Die große Mehrheit der Deutschen steht hinter dem Wirtschaftssystem und kann sich keine bessere Alternative vorstellen, beobachtet Prof. Dr. Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach. Nur elf Prozent sehen die Marktwirtschaft überwiegend kritisch. Dies war jedoch nicht immer so, und es gibt keine Garantie, dass es so bleibt.

Als Ludwig Erhard vor fast sechs Jahrzehnten den Grundstein für das System der Sozialen Marktwirtschaft legte und damit auch für die ökonomische Erfolgsgeschichte dieser Jahrzehnte, traf er zunächst auf tiefes Misstrauen. Knapp die Hälfte der Bevölkerung votierte zu diesem Zeitpunkt für die Beibehaltung staatlicher Regulierung, beispielsweise für die Zuteilung von Lebensmitteln und für staatlich regulierte Preise. Ludwig Erhard mit seinem Vertrauen in die Kräfte eines freien Marktes erschien vielen wie ein Hasardeur. Er war Anfang der 1950er- Jahre der unpopulärste Politiker der jungen deutschen Republik, die zu diesem Zeitpunkt noch voller Unsicherheit ihren Weg suchte. Lediglich 14 Prozent der Bevölkerung beurteilten Ludwig Erhard und seinen Kurs zu diesem Zeitpunkt positiv.

Mit dem Erfolg kam Zustimmung

Erst mit dem Erfolg nahm auch das Vertrauen in Erhard zu. Anfang der 1960er-Jahre war er dann so populär wie selten ein Politiker: 81 Prozent der westdeutschen Bevölkerung hatten zu diesem Zeitpunkt von Ludwig Erhard eine gute Meinung.

In dieser Zeit nahm auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Marktwirtschaft zu, angetrieben von den erlebten Erfolgen, aber auch vom ökonomischen Misserfolg der staatlich gelenkten Wirtschaft im Osten, die den ständigen Vergleich der Systeme ermöglichte. Wer jedoch davon ausgeht, dass diese eindrucksvolle historische Lektion die Akzeptanz der Marktwirtschaft nachhaltig befestigt hat, der irrt. Dies zeigt der Blick auf die letzten beiden Jahrzehnte. In der Mitte der 1990er-Jahre beurteilte die Mehrheit der Bevölkerung im wiedervereinten Deutschland das Wirtschaftssystem positiv, schon zwei Jahre später waren es jedoch nur noch 40 Prozent. Im Jahr 2005, nach der Phase einer mehrjährigen Wachstumsschwäche, waren lediglich noch 25 Prozent der Bevölkerung vom deutschen Wirtschaftssystem überzeugt; eine starke relative Mehrheit sah die Marktwirtschaft zu diesem Zeitpunkt eher kritisch.

Erst mit dem anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung nach 2005 nahm das Vertrauen ins Wirtschaftssystem wieder zu, verstärkt nach der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise 2008. Heute bewerten 61 Prozent das Wirtschaftssystem positiv; das ist die höchste Zustimmungsrate seit Jahrzehnten.

Diese Rate bestätigt eine langjährige Erfahrung: Ein Wirtschaftssystem wird von den Menschen nicht aufgrund seiner Philosophie und Werte akzeptiert, sondern allein aufgrund seines Erfolgs. Alle Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die Freiheitsspielräume der Marktwirtschaft keine hinreichende Bedingung für ihren Rückhalt in der Bevölkerung sind; insbesondere die Bedeutung unternehmerischer Freiheit wird eher gering geschätzt.

Entscheidend für die Zustimmung sind der ökonomische Erfolg und die Breitenwirkung dieses Erfolgs. Der Rückhalt für das Wirtschaftssystem nahm in Deutschland zu, als sich die Situation am Arbeitsmarkt kontinuierlich besserte, die Sorgen um die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes zurückgingen und sich die materielle Lage vieler Haushalte durch mehr Arbeitsplätze und Lohnzuwächse verbesserte.

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Wirtschaftlicher Erfolg immunisiert nicht gegen Kritik

Auch der Blick über die deutschen Grenzen in das Nachbarland Frankreich zeigt, dass die Akzeptanz eines Wirtschaftssystems mit dem ökonomischen Erfolg steht und fällt. So ist die Akzeptanz des französischen Wirtschaftssystems aufgrund der unbefriedigenden ökonomischen Entwicklung und insbesondere der hohen Jugendarbeitslosigkeit auf einem Tiefpunkt angekommen. Sie liegt heute auf einem Niveau wie in Deutschland während der Wachstumsschwäche zwischen 2000 und 2005 (Allianz-Monitor Frankreich– Deutschland 2017).

Doch auch in Zeiten des Erfolgs begegnet ein an sich akzeptiertes System Misstrauen und Kritik. Viele sehen beispielsweise einen Konflikt zwischen marktwirtschaftlichen Prinzipien und sozialer Gerechtigkeit. So sind 44 Prozent der Bürger überzeugt, dass eine Marktwirtschaft automatisch zu weniger Gerechtigkeit in der Gesellschaft führt. 39 Prozent sehen einen Zielkonflikt zwischen freien Märkten und einer menschlichen Gesellschaft.

Insbesondere die ostdeutsche Bevölkerung ist überzeugt, dass eine Marktwirtschaft zu mehr Ungerechtigkeit und weniger Menschlichkeit führt. Wirtschaftlicher Erfolg legitimiert ein System, immunisiert jedoch nicht gegen Unbehagen und Kritik.

Prof. Dr. Renate Köcher ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Sie wird in diesem Jahr mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – Geht’s noch?“ aus dem Jahr 2017 erschienen.

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