Industriepolitiker sind auf dem Vormarsch. Ob Luftfahrt, Stahl oder Automobil – überall greift die Regierung ein, um Konzerne für den globalen Wettbewerb zu stärken. Aber der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.

Nie fällt es Politikern schwerer als in Wahlkampfzeiten, sich zurückzuhalten, wenn große Unternehmen ins Straucheln geraten. Der Übernahmekampf um die insolvente Fluglinie Air Berlin zeigt dies exemplarisch. Nicht nur, dass die Bundesregierung einen Überbrückungskredit gewährt, um die Airline zunächst für drei Monate am Leben zu erhalten.

Auch in die Zukunft der Branche will die Politik eingreifen. Die Lufthansa und kein ausländischer Konkurrent soll Air Berlin übernehmen, ist sich CSU-Chef Horst Seehofer mit führenden Sozialdemokraten einig. Der politische Flankenschutz für den nationalen Champion soll dessen Chancen im globalen Wettbewerb verbessern – und den Wahlkämpfern das Image von Machern verschaffen.

Mit ähnlichen Argumenten mischt sich die Politik auch in die Stahlindustrie ein. Die erwogene Verschmelzung des hiesigen Stahlriesen Thyssenkrupp mit dem indischen Konkurrenten Tata wird von Gewerkschaftern und Politikern abgelehnt. Eifrig wird an einer „deutschen Lösung“ gearbeitet: ein Zusammenschweißen mehrerer deutscher Firmen zu einem nationalen Stahlgiganten.

Die Bundeskanzlerin betont, es sei von strategischer Bedeutung, dass Deutschland in dieser wichtigen Branche mithalten kann, deshalb werde man den strukturellen Wandel politisch flankieren. Noch viel aktiver mischen Bundes- und Landespolitiker in der Autoindustrie mit.

Ludwig Erhard wusste es besser

Dabei beschäftigt man sich längst nicht nur mit den Folgen des Dieselskandals. Wenn es um die wichtigste Industriebranche im Land geht, ist das Zutrauen in die Marktwirtschaft gering. Je nach politischer Couleur favorisieren die einen Subventionen, die anderen liebäugeln mit Zwangsmaßnahmen wie Quoten und Verboten, um die Hersteller in Richtung E-Auto zu lenken.

Dieser industriepolitische Aktionismus zeugt von einer grandiosen Selbstüberschätzung der Politik. Wohin sich der Markt in Zukunft entwickelt, welche Produkte und Dienstleistungen die Menschen in zehn, zwanzig Jahren begeistern, wo Zukunftsmärkte liegen – all das kann heute kein Mensch vorhersehen.

Doch die Industriestrategen in den Parteien wollen der Bevölkerung weismachen, dass sie genau wüssten, wohin die Reise geht. Und viele Bundesbürger wollen in ihrem großen Sicherheitsbedürfnis nur zu gerne an den omnipotenten Staat glauben.

Der Staat sollte in der Wirtschaft nur ein guter Schiedsrichter sein, aber nicht selbst mitspielen. Denn Politiker und Bürokraten sind keineswegs die besseren Unternehmer. Dies war die oberste Maxime, mit der Ludwig Erhard als erster Bundeswirtschaftsminister den Wiederaufstieg Deutschlands in die erste Liga der Wirtschaftsnationen erreichte.

Welche Firma ist noch deutsch?

Der Mann mit der Zigarre hielt absolut nichts von der Idee, nationale Champions zu kreieren und Branchen mit Steuergeldern zu päppeln, sondern setzte gegen viel Widerstand ein scharfes Kartellrecht durch, das Monopole verhindern sollte.

Strategische Industriepolitik basiert auf der falschen Prämisse, dass es die Nationen seien, die im Wettbewerb stünden. Tatsächlich aber konkurrieren die einzelnen Unternehmen miteinander. Ein deutscher Konzern gehört häufig mehrheitlich gar nicht deutschen Anteilseignern. Das gilt auch für Unternehmen wie Deutsche Bank oder Deutsche Börse, die ihre Heimat im Namen tragen.

Auch die Aktien der Lufthansa liegen zu einem knappen Drittel in ausländischen Händen. Weder für die Arbeitnehmer noch für die Kunden spielt das eine Rolle. Auch das Management ist in global agierenden Großunternehmen heute meist international besetzt. Und auch das ist für den Standort D keine Bedrohung, sondern eine Notwendigkeit.

Es ist absurd zu glauben, ein deutsches Unternehmen würde hiesige Kunden anders behandeln als ein ausländisches Unternehmen. Der Konsument profitiert nicht von einem nationalen Champion. Im Gegenteil: Wenn eine Airline auf einer regionalen oder internationalen Strecke ein Monopol besitzt, sind nachweislich die Ticketpreise höher als bei vergleichbaren Strecken, die von mehreren Wettbewerbern bedient werden.

Gängelung von Schlüsselindustrien

Auch den Arbeitnehmerinteressen dient eine strategische Industriepolitik nicht. So wurde die italienische Fluglinie Alitalia jahrelang mit Steuergeldern unterstützt. Doch genutzt hat es der italienischen Fluglinie nichts: Sie musste im vergangenen Frühjahr Insolvenz anmelden.

Dagegen sind Lufthansa oder British Airways gerade deshalb gut im internationalen Geschäft, weil sie nach der Liberalisierung des Luftverkehrs nicht auf staatliche Protektion hoffen konnten. Stattdessen haben sich beide Unternehmen erfolgreich dem Strukturwandel gestellt. Es wäre fatal, wenn Deutschland ohne Not jetzt von diesem erfolgreichen Weg abweicht und die heimische Airline staatlich begünstigt.

Auch in der Automobilindustrie sollte sich der Staat Zurückhaltung auferlegen. Zwar muss kontrolliert werden, dass gesetzliche Normen und Vorgaben eingehalten werden. Betrug ist abzustellen und zu bestrafen. Doch eine Gängelung dieser Schlüsselindustrie durch die Politik führt mit Sicherheit nicht in eine gute Zukunft.

Welche Technik sich am Ende am Markt durchsetzen wird, steht in den Sternen. Die Euphorie, mit der viele Politiker auf das E-Auto setzen und den Verbrennungsmotor zum Auslaufmodell erklären, ist schon mit Blick auf die miserabel gemanagte Energiewende erstaunlich. Schließlich ist der Strom hierzulande heute teurer als in den meisten anderen Ländern.

Gigantischer Flop

Die politische Sonderbehandlung einer Technologie erinnert fatal an die jahrzehntelang vom Steuerzahler finanzierte Subvention für die Magnetschwebebahn Transrapid, die zwar Politiker und Ingenieure begeisterte, sich aber mangels Nachfrage als gigantischer Flop erwies.

Auch in anderen Ländern sind die Erfahrungen nicht besser. Frankreich setzt von jeher auf nationale Champions und päppelt Schlüsselindustrien wie die Automobilbranche. Doch die Unterstützung der Global Player geht stets zulasten der kleineren Unternehmen, die nicht über ähnlich gute Verbindungen zur Politik verfügen.

Und während hierzulande zahlreiche Mittelständler höchst erfolgreich agieren und nicht selten sogar Weltmarktführer in ihrer Sparte sind, fehlt dieses Rückgrat in Frankreich. Die hiesigen Familienunternehmen halten denn auch nichts von einer Sonderbehandlung großer Unternehmen wie der Lufthansa und pochen auf eine Neutralität der Politik. Monopolisten sind schließlich nicht nur für Kunden teurer, sondern auch für Zulieferer.

Wer den Standort Deutschland langfristig gut positionieren will, sollte industriepolitischen Aktionismus meiden und stattdessen die Rahmenbedingungen für private Investoren, Gründer und Unternehmer verbessern: Von den hohen Lohnnebenkosten über die Bürokratie und nicht mehr zeitgemäße Regulierungen bis zur Besteuerung gibt es einiges zu verbessern.

Der Beitrag ist erstmals in DIE WELT vom 4. September 2017 erschienen (Link zur Online-Ausgabe des Artikels auf welt.de).
Die Autorin Dr. Dorothea Siems ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung und seit 2015 Mitglied der Jury des Ludwig-Erhard-Preises für Wirtschaftspublizistik. Sie wurde 2011 mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.

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