familie und sein Alter zu denken, nicht aus der Welt zu schaffen“ sei. Deswegen muss heute auch in der Vermögenspolitik (wieder) der mündige Bürger zum Maßstab werden: Er allein muss und kann entscheiden, wie er sein Geld verwenden und anlegen will.

Fördert die Politik bestimmte Sparformen oder einzelne Wege der Vermögensbildung, setzt sie wie immer gut gemeinte, aber eben auch steuernde Anreize. Im besten Fall decken diese sich mit den individuellen Zielen und führen „nur“ zu Mitnahme-Effekten. Im schlechtesten Fall werden sie zur maßgeblichen Entscheidungsgröße bei der Vermögensbildung. Und in jedem Fall hält eine so verstandene Förderpolitik den Irrglauben am Leben, die Vermögensbildung sei ein politisches Aufgabenfeld und vom Bürger gar nicht zu leisten. Vermögenspolitik nach Ludwig Erhard bedeutet, die richtigen Rahmenbedingungen zur privaten Vermögensbildung zu setzen – mit dem Ziel: Eigentum für alle!

Voraussetzung dafür wäre allerdings eine Wirtschaftspolitik mit dem ordnungspolitischen Anspruch, „aus der Volkswirtschaft so viel an Kraft und Leistung herauszuholen, dass die Menschen frei von Sorgen und Nöten leben können, dass sie die Möglichkeit gewinnen, Eigentum zu erwerben und dadurch unabhängig zu werden, dass sie mehr an menschlicher Würde entfalten können, weil sie dann nicht mehr auf die Gnade anderer, auch nicht auf die Gnade des Staates angewiesen sind“.

Der Beitrag von Lars Vogel, Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung, ist zuerst erschienen in: Die Politische Meinung (Ausgabe 540/2016)

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