Das Oberlandesgericht Düsseldorf geht im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann in die Offensive gegen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Oder wurden mittendrin die Regeln geändert?

Das Ministererlaubnisverfahren Edeka/Kaiser’s Tengelmann ist in einer verfahrenen Lage: Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf stoppte im Eilverfahren die vom Wirtschaftsminister genehmigte Übernahme. Das darf man eine Ohrfeige nennen, und folgt man dem OLG, müsste der Bundeswirtschaftsminister zurücktreten. Denn das Gericht erkannte im Vorgehen des Ministers eine Prozedur, die man gut und gerne als Mauschelei bezeichnen darf. Da hat es schon niedrigere Anlässe für einen Rücktritt gegeben.

Aber der Reihe nach, denn der Fall ist komplex: Erstmalig entschied ein Bundeswirtschaftsminister, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen und die Sicherung von Arbeitnehmerrechten im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Das Kartellamt hatte zuvor die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka untersagt. Bundeswirtschaftsminister Gabriel sah das anders, stellte sich im öffentlichen Interesse auf die Seite der Arbeitnehmer und erteilte für die Übernahme der 430 Filialen durch Edeka eine Ministererlaubnis mit strengen Auflagen. So will er die rund 16.000 Arbeitsplätze bei der Supermarkt-Kette Kaiser’s Tengelmann durch Tarifverträge absichern.

Die Handelskette Rewe, die Kaiser’s Tengelmann ebenfalls übernehmen wollte, aber nicht zum Zuge kam, klagte und das Oberlandesgericht Düsseldorf stoppte, wie einleitend dargestellt, im Eilverfahren die Übernahme. Der Minister habe Fehler im Verfahren begangen. Das begründe die Besorgnis der Befangenheit und damit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung. Das OLG Düsseldorf hält also den Vollzug der Erlaubnis auf, weil es Verfahrensfehler durch das Bundeswirtschaftsministerium bemängelt. Es geht also um einen Verfahrensfehler, nicht um die Sinnhaftigkeit von Gabriels Entscheidung.

Ein Beispiel aus der Fußball-Welt

Seit Wochen steht Gabriel daher im Zentrum der Kritik: Ihm wird von Journalisten und Politikern seit der OLG-Entscheidung schlampige Arbeit und politisches Versagen vorgeworfen. Dass das OLG auch seinerseits bei der Tatsachenfeststellung schlampig war (falsche Gesprächsdaten; keine Sechs-Augen-Gespräche etc.), wird zwar medial registriert, hat aber das Bild der Öffentlichkeit kaum verändert. Letztlich schwingt die Frage mit: Was hat Gabriel hinterrücks mit Edeka ausgekaspert? Hat er vielleicht sogar einen Vorteil erlangt?

In Wahrheit geht es aber um ganz andere Fragen: Wie kam das Oberlandesgericht Düsseldorf zu seiner Entscheidung? Und noch wichtiger: Kann es sein, dass 16.000 Arbeitnehmer um ihre Arbeitsplätze bangen müssen, weil das OLG mitten in einem juristischen Verfahren als Schiedsrichter die Regeln ändert, nach denen es urteilt? Diese Fragen hat bisher noch niemand gestellt.

Das Ganze ist juristisch kompliziert, aber ein Beispiel aus der Welt des Fußballs macht deutlich, um was es geht: die Abseitsregel. Sie gilt auf allen Fußballplätzen der Welt – von der ersten bis zur letzten Spielminute. Ein angreifender Spieler ist dann im Abseits, wenn er im Moment der Ballabgabe der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Gegenspieler. Der Schiedsrichter und seine Linienrichter treffen die Abseits-Entscheidung, die manchmal knapp und schwierig ist, und pfeifen einen Angriff ab oder nicht. Sie halten sich dabei an die Regel, interpretieren sie im Spielverlauf – aber sie ändern die Abseitsregel nicht willkürlich während des Spiels.

Jeder Telefonanruf eine Staatsaffäre?

Das genau aber hat das OLG Düsseldorf getan. Um das zu verstehen, hilft ein Blick zurück: Im Verfahren Eon/Ruhrgas (Beschluss vom 25.7.2002, Kart 25/02 (V)) hat das OLG Düsseldorf erstmals Verfahrensgrundsätze aufgestellt und eine Ministererlaubnis aufgehalten, weil der die Sache verhandelnde Staatssekretär mit den Antragstellern Auflagen verhandelt und entschieden hat, ohne die Gegner vor der abschließenden Entscheidung zu hören. An diese damals vom OLG aufgestellten Regeln hat sich der Bundeswirtschaftsminister jetzt im Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann aber gehalten.

Die Regel in einfachen Worten: Wird in Verhandlungen mit dem Antragsteller eine Entscheidung vorbereitet, müssen die Gegner vor der Entscheidung rechtliches Gehör erhalten. Genau das ist im vorliegenden Fall geschehen: Die Gespräche mit den Antragstellern Edeka/Kaiser’s Tengelmann fanden im Dezember 2015 statt. Im Januar und Februar 2016 hat das Ministerium dann alle Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung gehört und Akteneinsicht gewährt. Das Verfahren entspricht damit genau den Anforderungen, die das OLG selbst bei der vorherigen Entscheidung Eon/Ruhrgas gesetzt hat.

Nun aber geht das Gericht einen Schritt weiter und stellt eine neue Regel auf. Sie lautet in einfachen Worten: Nicht erst die Entscheidung, sondern schon die Sondierungen vorher müssen den Beteiligten minutiös mitgeteilt werden. Das ist eine strenge Vorgabe. Sie macht aus jedem Telefonanruf eine Staatsaffäre. Jede Nachfrage wird gewissermaßen amtlich. Vertraulichkeit gibt es nicht mehr; sie steht dem Gegner jederzeit zur Einsicht offen.

Diese Regel scheint allerdings nicht für jeden zu gelten: Das Bundeskartellamt beispielsweise führt immer vertrauliche Verhandlungen, gerade aktuell wieder im Fall Rewe/Coop, wo den Beteiligten am Ende der Sondierungen nur der Entscheidungsentwurf zur Stellungnahme gegeben worden ist. Das OLG verlangt jetzt im Verfahren der Ministererlaubnis Edeka/Kaiser’s Tengelmann aber plötzlich mehr – und das rückwirkend. Das ist eine wesentliche Änderung der verfahrensrechtlichen Betrachtung. Was bisher galt, gilt nicht mehr. Der Schiedsrichter ändert während des Spiels die Regeln. Sigmar Gabriel ist plötzlich der Lackierte.

Der Bundesgerichtshof sollte schnell entscheiden

Das hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf den Einzelfall der Ministererlaubnis Edeka/Kaiser’s Tengelmann, sondern auf alle Kartellverfahren. Es geht um die Regeln, die bei solchen Verfahren zu beachten sind. Deshalb hat diese Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung. Sie kann nicht vom OLG allein entschieden werden, sondern sie muss höchstrichterlich geklärt werden. Es spricht deshalb viel dafür, dass der Bundesgerichtshof (BGH) Edekas Beschwerde gegen den Beschluss des OLG Düsseldorf zulässt.

16.000 Arbeitsplätze hängen in der Luft – und sie hängen von juristischen Verfahrensregelungen ab. Die aber dürfen in einem Rechtsstaat nicht plötzlich von einem Gerichtsverfahren zum nächsten geändert werden; schon gar nicht vom Schiedsrichter selbst. Um im Bild des Fußballs zu bleiben – bei dieser Abseitsregel geht es nicht etwa um das Ergebnis 1:0, es geht um 16.000 Menschen. Und die sind in diesem juristischen Spiel nicht die Zuschauer, sie sind die Betroffenen: Die neuen Regeln des OLG können ihr Schicksal sein. Auch die Reputation des Bundeswirtschaftsministers ist gefährdet; das mag in der parteipolitischen Auseinandersetzung im Vorwahlkampf hilfreich sein. Aber so wird ein Amt beschädigt. Es eilt also, dass der BGH entscheidet.

Lesen Sie hierzu auch:

„Ministererlaubnis: Arbeitsplatzsicherung zulasten der Verbraucher“

„Herr Minister, das war wohl nichts!“

„Wirtschaftsminister, nicht Interessenvertreter“

DRUCKEN
DRUCKEN