Verkehrte Welt: US-Präsident Donald Trump poltert gegen den Freihandel, der chinesische Präsident XI Jinping geriert sich als dessen Verteidiger. Ulrich Blum wirft einen Blick auf das Verhältnis und die gegenseitigen Abhängigkeiten der beiden wirtschaftlichen Supermächte.

Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wird das Gespenst des Protektionismus immer wirklicher. Das veranlasste den chinesischen Präsidenten XI Jinping, beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar dieses Jahres für Freihandel einzutreten. Diese anscheinend „verkehrte“ Welt deutet auf einen Umbruch in der Weltwirtschaft und eine Neuverteilung von globalen Wertschöpfungsketten hin.

Donald Trump schien sich in seinem Wahlkampf besonders China als Erzfeind ausgesucht zu haben. Er drohte vorrangig diesem Land mit starken handelsstrategischen Maßnahmen, um das extreme Außenhandelsdefizit der USA zu begrenzen. Andere Länder, wie Mexiko oder die Europäische Union und dabei insbesondere Deutschland, gerieten erst später in sein Visier.

Die USA brauchen China für den UN-Boykott gegen Nordkorea

Inzwischen hat sich diese Lage völlig gedreht, und möglicherweise ist das Nordkorea-Problem ein wesentlicher Auslöser dafür. Einerseits brauchen die USA China, um den UN-Boykott gegen Nordkorea durchzusetzen, da die Versorgung mit strategischen Gütern, nicht nur mit Nahrungsmitteln, weitgehend über die chinesisch-nordkoreanische Grenze läuft.

Andererseits muss XI Jinping Sorge dafür tragen, dass sein Land, wenn der Konflikt eskaliert, nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Der Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes würde massive Flüchtlingsströme auslösen. Da die an Nordkorea grenzenden Provinzen das „Ruhrgebiet Chinas“ sind und Verantwortung für einen großen Teil der national verfügbaren mineralischen Rohstoffe tragen, muss dort eine Zuspitzung der Lage durch die Flüchtlingsströme vermieden werden. Zudem ist hier eine starke koreanische Minderheit beheimatet. Eine atomare Zuspitzung könnte außerdem zur Verseuchung der Region führen.

Trumps Sinneswandel ändert aber nichts an dem fundamentalen Stabilitätskriterium für die Beziehungen zwischen China und den USA: China finanziert amerikanische Schulden, die unter anderem dadurch entstehen, dass das Land permanent überkonsumiert – auch Produkte, die in China hergestellt werden und genau diese außenwirtschaftliche Unausgewogenheit erzeugen. Dieses „Gleichgewicht des ökonomischen Schreckens“ könnte sich aber langfristig auflösen, wenn China einen höheren Anteil an seiner eigenen Produktion im Inland absorbiert, um damit die Lebensqualität für noch rund 900 Millionen Menschen so zu verbessern, wie es die Partei in den nächsten 20 Jahren vorgesehen hat.

Was müssen die USA tun, wenn keiner ihre Schulden finanziert?

Was bedeutet diese Perspektive für Donald Trump und die USA? Wie muss das Land heute handeln, wenn morgen der globale Absatz amerikanischer Schuldtitel zunehmend an Grenzen stößt? In jedem Fall müssten die Zinsen steigen, der Dollar würde aufwerten, die Wettbewerbsfähigkeit könnte unter Druck geraten – wie auch Donald Trumps Klientel, amerikanische Industriearbeiter, die einfache, im globalen Wettbewerb stehende Produkte herstellen. Ebenso ist absehbar, dass im Renminbi eine Konkurrenz zum Dollar als Weltreservewährung entsteht.

Das würde die Handlungsfähigkeit der USA beträchtlich einschränken, insbesondere die Möglichkeiten, wirtschaftspolitische Fehler auf andere Länder abzuwälzen. Auch indirekte Effekte könnten relevant werden, beispielsweise der Verlust der Bevorzugung amerikanischer Unternehmen beim Rating, weil ein Unternehmen nie besser bewertet sein kann als ein Land und ein Land mit der Reservewährung der Welt grundsätzlich eine bessere Bonität besitzt.

Die dritte große Herausforderung ist die Übertragung der Digitalisierung, in der die USA derzeit führend ist, auf andere Sektoren, vor allem die klassische Industrie. Gerade in diesen komplementären Sektoren, also dem Anlagen- und Maschinenbau sowie dem Fahrzeugbau, sind die USA ins Hintertreffen geraten. Mit dem Programm „China 2025“ entsteht in der Volksrepublik ein Rivale erster Güte – auch für Europa. Es wird einen „New Deal“ bei der Verteilung der globalen Wertschöpfungsströme geben. Die USA wollen hier gern mitspielen.

Noch sind die USA stark – aber was wird morgen sein?

Um in der Sprache der Plattentektonik von Adolf Wegener zu sprechen: Die USA riskieren ökonomisch, dauerhaft wie eine Subduktionszone unter die große Platte Chinas zu geraten. Unter den Bedingungen einer Neuverteilung von weltweiten Wertschöpfungsketten ist es also rational, bereits heute die Pfeiler einzurammen, die benötigt werden, um die USA am Wohlstand, besonders durch das Internet der Dinge, also die Digitalisierung der Produktionsprozesse, zu beteiligen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass die Möglichkeiten der Reindustrialisierung durch Technologien, die die Arbeitskosten drastisch senken, genutzt werden und die Ausweichpotenziale, die neu entstehen, auf das eigene Land bezogen werden.

„Wir streben im Außenhandel die größtmögliche Freiheit an, um in ihm den allen Völkern zum Segen gereichenden Grundsatz der internationalen Arbeitsteilung wieder zur Geltung zu bringen.“ (Ludwig Erhard, 1949)

Konkret handelt es sich dabei um das, was als „additive manufacturing“ bezeichnet und in der Kurzform oft als 3-D-Druck charakterisiert wird. Denn in einer Welt, in der die Kundenorientierung stetig zunimmt und die langfristige Idee einer „Losgröße 1“ annimmt, sind derartige Technologien besonders interessant. Damit wird die Strategie chinesischer Unternehmen, sich massiv in 3-D-Druck-Technologien einzukaufen, nachvollziehbar, ebenso wie ihre Forschung an den entsprechenden Druckmaterialien, die damit zum „Produktionsgold“ der Zukunft werden.

Die USA werden folglich alles tun, um die nächste Welle der wirtschaftlichen Entwicklung auf sich zu ziehen, genau wie es ihnen gelungen ist, Weltmeister der Digitalisierung zu werden. Allerdings sind hier die Voraussetzungen schwierig, weil ihre industrielle Substanz, besonders im Bereich des Hochtechnologie-Maschinenbaus, weitgehend an andere Länder verlorengegangen ist und der klassische Arbeiter aus den Bergbaugebieten der Appalachen kaum in der Lage sein wird, diese Technologien, falls sie bei ihm vor Ort aufgebaut würden, zu bedienen. Eine Signalwirkung hätte es daher, wenn sich die US-amerikanische Regierung dazu entschließen würde, ein umfangreiches Bildungsprogramm aufzulegen, um die Industrie 4.0 beheimaten zu können. Alternativ wird es nur gelingen, hier erfolgreich als Weltmarktführer oder zumindest in der Spitzengruppe tätig zu sein, wenn genau das, was Trump mit allen Mitteln verhindern will, noch weiter expandieren kann: die Migration Hochqualifizierter in die USA.

Im Protektionismus liegt keine Zukunft

Die USA werden nicht zum Land des Protektionismus werden. Aber sie werden mit immer größerem Nachdruck – bei schwachen Partnern vehement, bei starken weniger heftig – darauf verweisen, dass dauerhafte Bilanzungleichgewichte nicht nur die Folge von Marktmechanismen sind, wie es die deutsche Regierung gebetsmühlenhaft wiederholt, sondern Folgen konkreter volkswirtschaftlicher Dispositionen, beispielsweise im Investitionsbereich.

Angesichts übervoller öffentlicher Kassen in einigen Ländern der Europäischen Union sollten hier Optionen zur Korrektur bestehen. Und der Europäischen Zentralbank ist ins Stammbuch zu schreiben, dass ihre Zinspolitik durch den damit induzierten Abwertungsdruck auf den Euro international mindestens so aggressiv ist, wie Donald Trumps Sprache wirkt.

Prof. Dr. Ulrich Blum ist stellvertretender Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung und Vorsitzender ihres Wissenschaftlichen Beirates. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Publikation der Ludwig-Erhard-Stiftung „Wohlstand für Alle – Geht’s noch?“ aus dem Jahr 2017 erschienen.

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